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Schallende Ohrfeige

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

 

Von Sevim Dagdelen, migrations- und integrationspolitische Sprecherin der Fraktion

  Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat endlich mit einer Regelung Schluß gemacht, die Die Linke von Anfang an kritisiert hat: der Nachweis von Deutschkenntnissen im Ausland als Voraussetzung für den Nachzug von Ehepartnern. Diese im Kern diskriminierende Regelung gilt auf Betreiben von CDU/CSU und SPD seit August 2007. Die Zahl der zum Ehegattennachzug erteilten Visa sank infolge der gesetzlichen Hürden um mehr als ein Fünftel, von zuvor knapp 40000 auf etwa 32000 pro Jahr.   Begründet wurde die Einführung der Sprachtests mit einer besseren Integration und dem Kampf gegen Zwangsverheiratungen. Beides waren aber vorgeschobene Argumente. In Wahrheit sollte durch die Neuregelung der Familiennachzug insgesamt erschwert werden; und zwar vor allem von und zu türkischen Staatsangehörigen. Zumindest für diese hat die Schikane nun – hoffentlich – ein schnelles Ende, denn nur für diese gilt das Urteil der Richter in Luxemburg. Diese befanden, daß die Beschränkung des Ehegattennachzugs durch Einführung eines Sprachtests im Ausland ein Verstoß gegen Vereinbarungen zwischen der Türkei und der Europäischen Gemeinschaft war. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2010 in einem Grundsatzurteil noch gegensätzlich entschieden und dafür gesorgt, daß Tausende Ehegatten über Jahre hinweg weiter drangsaliert und voneinander unnötig getrennt wurden.   Die Bundesregierung hatte vergeblich versucht, das Urteil vom Donnerstag mit haarspalterischen juristischen Argumenten zu verhindern. Jetzt ist zu befürchten, daß die Entscheidung in der praktischen Umsetzung unterlaufen wird. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Günter Krings, formulierte in einer Erklärung, das EuGH-Urteil werde »zur Kenntnis« genommen. Die Regierung muß aber ihre seit Jahren irrige Rechtsauffassung klar und eindeutig korrigieren, und sie darf den türkischen Ehepaaren nun keine Steine mehr in den Weg legen.   Das Urteil hat allerdings auch eine Kehrseite. Deutsche Staatsangehörige sind beim Ehegattennachzug nicht nur gegenüber Angehörigen der EU-Länder und der USA, Kanadas, Australiens, Israels, der Republik Korea, Japans und Neuseelands schlechter gestellt, sondern von nun an auch gegenüber denen der Türkei. Diese Absurdität könnte jetzt dazu führen, daß sich hier lebende türkische Staatsangehörige fortan ernsthaft überlegen, ob sie einen Einbürgerungsantrag stellen sollen. Denn mit Erwerb der deutschen und dem Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit verlören sie den Schutz der Rechte des Assoziationsabkommens und wären beim Familiennachzug als Deutsche schlechter gestellt. Grotesk? Ja! Leider wäre es nicht das erste Mal, daß die Bundesregierung das Grundgesetz mißachtet. Es gilt also, Druck zu machen, damit auch diese Diskriminierungen abgeschafft werden.   junge Welt, 11. Juli 2014