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Revolution ohne Bahnhofsbesetzung

Im Wortlaut von Petra Pau,

Petra Pau über neu-linke Macken und Kampagnen gegen bürgerrechtliche Ansprüche

Petra Pau ist seit 1998 direkt gewählte Abgeordnete, von 2002 bis 2005 vertrat sie die PDS allein mit Gesine Lötzsch als fraktionslose Abgeordnete, nachdem die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war. Jahrelang war sie PDS-Landesvorsitzende in Berlin, in der 2007 gegründeten Linkspartei gilt sie als unabhängige, aber dem Reformerflügel nahestehende Politikerin. Mit der Vizepräsidentin des Bundestages sprach für ND Uwe Kalbe.

Es gab Zeiten, da hat man von Petra Pau öfter gehört und gelesen. Sie haben hörbar stimmliche Probleme, ist das der Grund für Ihre Zurückhaltung?

Petra Pau: Ich leide seit anderthalb Jahren an einer Erkrankung der Stimme. Und ich arbeite an Besserung.

Danke, dass Sie sich dennoch zum Interview entschlossen haben. Ist es der Zustand Ihrer Partei, der Sie dazu veranlasst?

Meine Partei führt mich regelmäßig in Versuchung. Aber man muss nicht in jedes Mikrofon beißen, das einem hingehalten wird. Allerdings mehren sich Fragen, ob ich nichts mehr zu sagen habe oder nichts mehr sagen dürfe. Beides ist natürlich Quatsch, also auf zum ND-Interview.

Welches Bild bietet denn die Linkspartei?

Nicht gerade ein optimales. Zuwenig treten wir inhaltlich in Erscheinung. Wir haben zwei Markenzeichen: Partei der sozialen Gerechtigkeit und Antikriegspartei. Was noch nichts über die Kompetenz aussagt, die uns zugestanden wird. Ein drittes ist innerparteilich umstritten. Es werden regelrechte Flügel-Kampagnen gegen meinen Anspruch geführt, die LINKE müsse zugleich eine moderne sozialistische Bürgerrechtspartei sein. Allemal im Internet-Zeitalter mit seinen neuen Chancen und Herausforderungen. Aber wir haben nicht nur inhaltlich Defizite. Zu selten werben wir für uns, auch mal überraschend, interessant für Menschen, die nicht auf Parteiveranstaltungen der LINKEN Stammgast sind.

Aber die Partei überrascht die Öffentlichkeit regelmäßig.

Leider oft mit immer neuen Varianten eines internen Streits, der dann auch noch medial verschlagzeilt wird, zu selten in der Sache und sachlich. Mit dem Super-GAU in Japan ist plötzlich die überfällige Energiewende gesellschaftlich relevant geworden. Selbst die Bundeskanzlerin hat eine Kehrtwende hingelegt. Ob die Grünen wahlarithmetisch vermeintlichen Nutzen aus dieser Katastrophe ziehen, sollte uns nicht in erster Linie interessieren. Eine Schmollecke taugt ohnehin nicht zum Aufbruch. Es geht um die Frage, welche spannenden Alternativen hat die LINKE zu bieten.

Sie will den Ausstieg aus der Atomenergie ins Grundgesetz schreiben und die Energiewende sozial gestalten. Ist das nichts?

Das ist wichtig. Aber warum nicht noch weiter gehen? Warum nicht die Solarrevolution zum Projekt der Partei machen? Solarenergie ist eine zutiefst antikapitalistische Herausforderung. Mit ihr können das Monopol der Energiekonzerne gebrochen und demokratische Strukturen gewonnen werden. Nicht die Debatte um schnellste Abschaltung der Atomkraftwerke entscheidet den gesellschaftlichen Diskurs. Wir sollten eine realistische Revolution im 21. Jahrhundert befördern – ohne Telegrafenämter oder Bahnhöfe besetzen zu wollen, die es längst nicht mehr gibt.

Besetzungen haben große Symbolkraft, Schienenbesetzungen bei Castor-Transporten etwa. Muss die LINKE das nicht unterstützen?

Das tut sie, Gregor Gysi vornweg auf dem Traktor im Wendland. Interessant daran ist bestenfalls: Als es um Castor-Transporte im Osten und um Proteste dagegen in Greifswald ging, waren wir Ossi-Linken plötzlich unter uns.

