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»Schneise des Kahlschlags in Niedersachsen«

Interview der Woche von Diether Dehm, Jutta Krellmann,

Jutta Krellmann, niedersächsische Abgeordnete und Sprecherin für Arbeits- und Mitbestimmungspolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, und Diether Dehm, ebenfalls niedersächsischer MdB und europapolitscher Sprecher, über die Lage der griechischen Bevölkerung, den Zusammenhang zwischen deutschem Lohndumping und der Eurokrise, die Fixierung Deutschlands auf den Export und die Situation in Niedersachsen zwei Monate vor der Landtagswahl


EZB, IWF und Euro-Guppe haben in der vergangenen Woche weitere 44 Milliarden Euro für Griechenland zugesagt, der Bundestag hat das Paket noch in der gleichen Woche abgenickt. Ist nun Rettung in Sicht für die Griechinnen und Griechen?

Diether Dehm: Schön wär’s! Ich sag Ihnen mal, was die sogenannten Rettungspakete für die griechische Bevölkerung bedeuten: Für dieses Geld, von dem die Griechinnen und Griechen ja nicht einen Cent sehen, sondern das gleich weiter gereicht wird an Banken und private Gläubiger, wurde Griechenland zu Kürzungen bei Löhnen, Renten und Sozialleistungen in Höhe von 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gezwungen. 2013 und 2014 sollen für das jetzt beschlossene Anpassungsprogramm sieben Prozent des griechischen BIP gekürzt werden, davon zwei Drittel bei Löhnen und Renten. Bis jetzt ist durch die Kürzungen ein Fünftel der griechischen Wirtschaft zerstört worden, die Wirtschaftsleistung in den letzten drei Jahren um knapp 20 Prozent eingebrochen. Die Arbeitslosenrate ist seit 2010 von 9,5 auf fast 25 Prozent gestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt inzwischen bei fast 60 Prozent. Dort grassiert Obdachlosigkeit, immer mehr Menschen sind auf Suppenküchen angewiesen, die Selbstmordrate ist in den letzen beiden Jahren um 40 Prozent gestiegen. Solche Zustände kennt man nur aus Kriegszeiten. So sieht die "Rettungspolitik" von Frau Merkel, IWF und EZB aus.

Im Vorfeld forderten IWF und EZB einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland. Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble lehnen diesen vehement ab. Verstehen Sie deutsche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die sagen "Richtig so"?

Jutta Krellmann: Die Bundesregierung will die deutschen Beschäftigten gegen die griechischen ausspielen und das dürfen wir nicht zulassen. Der Konflikt besteht nicht zwischen deutschen Steuerzahlerinnen und -zahlern einerseits und der griechischen Bevölkerung andererseits. Der Konflikt verläuft zwischen oben und unten. Der brutale Sparkurs in Griechenland setzt schließlich auch unsere Lohn- und Sozialstrukturen abermals unter Druck. Und, Diether hat es gesagt, das Geld geht an die Banken und Vermögenden, also an jene, die mit ihren Monopoly-Geschäften die Krise zu verantworten haben. Wir müssen uns deshalb gemeinsam gegen diese wirtschaftshörige Politik wehren, mit der die Troika und die Merkel-Regierung die Menschen auspressen.

Die Euroländer geben Griechenland nun etwas mehr Zeit. Aber kann Griechenland ohne Schuldenschnitt auf die Beine kommen? Und wer zahlt im Fall der Fälle die Zeche?

Diether Dehm: Nein, kann es nicht. Die Politik von Schwarz-Gelb-Rot-Grün hat doch den Schuldenstand noch um weitere 60 Milliarden erhöht! Eine schrumpfende griechische Wirtschaft kann keine Überschüsse zur Schuldentilgung produzieren. Ein Schuldenschnitt, den wir schon 2010 gefordert haben, hätte den deutschen Fiskus damals nicht einen Cent gekostet, wäre voll zulasten von Banken und privaten Anlegern des griechischen Staates gegangen. Da mit den Milliarden aus den Rettungspaketen aber die privaten Gläubiger frei gekauft wurden, hängen diese Schulden jetzt in den europäischen Staatshaushalten der Geberländer – also bei den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Insgesamt geht es hier um knapp 200 Milliarden Euro. Zahlen müssen dafür hier wie dort die Bürgerinnen und Bürger.

