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Revolutionäre Tat in Merkels Wahlkreis

Kolumne von Steffen Bockhahn,

Von Steffen Bockhahn, im Wahlkreis Rostock direkt gewählter Bundestagsabgeordneter und für DIE LINKE Mitglied des Haushaltsausschusses

Es ist Montagmorgen kurz nach halb drei in der Nacht. Außer dem Fahrer der Bäckerei nebenan ist kaum einer auf der Straße. Aber an ein paar Orten im Land treffen sich Leute, weil sie nach Stralsund wollen. Auf der neuen Rügenbrücke ist eine Aktion geplant. Noch nicht mal Greenpeace hat dieses Wahrzeichen für sich erobert. Es ist ein wenig riskant und viel darf nicht schief gehen. Aber alles ist genau geplant. Eine Stunde später Treffen sich ein gutes Dutzend Leute an der Volkswerft in Stralsund an einem Tieflader, auf dem eine große Hebebühne steht. Letzte Details werden besprochen und dann geht es los. Um vier Uhr rollen Autos auf die Mittelspur der Rügenbrücke, im Herzen des Wahlkreises der Kanzlerin. Mit leuchtenden Warnwesten machen sie die Autofahrer, die so früh unterwegs sind, auf die Aktivisten aufmerksam und bitten um Rücksicht. Die zwei Männer auf der Hebebühne machen sich auf den Weg nach oben. In fast 40 Metern Höhe werden sie an der ersten Querstrebe ein gigantisch großes Transparent anbringen. Auf etwa 200 Quadratmetern steht die klare Botschaft: "Ihnen einen schönen Urlaub. Der Kellnerin einen guten Lohn."

Fast die Hälfte aller Angestellten in Mecklenburg-Vorpommern arbeitet im Niedriglohnbereich. Bei den unter 25-Jährigen sind es sogar drei Viertel, die mit weniger als 1.206 Euro brutto im Monat für eine Vollzeitstelle nach Hause gehen. Besonders im Bereich von Tourismus und Gastronomie werden erschreckend niedrige Löhne gezahlt. Oft müssen Kellnerinnen und Kellner, Zimmermädchen oder Hausmeister zum Jobcenter und als Aufstocker Hartz IV-Leistungen beantragen. Obwohl sie 40 Stunden die Woche hart arbeiten. Insgesamt 13 Milliarden Euro werden in Deutschland pro Jahr an Aufstocker aus Steuergeldern gezahlt, weil die Unternehmen ihre Angestellten zu Hungerlöhnen arbeiten lassen.

13 Milliarden Euro - in Ziffern sieht das so aus: 13.000.000.000 Euro -, die an anderen Stellen fehlen. Bei Jugendclubs, Schulen, Sport- und Kulturvereinen müssen die Kommunen deswegen streichen, denn sie zahlen diese Zuschüsse zum großen Teil allein. So werden diese Niedriglöhne nicht nur für die Betroffenen zu einer Würdelosigkeit. Sie führen auch zu gravierenden Problemen für die gesamte Gesellschaft, weil so alle darunter leiden müssen. DIE LINKE fordert deswegen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, der ein Leben in Würde ermöglicht. Er würde den Angestellten mehr Geld im Portemonnaie verschaffen und so auch wieder dazu beitragen, dass mehr Geld im Umlauf ist.

Wenn Bundestagsabgeordnete künftig knapp 600 Euro mehr bekommen als heute, dann wird dieses Geld sicher vor allem auf den Konten der Abgeordneten landen. Anders wenn die Beschäftigten im Niedriglohnbereich mehr bekommen würden. Sie würden mit dem Geld mehr einkaufen, mehr Dienstleistungen, mehr Sport und Kultur geniessen. Das wiederum schafft neue Arbeit in eben diesen Bereichen, die dringend gebraucht wird.

Na klar, es ist Sommer und alle wollen Urlaub machen. Aber DIE LINKE wird auch in den kommenden Wochen auf die Probleme mit dem Niedriglohn aufmerksam machen, nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern. Fragen Sie doch mal im Urlaub die Kellnerin, ob sie von ihrem Lohn leben kann. Fragen Sie doch mal den Koch, ob er noch ein normales Familienleben haben kann, wenn er Mittags und Abends arbeiten muss und dazwischen am Nachmittag unbezahlt Pause machen muss. Auf diese Weise ist er den ganzen Tag unterwegs, sieht seine Familie nicht und kann noch nicht einmal von seinem Lohn leben. Das ist die Politik von CDU/CSU und FDP. DIE LINKE dagegen will, dass alle von ihrer Arbeit leben können. Dazu braucht es einen gesetzlichen Mindestlohn, eine massive Beschränkung der Leiharbeit und wieder eine stärkere Tarifbindung der Unternehmen.

Nach etwa fünf Stunden hatten die Behörden das Transparent wieder abnehmen lassen. Dieser Hinweis auf die Realitäten im Land scheint für einige Beamte nur schwer zu ertragen gewesen sein. Aber bekanntlich sagte schon Rosa Luxemburg, dass die revolutionärste Tat die ist, zu sagen was ist.