War es deshalb falsch? Wie wichtig ist das Verhältnis der Partei zu den außerparlamentarischen Bewegungen?

Wir ersetzen nicht die außerparlamentarischen Bewegungen, weder die Partei, noch unsere Fraktionen. Wir sind auch nicht diejenigen, die soziale Bewegungen im Parlament aufführen. Wir sind Akteure auf unterschiedlichen Ebenen. Die Fraktion kann beim Thema Mindestlohn auch über die defensiven Vorstellungen der Gewerkschaften hinausgehen. Oder bei Ost-West-Löhnen, wo Gewerkschaften die Einheit versagen.

Was sagt Vizepräsidentin Pau zu Plakataktionen im Plenarsaal?

Es nutzt sich ab und langweilt dann. Es gibt allerdings Ausnahmen. Erst die Aktion meiner Fraktion zum Bombenangriff am Kundus-Fluss in Afghanistan hat den Opfern des Luftangriffs einen Namen gegeben. Sie waren auf den Schildern zu lesen.

Was, wenn Sie diese Sitzung hätten leiten müssen?

Ich hätte die Regularien des Parlamentes anwenden müssen.

Seit Kurzem liegt ein Leitantrag zum neuen Programm vor. Die Vorsitzenden hoffen, dass die schwierigen Kompromisse darin nicht wieder aufgeschnürt werden. Wird sich die Partei daran halten?

Ein Dank vorweg: Das »Neue Deutschland« hatte vor Jahresfrist mit eigenen Beiträgen die programmatische Debatte belebt, als andere sie schon für beendet erklären wollten. Zweitens: Es gibt nun einen Leitantrag des Vorstands an den Parteitag. Er ist drittens Grundlage für das ganz normale Antragsverfahren.

Fängt der Ärger von vorn an?

Natürlich weiß jeder, der an Kompromissen beteiligt war, was er gegeben und was er bekommen hat und warum dieses Komma nicht versetzt werden darf oder jenes Wort so und nicht anders formuliert wurde. Trotzdem ist es demokratischer Brauch zu versuchen, ein Programm im Antragsverfahren noch zu verbessern.

Wo liegen die Mängel des derzeitigen Entwurfs?

Vieles ist schon geglückt. Für ganz wichtig halte ich, dass der Bruch mit dem Stalinismus als System im Programmentwurf steht. Da wurde lange über Gulag und Zwang und Personenkult diskutiert. Das ist Stalinismus, aber Stalinismus als System meint mehr. Auch mehr, als Oskar Lafontaine jüngst umschrieb. »Stalinismus« beginnt beim Selbstverständnis von Parteien, beim Versuch, Wahrheiten zu dekretieren oder Widerspruch zu unterdrücken, beim Umgang miteinander und mit Andersdenkenden.

Ist der Streit der Linkspartei Überbleibsel des Stalinismus?

Nein! Aber lies nie in alten Papieren. Ich habe es dennoch getan. Immer wieder gab es in der PDS Appelle, sich auf eine neue Streitkultur zu besinnen. Die Mahnungen sind heute dringender denn je.

Ist Streit das Schicksal linker Parteien?

Natürlich. Die LINKE will mehr, als alle anderen Parteien. Wir wollen einen gesellschaftlichen Systemwechsel. Aber bei allen streitwürdigen Zuspitzungen habe ich seit 1990 nie erlebt, dass sich Parteivorstandsmitglieder mit einer Drohung vor Gericht attackiert hätten. Das ist kulturlos.

Sie spielen auf eine Unterlassungsdrohung von Diether Dehm gegen Rosemarie Hein an.

Ja, und ich kann in dem Zusammenhang nur auf Korinther 1.6 verweisen.

Ich bin nicht bibelfest.

Das ist mir auf dem Kirchentag begegnet. Es geht darum, dass man sich innerhalb der christlichen Gemeinde – also übersetzt: in der Gemeinde von Gleichgesinnten – nicht vors weltliche Gericht zerrt.

Um stattdessen in den Parteigremien übereinander herzufallen und den Programmentwurf voreinander zu schützen?

Der Programmentwurf hat eine typisch neu-linke Macke. Er ist eben nicht emotionsgeladen.

Sollte er?

