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Schützend vor die Kommunen stellen

Interview der Woche von Dagmar Enkelmann, Ulrich Maurer,

Dagmar Enkelmann und Ulrich Maurer, die 1. Parlamentarische Geschäftsführerin und der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über Fiskalpakt, Schuldenbremse, Betreuungsgeld, Opposition, Kommunen und Verfassungsklage

 

Einen gemeinsamen Coup der Opposition wie beim Betreuungsgeld vor zwei Wochen wird es wohl leider nicht geben, wenn am Freitag der Fiskalpakt im Plenum behandelt wird. Oder?

Dagmar Enkelmann: Nein. Und vor allem deshalb nicht, weil sich – im Unterschied zum Betreuungsgeld - beim Fiskalpakt die Opposition nicht einig ist. DIE LINKE wird diesen am Freitag auf jeden Fall ablehnen. SPD und Grüne aber werden wie schon bei allen Bankenrettungsschirmen zuvor nun die Hände für Merkel heben, selbst aber mit leeren Händen dastehen - wie vor allem auch die Bürgerinnen und Bürger. DIE LINKE wird deshalb umgehend einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht einbringen, um das weitere gesetzgeberische Verfahren, vor allem die Unterschrift des Bundespräsidenten, erst einmal zu stoppen. Damit wollen wir verhindern, dass sich die Bundesrepublik völkerrechtlich bindet, bevor das Verfassungsgericht nicht in der Hauptsache über die kommende Klage der LINKEN entschieden hat.  

Auf Videos im Internet sieht man vor und mehr noch nach dem von Vizepräsidentin Petra Pau angeordneten Hammelsprung am besagten 15. Juni manch ratloses Gesicht bei Union und FDP. Wie haben die Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition Ihnen gegenüber direkt vor Ort reagiert?

Dagmar Enkelmann: Ziemlich wütend. Dabei waren sie sich schon im Klaren, dass sie selbst erst die Voraussetzung für diesen "Coup" geschaffen hatten, indem sie eben nicht eine Mehrheit gesichert haben.

War es tatsächlich Fahrlässigkeit, wie sie Bundestagspräsident Lammert der Bundesregierung bescheinigte, die zur Aufhebung der Plenardebatte führte. Oder war es ein organisierter Erfolg der Opposition?

Dagmar Enkelmann: Möglicherweise beides. Die Vorsitzende des Bundestagsfamilienausschusses, Sibylle Laurischk von der FDP, hat nach dem Desaster das eilige Gesetzgebungsverfahren zum Betreuungsgeld selbst kritisiert. Es sei ein Fehler gewesen, "den Versuch zu unternehmen, das Betreuungsgeld in aller Eile durch den Bundestag bringen zu wollen"“, sagte sie einer Zeitung. In der  vorausgegangenen Sitzung des Familienausschusses hatte die Koalition übrigens kraft ihrer Mehrheit und ziemlich selbstherrlich einen Bericht der Familienministerin zum Kitaausbau von der Tagesordnung genommen – gegen den erklärten Willen der Opposition. Nur Naive konnten annehmen, dass dies am Freitag dann für die erste Beratung des Betreuungsgeldes keine Folgen haben würde. Insofern stellten die Vorgänge eine kleine Revanche der Opposition dar.

Welche weiteren Regierungsvorhaben könnten die drei Oppositionsfraktionen demnächst geschlossen abwehren?

Ulrich Maurer: Bisher taten sich SPD und Grüne nur dadurch hervor, vor den Kameras und in den Medien links zu blinken, um dann im Parlament doch wieder mit der CDU zu stimmen - ob beim Mindestlohn, bei Kriegseinsätzen oder zuletzt bei der Abschaffung der Hartz IV-Sanktionen. Auch dieses mal ging es ja um keine Abstimmung, sondern nur darum, die Entscheidung über das Betreuungsgeld aufzuschieben. DIE LINKE. im Bundestag ist ganz klar für Konfliktlösungen ohne Krieg, für einen Lohn, von dem Menschen leben können, und für die Nichteinführung eines Betreuungsgeldes. Das zeigt DIE LINKE - im Gegensatz zu SPD und Grünen - auch bei Abstimmungen im Parlament.

Wie erklären Sie sich, dass SPD und Grüne der Kanzlerin ohne große Not zur Zweidrittelmehrheit für den Fiskalpakt verhelfen?