Deutschland exportiert seit Jahren mehr, als es importiert, und ist dank dieser Leistungsbilanzüberschüsse bislang vergleichsweise gut durch die Eurokrise gekommen. Euroland aber ist in der Rezession, die Konjunktur schwächelt. Was kommt da auf uns zu?

Jutta Krellmann: Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse haben ja die Verschuldungskrise mitverursacht und dann angeheizt. Die Überschüsse der einen sind schließlich die Defizite der anderen. Insofern ist es wirklich verlogen, wenn sich die Regierung als europäisches Musterbeispiel lobt. Jetzt dreht sich aber der Wind und die Einbrüche bei der Wirtschaftskraft in Südeuropa, aber auch in anderen Weltregionen, führen zu Rückgängen beim deutschen Export. Gerade in der Metall- und Elektroindustrie bekommen wir das zu spüren, einige Unternehmen mussten bereits wieder auf Kurzarbeit umsteigen. Wenn die Politik nicht endlich umsteuert und den Krisen-Ländern wieder Wachstumsperspektiven eröffnet, droht uns auch in Deutschland ein breiter Arbeitsplatzabbau.

Der Ökonom Heiner Flassbeck sieht das Kernproblem der Währungsunion darin, dass die nationalen Inflationsraten und die Lohnstückkosten in den ersten zehn Jahren auseinandergelaufen sind. Was lief da falsch?

Diether Dehm: Mit der Agenda 2010 wurde deutschen Unternehmen durch Niedriglöhne, Leiharbeit, Befristungen und Minijobs der Weg zum Lohndumping freigemacht. Ergebnis: Der Reallohn für einen durchschnittlich verdienenden Beschäftigten fiel von 2000 bis 2010 um 5,4 Prozent. Die Beschäftigten verdienen im Durchschnitt also weniger als vor zehn Jahren – trotz Anstieg der Produktivität. Das gab es in keinem anderen Land Europas. Die somit sehr billig produzierten Güter exportiert Deutschland vor allem in europäische Länder – die sich wiederum verschulden müssen, um diese Güter einkaufen zu können. Am Ende haben weder die deutschen Beschäftigten etwas von diesem Wettbewerbsvorteil, denn von Niedriglöhnen lässt sich nicht gut und sicher leben, noch die europäischen Nachbarländer, die sich für die Importe deutscher Waren verschulden mussten. Abhilfe schaffen da nur ein gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro die Stunde in Deutschland, die Überwindung von Hartz IV sowie die Rücknahme der Rente erst mit 67. Das wäre gerecht und würde die Konjunktur ankurbeln. Zugleich würde es auch noch den anderen Eurostaaten nützen.

Lohnzurückhaltung und der Ausbau des Niedriglohnbereichs gelten als Grund für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Viele Länder in der Eurozone versuchen, ihre Probleme über Lohnsenkungen zu lösen. Nun sinken die Lohnstückkosten auch dort und die Kanzlerin findet es toll...

Jutta Krellmann: Es ist einfach ungerecht, wenn die Beschäftigten jetzt die Krisenkosten abstottern müssen. Wir sehen ja am deutschen Beispiel wohin das führt – der Niedriglohnsektor zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ist eine soziale Katastrophe. Die Arbeitskraft wird entwertet und viele Beschäftigte werden auf das Gleis der Altersarmut geschickt. Hinzu kommt, dass Lohndumping und sture Exportorientierung das volkswirtschaftliche Gleichgewicht zerrütten.

Wenn Deutschland seinen Exportüberschuss abbauen muss – wie kann das aufgefangen werden?

Jutta Krellmann: Ganz einfach: Durch eine Stärkung der Binnennachfrage und damit der Binnenwirtschaft. Das geht nur, indem wir die Löhne stärken – durch einen guten Mindestlohn zum Beispiel, der nicht unter 10 Euro die Stunde liegt. Oder durch das Verbot schlechter Arbeit, also der Leiharbeit oder der Mini-Jobs. Gute Arbeit könnte ein kräftiger Konjunkturmotor sein. Es muss Schluss mit dem Aufschwung für die Banken, Großaktionäre und Konzerne sein. Wir brauchen jetzt endlich einen Aufschwung für die Beschäftigten, für die Rentnerinnen und Rentner, für die Hartz-IV-Beziehenden und die kleinen wie mittleren Unternehmen.

Sie sind aus Niedersachsen, dort wird am 20. Januar ein neuer Landtag gewählt. Was treibt die Menschen dort um?

