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Reichtum umFAIRteilen - in Deutschland und Europa

Rede von Gregor Gysi,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wissing, so viel ideologischen Irrsinn und juristischen Blödsinn wie das, was Sie hier verzapft haben, habe ich selten gehört - wirklich.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es haut mich richtig um. Ich werde versuchen, im Einzelnen darauf einzugehen.

Es geht um eine Vermögensabgabe und eine Vermögensteuer, und Sie machen sich Sorgen um die Reichen. Das ist überhaupt nicht auszuhalten. Wie sieht denn die Situation in Europa aus? Sie sagen: Mit der Steuergerechtigkeit ist doch alles geklärt.

Nehmen wir nur die EU: Die Unternehmensteuern sind um 9 Prozent gesunken und liegen jetzt bei 23,3 Prozent. Die Spitzensteuersätze der Einkommensteuer sind EU-weit im Schnitt um 7,3 Prozent gesunken. Die Reichen- und Vermögensteuern liegen EU-weit bei 2,1 Prozent, übrigens in Großbritannien bei 4,2 Prozent, in Frankreich bei 3,4 Prozent und in Deutschland nur bei 0,9 Prozent. Das ist die Realität. Selbst in den USA liegen diese Steuern bei 3,3 Prozent.

Nein, Sie haben die Finanzmärkte völlig dereguliert, und es ist eine gigantische Umverteilung von unten nach oben organisiert worden.

(Dr. Daniel Volk (FDP): Das war die SPD! ‑ Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Das waren die SPD und die Grünen!)

Das ist die Hauptursache für die Banken- und Finanzkrise und damit auch für die hohen Staatsschulden. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Dr. Daniel Volk (FDP): Das war die SPD mit der Deregulierung!)

Nein, Sie retten keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Aber jede Bank und jeden Hedgefonds retten Sie, und dafür zahlen Sie das ganze Geld. Das ist unverantwortlich, was hier geschieht. Damit wahren Sie übrigens auch den Reichtum.

(Beifall bei der LINKEN)

Interessant ist auch, wo das viele Geld hinwandert. Das wird nämlich nicht mehr in die Wirtschaft investiert, sondern es fließt überwiegend in sogenannte Kapitalvernichtungssammelstellen: in Banken, Vermögensfonds, Hedgefonds und Private Equity Fonds. Ich kann nicht zu allem Stellung nehmen, aber da fließt das Geld hin.

Schauen wir uns einmal die Größenordnung an. Die Vermögenswerte von Privatanlegern liegen jetzt bei 100 Billionen Euro weltweit. Die Wirtschaftsleistungen aller Staaten betragen die Hälfte davon. Das ist die Situation, mit der wir es zu tun haben. Nichts wollen Sie daran ändern. Das illusorische Ziel, aus Geld Geld zu machen, nicht dafür zu arbeiten, sondern mit Spekulationen Geld zu machen, führt zu diesen Krisen. Nichts ändern Sie daran. Das ist das Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben in Deutschland einen Armuts- und Reichtumsbericht. Herr Gabriel hat recht: Sie können doch nicht im Kompromisswege die Wahrheit verschieben. Das geht nicht.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Darin sind Sie aber Meister! Im Verweigern der Realität sind Sie Meister!)

- Lieber Herr Kauder, zu Ihnen komme ich noch. ‑ Er sagt die Wahrheit, und deshalb ist es auch öffentlich geworden.

Seit 20 Jahren erleben wir eine Verdoppelung des Nettovermögens aller Haushalte in Deutschland: von 5 Billionen auf 10 Billionen Euro. Nur, das Problem ist: 0,6 Prozent der Haushalte besitzen 20 Prozent davon, das heißt 2 Billionen Euro. Die 19-Jährige, die das erbt, kann nicht so fleißig gewesen sein, wie Sie es hier schildern, ohne dass da etwas passiert.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt nehme ich zur Zahl der Euro-Millionäre in Deutschland Stellung. Wir hatten vor der Krise 799 000, jetzt sind es 830 000. Auf Dollar bezogen haben wir 922 000 Dollar-Millionäre. Und da, meinen Sie, darf man nicht einen einzigen zusätzlichen Euro kassieren? Was ist das für eine alberne Ideologie, die Sie hier vertreten!