Ja, uns muss doch auch interessieren, wie viel Begeisterung unsere Texte vermitteln. Sprachlich ist er kalt, halt ein Ergebnis undurchschaubarer Kompromisse. Was man da liest, reißt mich nicht vom Hocker, gewiss auch keine Massen. Das Kommunistische Manifest beginnt mit dem Satz: »Ein Gespenst geht um in Europa ...« Bei der LINKEN steht am Anfang der spröde Satz: »Die LINKE steht für Alternativen...«. Das Gespenst bewegte sich wenigstens. Wie wäre es stattdessen mit dem – siehe sozial-ökologische Wende – brisanten Satz: »Die Sonne strahlt für alle, sie ist eine Linke...«?

Oho, Poesie statt Klassenkampf.

In der Solarenergiewende steckt mehr Revolution als in manch einem Papier selbsternannter Antikapitalisten. Ich werde den Parteitag nicht mit sprachlichen Anträgen nerven. Aber unsere Debatten könnten einen weiteren Horizont vertragen. Die sozialökologische Wende zum Beispiel, die im Programmentwurf aus meiner Sicht noch zu versteckt ist, birgt radikale Chancen für mehr Demokratie, gegen Ausbeutung und Kriege.

Auch ein Grundkonflikt der Partei. Sind neue Antworten auf neue Herausforderungen nötig oder gilt es die alten Antworten der Partei nur besser zu vermitteln?

Beides ist wichtig. Da gibt es einen großen Vorrat an Antworten, die wir als PDS gesucht und gefunden hatten. Für andere, die seit 2007 DIE LINKE prägen, sind das vermeintlich alte oder falsche Antworten. Ein klassisches Beispiel ist der »Öffentlich geförderte Beschäftigungssektor«. Im Land Berlin ist er ein linkes Alternativprojekt zu »Hartz IV«. Im Parteiprogramm rangiert er unter »wir können ja mal darüber reden«.

Reden ist ja manchmal schon viel. Galt die Bundestagsfraktion früher als schöpferischer Ort in der Partei, sind die Fronten dort inzwischen auch verhärtet.

Ab 2005 hatte die Fraktion eine besondere Rolle. Sie musste inhaltliche Kontroversen austragen, stellvertretend für die zu gründende Partei. Fast allen Abgeordneten war die Verantwortung bewusst, die sie für das Ganze trugen. Seit 2007 haben wir die Partei DIE LINKE, mit einem gewählten Parteivorstand. Die programmatische Arbeit ist nun deren Sache. Das übersehen Fraktionäre manchmal.

Die Fraktion sollte der Partei den Programmstreit überlassen?

Programmatische Positionen neu zu justieren, ist Sache der Partei. Das schließt nicht aus, dass Fragen im Parlament behandelt werden, auf die die Partei noch keine abschließenden Antworten gefunden hat. Das ist Gesine Lötzsch und mir auch so ergangen, als Einzelkämpferinnen in unserer fraktionslosen Zeit im Bundestag von 2002 bis 2005.

Ihre Aufgaben sind jetzt verschiedene. Tut die Parteivorsitzende Ihnen manchmal leid? Oder schütteln Sie den Kopf?

Weder noch. Jede hat heute ihre Aufgabe, und natürlich sprechen wir miteinander, auch über Probleme. Aber das breite ich nicht in Medien aus.

Die Fraktion war so eine Art Laboratorium für die Partei. Ist der Versuch gescheitert?

Nein, nicht gescheitert. Aber auch nicht gemeistert.

Es sind Umstrukturierungen des Fraktionsvorstandes geplant. Wird dies die Lage entspannen?

Ich weiß es nicht, ich hoffe es.

Die Ausschussvorsitzenden des Bundestages aus der Linksfraktion sollen künftig nicht mehr Vorstandsmitglieder sein. Gilt das auch für die Vizepräsidentin?

Die Fraktion hat entschieden, dass ich Mitglied im Fraktionsvorstand bleibe, so wie es in allen anderen Fraktionen aus guten Gründen auch üblich ist.

Und Sie werden die Funktion bis zum Ende der Legislaturperiode ausüben, trotz Krankheit?

Ja, selbstverständlich. Als Linke. Das Präsidium wird übrigens am Beginn einer Legislatur durch die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages gewählt. Ich arbeite daran, meine Verpflichtungen als Vizepräsidentin auch wieder stimmlich vollständig auszufüllen. Und ich werde dabei von allen Mitgliedern des Präsidiums des Deutschen Bundestages sehr solidarisch unterstützt.

Neues Deutschland, 25. Juli 2011