Ulrich Maurer: Zum einen haben sich SPD und Grüne in den letzten zehn Jahren von ihrer ursprünglichen Wählerschaft politisch nach rechts entfernt. Zum anderen liebäugeln beide wohl damit, als Juniorpartner unter der CDU nach der Bundestagswahl emporzusteigen, egal in welchen Konstellationen. Deshalb schrecken sie nicht einmal vor solch verheerenden Maßnahmen wie dem Fiskalpakt und den damit verbundenen Folgen zurück, und stimmen einmütig mit CDU/CSU und FDP.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die Bundesregierung in der vergangenen Woche gerügt, das Parlament in Europafragen gestärkt, wird wohl aber den Fiskalpakt wahrscheinlich nicht dauerhaft aufhalten, wohl schon gar nicht stoppen. Kann man sich auch vor Gericht totsiegen?

Dagmar Enkelmann: Bei der Klage der Grünen ging es in erster Linie um die rechtzeitige Information und Einbindung des Bundestages in Entscheidungen, bei denen die Bundesregierung auf EU-Ebene vollendete Tatsachen schuf und der Bundestag nach dem Motto "Friss oder Stirb" nur noch abnicken sollte. DIE LINKE wird dagegen ganz grundsätzlich gegen den Fiskalpakt und den ESM vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Beide Verträge gefährden die Demokratie und mit ihren Kürzungszwängen den Sozialstaat. Sie beschneiden grundgesetzwidrig das Haushaltsrecht des Bundestages. Geht es aktuell politisch darum, Fiskalpakt und ESM zu stoppen, wären auch die Bundesländer gefragt, selbst wenn sie unsere demokratischen und sozialen Sorgen nicht in dem Maße teilen. Die Länder müssen im Bundesrat mehr Mitspracherecht reklamieren und sich wenigstens schützend vor ihre Kommunen stellen. Vor allem die Gemeinden drohen, unter die Räder der europäischen Schuldenbremse zu kommen.

DIE LINKE hat bereits die Verfassungsmäßigkeit des Fiskapakts bezweifelt. Heißt das, der Fiskalpakt geht direkt weiter nach Karlsruhe?

Ulrich Maurer: DIE LINKE hat das Bundesverfassungsgericht darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir, wenn Bundestag und Bundesrat den Fiskalpakt mit den nötigen Mehrheiten beschließen, eine Klage in Karlsruhe einreichen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat daraufhin Bundespräsident Gauck gebeten, die Gesetze nicht sofort zu unterschreiben. Er will dieser Bitte nachkommen, was sehr deutlich macht, auf welch wackeligen Beinen Fiskalpakt und ESM fußen.

Gesetzt den Fall, der Fiskalpakt passiert Karlsruhe. Dann stehen nicht zuletzt auch tausende LINKE-Kommunalpolitker vor der schweren Aufgabe, ihre Gemeinden unter dann noch schwierigeren Bedingungen am Laufen zu halten. Welche Gestaltungsspielräume sehen Sie hier?

Ulrich Maurer: Viele Kommunen stehen jetzt schon vor dem Abgrund. Mit dem Fiskalpakt und den damit verbundenen Einsparungen werden sie einen Schritt weiter sein. Ich möchte es mal bildlich ausdrücken: Momentan haben wir das Problem, dass in Schulen der Putz von den Wänden bröckelt und der Öffentliche Nahverkehr kaum noch finanzierbar ist. Mit dem Fiskalpakt und der Schuldenbremse in den Ländern wird noch weniger Geld in die kommunalen Haushalte tröpfeln. Das heißt: Die Kommunen müssen noch mehr Schulen, Sportstätten, Schwimmbäder schließen, und der Öffentliche Nahverkehr wird schwer beeinträchtigt. DIE LINKE hingegen fordert, dass jetzt endlich die Verursacher und Profiteure der Krise zur Staatsfinanzierung herangezogen werden. Also die sofortige Einführung der Finanztransaktionsteuer, die Einführung einer Reichensteuer und eine Vermögensabgabe auf höchste Geldvermögen. Bildlich gesprochen: Unsere Schuldenbremse ist die Millionärsteuer. Dann können die Kommunen ihre Einrichtungen wieder instandsetzen und Busse und Bahn regelmäßig fahren. Dadurch gäbe es eine gerechte Verteilung zum Nutzen aller, und es schafft Arbeit.

linksfraktion.de, 25. Juni 2012