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Sachsen im August - kein Sommermärchen

Im Wortlaut von Katja Kipping,

 

Von Katja Kipping, Dresdner Abgeordnete und sozialpolitische Sprecherin der Fraktion

 

Wie hoch der Anteil von ehrenamtlichen Helfern ist, möchte ich von dem DRK-Mitarbeiter wissen, der mich bei einem Rundgang durch die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge begleitet. 95 Prozent sagt er und fügt hinzu, dass sich das auf Dauer nicht durchhalten lässt. Klar - die Leute müssen ja auch auf Arbeit, haben Familie. Und dennoch – von Überforderung oder Stress ist nicht viel zu spüren, im ehemaligen Baumarkt am Rande von Heidenau. Weder bei den Helfern von DRK und THW, die eine großartige, aufopferungsvolle und für viele von ihnen völlig neue Arbeit leisten, noch bei den Flüchtlingen. Etwa 350 Menschen sind es momentan, zu 70 Prozent kommen sie aus der Hölle des Bürgerkriegs in Syrien. Stress gab es am Wochenende draußen vor der Unterkunft, die inzwischen mit einem Zaun, an dem weiße Plastikplanen befestigt sind, umrandet ist. Blickdicht. Nicht, weil es etwas zu verbergen gäbe – sondern weil man verhindern möchte, dass die Flüchtlinge – viele Familien mit kleinen Kindern – etwas von dem Hass mitbekommen, der sich am Wochenende vor der Unterkunft entladen hat und vor dessen Wiederausbruch man nicht sicher sein kann.

Ich bin in Heidenau, jener Stadt, die fast nahtlos an Dresden klebt und die es im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht zu weltweiter Bekanntheit gebracht hat. Nicht durch ihre schöne Lage im Elbtal, sondern durch einen grölenden, mit Flaschen und Böllern werfenden rassistischen Mob, der es nicht ertragen kann, dass für etwa 600 Flüchtlinge die erste sichere Zwischenstation auf einer lebensgefährlichen Flucht aus dem Bürgerkrieg nun Heidenau heißt. Ein Mob, der sich offensichtlich der Unterstützung durch einen Teil der Heidenauer sicher sein kann. „Drüben, auf dem Wiesenhang am Freibad, da haben sie gestanden. Grüppchen „besorgter Bürger“ aus Heidenau, und haben den randalierenden Nazis applaudiert“, sagt mir ein Genosse aus Heidenau und schüttelt den Kopf.

Dabei gibt es nichts, was man den Menschen in der kahlen Halle neiden könnte. Nicht die stickige Luft, nicht den Schall, der jedes Geräusch reproduziert, nicht die schmalen Feldbetten, die in langen Reihen nebeneinander stehen, nicht das Abendessen, das gerade ausgegeben wird. Ich stehe zwischen den Biertisch-Garnituren und schaue auf die Pappteller, die vor den Menschen auf den Tischen stehen. Zwei Scheiben Toast, ein Brötchen, zwei Scheiben Wurst, je ein Stück Gurke und Tomate und ein Klecks Krautsalat. Tag für Tag. Ein kleines Mädchen zupft an meiner Bluse und ich schaue in ein grienendes Gesicht. Ich griene zurück, obwohl mir eigentlich zum Heulen ist. Meine Tochter ist im gleichen Alter und grient auch so. Schon wuselt die Kleine davon und ich hoffe, dass sie nichts mitbekommen hat, von dem, was sich in den Nächten davor um die Unterkunft abgespielt hat.

Unten, wo früher Gartengeräte, Blumenerde und Balkonpflanzen verkauft wurden, stehen die Sanitärcontainer. Viel zu wenige, wie der Mann vom DRK sagt. Im Moment geht es gerade so – aber es sollen ja bis zu 600 Menschen werden, die für Monate hier leben müssen. Draußen, im Freibereich, vor einer Reihe Dixi-Toiletten spielen junge Männer Fußball. Auch zwei etwa 6jährige Jungs haben einen Ball ergattert. Einer meiner Genossen kickt ein wenig mit ihnen. Ernst zeigt einer der Jungs auf seine Gummischlappen, die er zum Spielen ausgezogen und an den Rand gestellt hat - und dann auf seine Brust. Es sind seine Schuhe, sie sind ihm wichtig, in ihnen ist er durch die halbe Welt gelaufen.

So wichtig es mir ist, hier gewesen zu sein – ich bin froh, wieder draußen auf dem Parkplatz zu stehen. Ich gebe zwei Interviews, sage, dass es wichtig ist, für die Menschen, vor allen Dingen die Familien, mehr Privatsphäre zu schaffen, den Kindern Möglichkeiten zu geben, sich auszutoben. Und das vielleicht Wichtigste: Schnellstens in den Schulen aufzuklären, Kontakte mit den Flüchtlingskindern zu schaffen, den deutschen Kindern zu vermitteln, warum Menschen flüchten, aus erster Hand. Kinder sollen ihre Ängste, ihre schlimmen Erlebnisse ihren Altersgefährten mitteilen können. Aus den besoffenen Pöblern, von denen sich wieder einige auf der anderen Straßenseite aufgebaut haben, wird man die Dummheit nicht mehr rausbekommen. Um so wichtiger ist es für die Zukunft, erst gar keine rassistischen Gedanken in die Köpfe der jungen Generation hineinzulassen.

Still ist es im Auto, als wir zurück nach Dresden fahren. Dann ein Anruf, noch ein Interview am Telefon. Die ersten Häuser der sächsischen Landeshauptstadt kommen in Sicht. Hier bin ich geboren und aufgewachsen. 3000 Menschen laufen in der Innenstadt gerade hinter Lutz Bachmann her. Es ist Montag, Pegida-Tag – und meine Wut kämpft mit meiner Müdigkeit.

 

linksfraktion.de, 25. August 2015