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»Rente mit 67« ist in der Krise erst recht nicht vertretbar

Interview der Woche von Volker Schneider,

In der letzten Sitzungswoche der Legislatur soll noch einmal über die Rente mit 67 abgestimmt werden. Wird die SPD die Chance zu einem Kurswechsel nutzen?

Ausgerechnet die SPD? Da habe ich doch meine Zweifel. Zwar ist die SPD 2005 in den Wahlkampf gezogen mit der Aussage, dass das Renteneintrittsalter nicht angehoben werden sollte. Aber die treibende Kraft hinter dem Projekt »Rente mit 67« war Franz Müntefering, der auch im Alleingang den Zeitpunkt, zu dem jeder bis 67 arbeiten soll, um 6 Jahre vorgezogen hat. Und auch Olaf Scholz ist bisher eher als Rente-mit-67-Hardliner aufgetreten.

Es gibt Sozialdemokraten, die davon ausgehen, dass die Rente mit 67 aufgrund der in der Krise steigenden Arbeitslosenzahlen nicht wie geplant umgesetzt werden kann. Ist das realistisch?

Die Einschätzung dieser leider nur wenigen Sozialdemokraten in der großen Masse der Rente-mit-67-Befürworter teile ich. Nach der im Gesetz formulierten Prüfklausel soll erstmals 2010 (also erst nach der nächsten Bundestagswahl!) alle 4 Jahre überprüft werden, ob die Anhebung der Regelaltersrente »weiterhin« vertretbar erscheint. Dabei ist die Entwicklung der Arbeitsmarktlage sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation älterer Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Wenn nicht einmal die größte Wirtschaftskrise seit 80 Jahren zu dem Ergebnis führt, dass die Anhebung der Regelaltersgrenze zumindest aktuell nicht zu vertreten ist, war diese Klausel von Anfang an nichts anderes als eine Beruhigungspille.

Der »Tagesspiegel« berief sich letzte Woche auf ungenannte Arbeitsmarktexperten, die der Meinung sind, dass sich die Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessern wird. Alles halb so wild?

Mit so einer Prognose würde ich als »Arbeitsmarktexperte» auch ungenannt bleiben wollen. Seriös ist etwas anderes. Niemand ist derzeit in der Lage einigermaßen verlässlich zu prognostizieren, wie sich die Arbeitslosigkeit bis 2012 - der Zeitpunkt zu dem der Einstieg in die Rente mit 67 erfolgen soll - entwickeln wird. Befürchtet wird ein Anstieg auf 4,5 bis 5 Millionen bis 2010. Dass und wie sich dabei ausgerechnet die Situation älterer Arbeitsloser verbessern soll, ist mir ein Rätsel. Und alles, was über diesen Zeitraum heraus geht, ist doch reine Kaffeesatzleserei.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages hat beschlossen, Unternehmen die Sozialabgaben für Kurzarbeit komplett aus der Arbeitslosenversicherung zu zahlen, wenn in einem Betrieb des Konzerns die Kurzarbeit länger als sechs Monate andauert. Das deutet nicht auf eine Entspannung des Arbeitsmarktes hin.

Es ist schon erstaunlich: Bei Leistungen für die Unternehmen geht die Bundesregierung auf Nummer sicher, während die älteren Arbeitnehmer das Risiko selbst zu tragen haben. Aktuell sind überhaupt nur etwas mehr als 10 Prozent der 64- und weniger als 20 Prozent der 63jährigen in Beschäftigung. Die Arbeitslosigkeit der über 55jährigen ist in jedem Monat dieses Jahres um mehr als 18 Prozent gestiegen. Wird 2012 die erste Stufe der Rente mit 67 eingeführt, wird dies - und dazu braucht man kein Prophet zu sein - für mehr als 80 Prozent der Neurentner eine lebenslange Kürzung ihrer Rente um 0,3 Prozent bedeuten, wobei diese Kürzung in den Folgejahren jedes Jahr um zunächst 0,3 und später um 0,6 Prozent steigen wird.

Ein anderes Argument für die Rente mit 67 lautet, dass ohne sie die Rentenversicherungsbeiträge stark steigen müssten. Was entgegnen Sie darauf?

Die Deutsche Rentenversicherung (und nicht DIE LINKE!) beziffert den Einspareffekt in der Endstufe, also erst nach 2029, auf 3 bis 5 Milliarden Euro. Das bedeutet in Beitragssatzpunkten eine Ersparnis von maximal 0,5 Beitragspunkten oder anders gesagt, jeder Arbeitnehmer könnte für ein viertel Prozent Beitrag mehr aus seiner Tasche sich gegen das Risiko versichern, seine Rente um 14,4 Prozent gekürzt zu bekommen. Ich kenne keinen Arbeitnehmer, der nicht bereit wäre, diese Erhöhung seines Beitrags in Kauf zu nehmen.

Was ist in der Rentenpolitik nach der Wahl im September zu erwarten?

Es gibt eine Aussage des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses Otto Fricke (FDP), die nicht Gutes erahnen lässt. Seiner Meinung nach belasten die Folgen der Finanzkrise die künftigen Generationen, deshalb müssten die Rentnerinnen und Rentner einen Solidarbeitrag leisten. Dieser Meinung haben sich bereits einige SPD und CDU-Politiker angeschlossen. Diejenigen, die durch die Spekulation Kasse gemacht haben, sollen also ungeschoren bleiben, Rentnerinnen und Rentner und wahrscheinlich auch Arbeitslose, Arbeitnehmer und andere an Krise überhaupt nicht Beteiligte sollen die Rechnung bezahlen, und danach geht es mit der Zockerei an den Finanzmärkten munter weiter. Deshalb brauchen wir nach der nächsten Bundestagswahl eine noch stärkere LINKE!

www.linksfraktion.de, 29. Juni 2009