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Rente mit 67 schafft nur neue Probleme

Im Wortlaut,

Verbände und Wissenschaftler üben bei einer Anhörung der Linksfraktion Kritik an Regierungsplänen

Die Linksfraktion im Bundestag hat auf einer Anhörung in Berlin gestern ihre Kritik an der Rente mit 67 erneuert. Dafür erhielt sie Zustimmung von Verbänden und Experten.

Gregor Gysi ist erfreut, dass die IG Metall ihre Kritik an der Rente mit 67 mit bundesweiten Protesten zum Ausdruck bringt und dazu »kleine politische Streiks« durchführt. Der Linksfraktionschef hält es für bedenklich, dass alle anderen Fraktionen das Renteneintrittsalter heraufsetzen möchten, während zwei Drittel der Bevölkerung dies ablehnten. Gysi erklärte am Rande einer Anhörung seiner Fraktion, es gehe lediglich um eine »Kürzung der Renten«.

Hans-Jürgen Urban, Leiter der Grundsatz-Abteilung im IG-Metall-Vorstand, verwies darauf, dass Investoren auf eine Verschärfung der betrieblichen Arbeitswelt drängten - deshalb sei es für die Beschäftigten nicht auszuhalten, zwei Jahre länger zu arbeiten. Zu befürchten sei außerdem eine Verschärfung der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Um den Betroffenen ein längeres Arbeiten zu ermöglichen, müssten 1,5 bis 3 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Dies sei nicht zu erwarten. Urban berichtete von einer sehr großen Zustimmung der Kollegen zu den Rentenprotesten. Es handle sich aber lediglich um »Diskussionen während der Arbeitszeit«. Damit man sich besser unterhalten könne, müssten die Maschinen nun mal abgeschaltet sein.

Auch Wissenschaftler übten Kritik an den Rentenplänen der Bundesregierung. Brigitte L. Loose von der Deutschen Rentenversicherung Bund äußerte erhebliche Bedenken gegenüber der Regelung, dass Beschäftigte nach 45 Versicherungsjahren unabhängig vom Alter abschlagsfrei in Rente gehen können. Damit will die Regierung verhindern, dass Beschäftigte mit schwerer körperlicher Tätigkeit bis 67 arbeiten müssen. Loose verwies darauf, dass Gruppen wie die gerne als Beispiel angeführten Dachdecker heute häufig vorzeitig erwerbsunfähig sind und es nicht auf die verlangten 45 Jahre bringen. Von der Regelung würden eher Leute mit weniger schwerer Tätigkeit profitieren, die ohnehin überdurchschnittliche Renten erwarten könnten. Loose schlug als eine mögliche Alternative vor, auf tariflicher oder betrieblicher Ebene für die 45er Regelung Gruppen zu definieren, für die Arbeitgeber zusätzliche Beiträge in die Rentenversicherung entrichten müssten.

Prof. Gerhard Bosch von der Universität Duisburg-Essen sprach sich für einen flexiblen Renteneintritt und die Weiterentwicklung der bestehenden Altersteilzeit aus. Das Problem der immer stärkeren Differenzierung beim Renteneintritt und der Dauer des Rentenbezuges ist aus seiner Sicht aber nur mittels einer adäquaten Arbeitsmarktpolitik zu lösen. Man könne von Schweden lernen, wo die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen deutlich höher sei als in Deutschland. Dort fördere die Politik seit Jahrzehnten die Gleichstellung, die Integration von Zuwanderern und lebenslanges Lernen; außerdem gebe es keine Altersdiskriminierung bei Einstellungen.

Wenig Begeisterung für die Rentenproteste der IG Metall hatte indes Prof. Winfried Schmähl von der Universität Bremen. Dies seien lediglich »Nachhutgefechte«. Die eigentlichen Einschnitte habe es bei den Reformen 2001 und 2004 gegeben, die »mitgetragen« worden seien. Das Leistungsniveau sei gesenkt und die Gefahr von Altersarmut massiv erhöht worden. Außerdem hätten Staat und Unternehmen Rentenausgaben auf die verunsicherten Bürger abgewälzt. Für Schmähl geht es darum, endlich die Grundsatzdiskussion darüber zu beginnen, was die Rente mit ihrer Lohnersatzfunktion in Zukunft leisten soll.

Von Kurt Stenger

Neues Deutschland, 31. Januar 2007