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Schäubles Freifahrtschein für die Telekom

Interview der Woche von Jan Korte,

Jan Korte ist für DIE LINKE Mitglied im Innenausschuss des Bundestages und Datenschutzbeauftragter der Fraktion.

Einmal angenommen, Sie wären Chef einer Korte AG: Wie würden Sie reagieren, wenn Mitarbeiter/innen Ihres Unternehmens sensible interne Informationen nach Außen tragen, die der Firma schaden?

Vor allem würde ich im Vorfeld so wenige Daten wie möglich speichern und durch technische Maßnahmen und ein Datenschutz-Gütesiegel versuchen auszuschließen, dass es überhaupt zu Datenmissbrauch kommt. Sollte es doch zu einem Datenleck kommen, würde ich einerseits alle Register des Arbeitsrechts ziehen aber andererseits vor allem nach außen, gegenüber Betroffenen, Mitarbeitern, Kunden und der Öffentlichkeit vollständig Transparenz herstellen, um aufzuklären, den Schaden zu beheben und Vertrauen wieder aufzubauen.

Hat die Politik Konzernen wie der Telekom und Lidl nicht geradezu einen moralischen Freifahrtschein ausgestellt - nach dem Motto: Was Schäuble kann, darf ich auch?

Genau diesen Eindruck kann man bekommen. Tatsächlich gibt es ein gesellschaftliches Klima des Misstrauens, in dem jeder verdächtig ist und flächendeckende Überwachung als vermeintliche Lösung daher kommt. Das betrifft Politik und Wirtschaft gleichermaßen. Hier muss gegengesteuert werden und der Überwachungsdruck insgesamt abgebaut werden. Da sind auch die Gewerkschaften gefragt. Sonst bekommen wir mittelalterliche Zustände in den Betrieben.

Nun ist doch aber Wolfgang Schäuble per se kein schlechter Mensch. Was treibt ihn an?

Ich weiß nicht, was Wolfgang Schäuble antreibt. Immerhin ist er auch der Verfassungsminister. Dennoch ist er offenbar von einem unendlichen Misstrauen gegenüber allen getrieben und bringt ständig Gesetze ein, die das Verfassungsgericht später kassiert. Erklären kann man das aber nicht.

Wenn die Vorratsdatenspeicherung bei der Bekämpfung von Terrorismus und schweren Verbrechen entgegen der Behauptung von Union und SPD unnötig ist, müssen die Großkoalitionäre doch noch etwas anderes damit verfolgen. Was?

Das frage ich die Bundesregierung in jeder Bundestagssitzung. Eine befriedigende Antwort hat es leider nie gegeben. Das betrifft ja auch nicht nur die Vorratsdatenspeicherung, sondern auch die Videoüberwachung, den biometrischen Pass und vieles mehr. Gerade der biometrische Pass ist unsicherer als der alte Pass. Union und SPD hängen einem grotesken Irrglauben an, dass flächendeckende Überwachung alle Probleme löst. am liebsten würden sie sich in die Gehirne der Menschen einklinken. Insgesamt brauchen wir eine unabhängige Überprüfung aller Sicherheitsgesetze, um zu schauen, was nützt und was schadet. Erst dann kann man zu einem schlüssigen Bild kommen.

DIE LINKE setzt in den sozialen Bereichen auf den Staat. Bei sicherheits- und innenpolitischen soll dieser möglichst außen vorbleiben.

Falsch. DIE LINKE wendet sich gerade im Sicherheitsbereich gegen Privatisierung, wie beispielsweise an den Flughäfen, wo private Sicherheitsfirmen für erhebliche Risiken sorgen. Sicherheit muss für alle da sein und nicht nur für die, die es sich leisten können. Deshalb sehen wir diesen Bereich ausschließlich in der Hand des Staates. Wichtig ist aber, die Balance zu wahren. Der Staat muss nicht nur für Sicherheit sorgen, sondern auch die Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger schützen. Diese Balance kippt derzeit. Das ist das Problem.

Sie fordern jetzt eine Stärkung des Datenschutzes. Gibt es überhaupt noch eine gesellschaftliche Instanz, die diese Aufgabe ausfüllen kann?

Ja, das sind einerseits die unabhängigen Datenschutzbeauftragten, denen wir gerne ein moderneres Datenschutzrecht an die Hand geben wollen, das zum Beispiel Strafen für Datenmissbrauch vorsieht. Mindestens genauso wichtig sind aber die Bürgerinnen und Bürger selbst. Sie müssen selbst die Verteidigung ihrer Grundrechte in die Hand nehmen. Angesichts der ständigen Angriffe auf die Grundrechte ist es Zeit für eine neue Bürgerrechtsbewegung.

linksfraktion.de, 2. Juni 2008