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Warum denn eigentlich nicht? Das ist doch schon zehnmal versteuert worden! Mit welchem Recht wollen Sie es denn nehmen? Das ist doch versteuertes Geld!)

10 Prozent der Bevölkerung besitzen 50 Prozent des Vermögens. Das sind 5 Billionen Euro. Die untere Hälfte der Bevölkerung, auch wieder 50 Prozent, hat nur 1 Prozent des Vermögens. Das ist die Realität in Deutschland. Übrigens hatte die untere Hälfte früher wenigstens 4,5 Prozent des Vermögens. Jetzt ist es nur noch 1 Prozent.

(Olav Gutting (CDU/CSU): Bei Ihnen in der DDR hatten sie gar nichts!)

So sieht die Schere aus, die sich ständig weiter öffnet.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Reallohnsenkung lag bei 4,5 Prozent. Die unteren 10 Prozent, also die, die am wenigsten verdienen, hatten sogar einen Reallohnverlust von 9 Prozent.

Darf ich Ihnen eine Wahrheit zum Niedriglohnsektor verraten? In den 80er-Jahren war Deutschland mit einem Anteil des Niedriglohnsektors von 14 Prozent Schlusslicht im internationalen Vergleich. Heute sind wir mit 25 Prozent zusammen mit den USA Spitzenreiter beim Anteil des Niedriglohnsektors.

(Zurufe von der LINKEN: Pfui!)

Das ist ein Skandal, mit dem Sie sich einmal auseinandersetzen müssen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Sie wollen die Leute in Hartz IV treiben! Das ist alles, was bei Ihnen herauskommt!)

Jetzt hat Frau von der Leyen ihren ganzen Mut zusammengenommen, und dann kommt in ihrem Bericht ein Satz vor, der besagt, dass man doch prüfen müsse, welche Rolle das Vermögen finanzpolitisch für die Finanzierung der Staatsaufgaben spielen kann. Da dreht die FDP durch. Davon wollen Sie keinen Euro haben. Mein Gott! Schon eine Prüfung wollen Sie nicht hinnehmen.

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Die Sache ist geprüft und hat sich als untauglich erwiesen!)

Das ist doch wohl das Mindeste, was man machen darf, wenn man regiert.

Aber abgesehen davon - Sie haben es selbstkritisch gesagt, Herr Gabriel, und es stimmt -: Unter Rot-Grün hat eine Steuerreform stattgefunden, die natürlich ganz entscheidend zu dem Desaster beigetragen hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Unternehmensteuern sind von 51,6 Prozent auf 29,8 Prozent nominal gesenkt worden; effektiv ‑ das, was wirklich gezahlt wird ‑ sind es nur 22 Prozent. Der Spitzensteuersatz ist von 53 Prozent ‑ unter Kohl übrigens ‑ auf 42 Prozent gesenkt und dann bei Merkel und Steinmeier für die ganz hohen Einkommen noch einmal auf 45 Prozent erhöht worden.

Was ist denn in Ihrer Regierungszeit erhöht worden, Herr Lindner? Gar nichts. Nichts haben Sie erhöht. Ganz im Gegenteil: Die Einnahmeausfälle seit 2001 betragen schon 380 Milliarden Euro. Das ist eine Steuerungerechtigkeit, die als Umverteilung von unten nach oben wirkt.

Herr von Stetten, Sie sagen hier, dass Sie gegen eine Umverteilung sind - Sie organisieren permanent eine Umverteilung von unten nach oben!

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Machen Sie doch einmal eine von oben nach unten! Dafür wird es höchste Zeit in unserer Gesellschaft.