Jutta Krellmann: Auch in Niedersachsen hat sich die soziale Spaltung in den vergangenen Jahren vertieft. Die Menschen haben Angst vor Jobverlust und vor Niedriglöhnen. Und sie bekommen mit, dass, wenn sie einen Job haben, dieser immer stressiger wird. Sie müssen immer mehr in immer kürzerer Zeit leisten – das macht krank und die Familien leiden darunter. Gleichzeitig wurde von der schwarz-gelben Landesregierung die soziale Infrastruktur zusammengekürzt – die Bildung, die Gesundheit, die Kultur. In vielen Gesprächen bekomme ich die Wut der Menschen dagegen mit. Sie sehen ja, dass den Banken Billionen in den Rachen geworfen werden und unten nichts ankommt.

Agenda 2010 als Vorbild für Europa – das ist das politische Erbe von Gerhard Schröder, dem einstigen niedersächsischen Ministerpräsidenten und späteren Kanzler. Wie hat sich Niedersachsen seither verändert?

Diether Dehm: 320.000 Menschen in Niedersachsen sind offiziell als erwerbslos gemeldet. Fast eine Viertelmillion Menschen sind auf Hartz IV gesetzt. Nach Erhebungen des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) lebt  in Niedersachsen jedes sechste Kind unter 15 Jahren, das sind 205.000 junge Menschen, auf Sozialhilfeniveau. Niedersachsen ist sowohl unter Wulff als auch unter McAllister einer der Vorreiter des Sozialabbaus in der Bundesrepublik. Die Streichung des Blindengeldes, Suchtberatung, Ehe- und Familienberatung, Hausaufgabenhilfen oder Schuldnerberatung – diese Landesregierung hat eine Schneise des Kahlschlags in Niedersachsen gezogen. Überall hat sie gekürzt. So sind durch Streichungen im sozialen Wohnungsbau von über 90 Millionen Euro sowie der Abschaffung der Wohnraum-Zweckentfremdungs-Verordnung Wohnungen insgesamt teurer geworden.

Und durch die Eurokrise?

Diether Dehm: Tja, so wie die griechische Bevölkerung bluten muss, so sind natürlich auch die Menschen in Niedersachsen von der Finanzkrise betroffen. Im Jahr 2008 haben Finanzmarktspekulanten eine Weltfinanzkrise ausgelöst und die Staaten haben Billionen bereitgestellt, um den Zusammenbruch der sogenannten systemrelevanten Großbanken zu verhindern. Das Ergebnis dessen sieht dann so aus, dass, solange die Spekulanten Gewinne machen, sie diese privat einstreichen – machen sie dagegen Verluste, kommt der Steuerzahler dafür auf. Das Geld, das verschleudert wird, um die Finanzmärkte zu retten, fehlt dann dort, wo es wirklich gebraucht wird: um verrottende Krankenhäuser zu sanieren, um Bildung kostenlos anzubieten oder um die Rente so zu gestalten, dass alle, die ein Leben lang arbeiten mussten, im Alter davon leben können. Deshalb rücken wir das Thema Gerechtigkeit in den Mittelpunkt unserer Wahlkampagne in Niedersachsen. Während die einen selbst in der Krise immer reicher werden, müssen die anderen Kürzungen bei Bildung, Gesundheit und Sozialem hinnehmen. Wir wollen aber, dass sich Politik, statt der Interessen von Spekulanten, der Bedürfnisse und Nöte der Menschen annimmt und für diese etwas tut.
 
Was kann LINKE Politik für die Menschen in Niedersachen bewirken?

Jutta Krellmann: Die LINKE ist die Partei, die wirklich für einen solidarischen Politikwechsel steht. Wenn wir gestärkt in den Landtag einziehen, ist dass ein Stoppzeichen für die anderen Parteien – auch für SPD und Grüne. Die drücken sich vor den sozialen Alternativen. Ein Beispiel sind hier die Studiengebühren, die Rot-Grün erst in zwei Jahren abschaffen will. Die LINKE am 20. Januar zu wählen, bringt Studierenden also allein im nächsten Jahr schon 1000 Euro. Wir haben klare Konzepte und können für die Menschen auch viel erreichen – das gilt es in den nächsten Wochen im Wahlkampf deutlich zu machen.

linksfraktion.de, 4. Dezember 2012