Ich bin es auch leid, dass diejenigen, die die Krise verursacht haben und an der Krise verdienen,

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Die SPD und die Grünen, oder was?)

nicht mit einem einzigen zusätzlichen Euro herangezogen werden, sondern Leute, die nichts damit zu tun haben, das Ganze bezahlen müssen. Genau das ist nicht gerechtfertigt.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Übrigen, Herr Wissing, Sie sagen: Das ist Enteignung. Und: Das Grundgesetz schützt das Eigentum. - Das ist ein solcher Blödsinn. Denn dann dürften Sie überhaupt keine Steuern erheben.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wäre ihm am liebsten! Täusche dich nicht! - Sigmar Gabriel (SPD): Bring‘ ihn nicht auf Ideen! - Dr. Daniel Volk (FDP): Das wissen Sie besser, Herr Gysi!)

Da greifen Sie immer in Eigentum ein. Außerdem, Herr Wissing, steht in Art. 14 des Grundgesetzes, Eigentum soll zugleich dem Allgemeinwohl dienen. Was glauben Sie, wie schwer es einem Milliardär fällt, seine Milliarde immer so einzusetzen, dass es dem Allgemeinwohl dient. Da können wir ihm doch solidarisch helfen, nehmen ihm was weg und führen es dem Allgemeinwohl zu.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Da klatschen die SPD-Abgeordneten! Bei so etwas!)

Wir fordern eine Vermögensabgabe, die gegebenenfalls auch in Raten bezahlt werden kann, und zwar nach dem Vorbild des Lastenausgleichgesetzes von 1952,

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Dann nennen Sie doch mal einen Grund, warum!)

auf private Vermögen von über 1 Million Euro. Für Betriebsvermögen gelten selbstverständlich Ausnahmen, um die Liquidität nicht zu gefährden. Das ist eine einmalige Abgabe.

Jetzt komme ich zur Wiedererhebung der Vermögensteuer. Diesbezüglich haben Sie auch Blödsinn über unseren Antrag erzählt.

(Dr. Volker Wissing (FDP): Aber Sie müssen die Abgabe doch rechtfertigen!)

- Hören Sie zu, Herr Wissing. Es soll eine Steuer von 5 Prozent auf das erhoben werden, was man über 1Million Euro hinaus besitzt - außer Betriebsvermögen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist doch verfassungsrechtlich gar nicht möglich!)

Deshalb sind auch die Gewerbegrundstücke, die an Mieterinnen und Mieter vermietet werden, nicht dabei. Operieren Sie also nicht mit den Mieterinnen und Mietern. Ihr Herz gehörte denen noch nie - aber unser Herz! Deshalb haben wir sie selbstverständlich ausgenommen und geschont.

(Beifall bei der LINKEN)

Erklären Sie mir einmal Folgendes: Wenn jemand 1 Million Euro im Jahr verdient, dann muss er darauf über 40 Prozent Steuern bezahlen. Wenn er sein Geld irgendwo anlegt und noch einmal 1 Million Euro Zinsen bekommt, dann muss er nur 25 Prozent Steuern bezahlen. Dafür waren Sie immer. Warum kann man das nicht gleich behandeln und sagen, Zinseinnahmen sind wie Einkommen?

(Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Alles 25 Prozent!)

Das wäre eine ganz einfache Logik. Aber die FDP sagt: Um Gottes willen, wir müssen alle Zinsen schützen - bloß nicht die der Bevölkerung.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das stimmt ja gar nicht!)

Dann kommt immer der Einwand der Steuerflucht. Das bin ich leid. Es gibt zwei Möglichkeiten, Steuerflucht zu verhindern.

(Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Eine große Mauer drum herum! - Gegenruf des Abg. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Wie albern!)

- Da sieht man einmal, wie begrenzt Ihre Fantasie ist. Ich kann nichts dafür, dass Sie Anhänger der Mauer sind. Ich bin kein Anhänger der Mauer.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt zwei Wege, Steuerflucht zu verhindern. Der erste Weg ist: Wir binden die Steuerpflicht an die Staatsbürgerschaft. Dann kann ein Deutscher etwa in Liechtenstein oder auf den Seychellen wohnen ‑ wo auch immer ‑, muss aber hier angeben, was er verdient, welches Vermögen er hat und was er dafür an Steuern zu bezahlen hat. Wenn er bei uns mehr zu bezahlen hätte, dann bekommt er hinsichtlich der Differenz einen Steuerbescheid. Es gibt ein Land, das das so macht: die Vereinigten Staaten von Amerika. Die machen damit gute Erfahrungen. Und Sie drücken sich davor.

Der zweite Weg, Steuerflucht zu verhindern, wäre, Banken, die uns Transaktionen dieser Art nicht mitteilen, die Lizenz in Deutschland zu entziehen. Was glauben Sie, wie das funktioniert?

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt also Wege. Man muss es nur wollen. Sie wollen es nicht. Das ist das Problem.

Nehmen wir Griechenland als Beispiel. Die Rentner dort müssen jetzt die Medikamente selbst bezahlen, obwohl sie krankenversichert sind und ihre Beiträge zahlen. Frauen, die in Griechenland entbinden, müssen die Entbindung selbst bezahlen. Sonst bekommen sie keine ärztliche Hilfe und müssen nach Hause gehen. Eine Lehrerin in Griechenland hat ein Anfangsgehalt von 575 Euro. 2000 Familien in Griechenland gehören 80 Prozent des Vermögens. Dann stellen Sie sich hierhin und sagen: Diese 2000 Familien sollen nichts bezahlen. Alle anderen sollen das tragen. ‑ Das ist unerträglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben in Europa 3,1 Millionen Dollar-Millionäre. Diese haben schon 10,2 Billionen Dollar als Vermögen. Solche Menschen gibt es auch in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal. Ich sage Ihnen: Auch diese müssen herangezogen werden.

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Dann kandidieren Sie doch das nächste Mal für das griechische Parlament!)

- Sie sollten sich einmal mit diesen Menschen unterhalten, weil Sie ja Millionäre lieben.

In Hamburg hat sich ein Verein von Millionären gegründet. Dessen Mitglieder möchten endlich eine Vermögensabgabe und Vermögensteuern zahlen.

(Dr. Daniel Volk (FDP): Die können ja freiwillig zahlen!)

Wissen Sie, warum diese klüger sind als Sie? Weil die es begriffen haben. Erstens werden sie ein bisschen patriotisch sein, und vielleicht wollen sie auch ein bisschen mehr soziale Gerechtigkeit. Zweitens wissen sie: Wer in der Not nicht abgibt, gefährdet sich selbst. ‑ Die sind klüger als Sie. Jetzt müssen Sie eine Vermögensabgabe und auch eine Vermögensteuer einführen, wenn Sie den Bestand der Bundesrepublik Deutschland nicht gefährden wollen. Das ist das Entscheidende.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Dr. Daniel Volk (FDP): Das ist doch scheinheilig!)

Nun komme ich zum Schluss. Herr Kauder, Sie sind doch Christ; deshalb versuche ich es jetzt mit der Bibel. Sie müssen einmal mit den Millionären reden. Passen Sie auf! Apostel Paulus hat seinem Weggefährten Timotheus einen guten Rat gegeben. Ich zitiere Ihnen das wörtlich:

Den Reichen musst du unbedingt einschärfen, dass sie sich nichts auf ihren irdischen Besitz einbilden oder ihre Hoffnung auf etwas so Unsicheres wie den Reichtum setzen. … Sage ihnen, dass sie Gutes tun sollen und gern von ihrem Reichtum abgeben, um anderen zu helfen. So werden sie wirklich reich sein und sich ein gutes Fundament für die Zukunft schaffen, um das wahre und ewige Leben zu gewinnen.

Das ist aus dem 1. Brief an Timotheus.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt zitiere ich Ihnen noch Matthäus 19,24 und Lukas 18,25:

Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN ‑ Zuruf des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU))

- Einen Moment! ‑ Sie müssen den Reichen doch eine Chance eröffnen, in das Reich Gottes zu kommen. Das geht nur über eine Vermögensabgabe und eine Vermögensteuer. Glauben Sie es mir!

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)