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Regierung kauft sich gute Laune

Im Wortlaut,

Renten sollen »außerplanmäßig« um 1,1 Prozent steigen / Volkssolidarität: Mogelpackung

Die 20 Millionen Rentner im Lande sollen nach dem Willen der Bundesregierung ab 1. Juli eine Rentenerhöhung um 1,1 Prozent erhalten. Auch für 2009 ist ein Extra-Zuschlag geplant. Sozialverbände und LINKE sehen vor allem Wahltaktik.

Je näher die Bundestagswahlen 2009 rücken, desto emsiger versuchen die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD sich mit »sozialpolitischen Maßnahmen« bei den Wählern zu empfehlen. Die Bundesregierung schüttete am Dienstag geradezu ein Füllhorn guter Taten über den Bürgern des Landes aus. Nicht nur eine seit 2001 immer wieder vergeblich eingeforderte Wohngelderhöhung wurde beschlossen - vor allem mit dem gestern vom Kabinett abgesegneten Gesetzentwurf für die zum 1. Juli geplante Rentenerhöhung hoffen Union und SPD auf gute Laune bei den 20 Millionen Rentnern.

Durch die außerplanmäßige Anhebung sollen die Altersbezüge ab 1. Juli um 1,1 Prozent steigen, damit »auch die Rentner am Aufschwung teilhaben können«, hieß es. Im Jahr 2009 soll die Rente nochmals um etwa zwei Prozent steigen. Dafür wird der so genannte Riester-Faktor für beide Jahre ausgesetzt, soll aber für eine »generationengerechte Lösung« 2012 und 2013 nachgeholt werden. Der Extra-Zuschlag verursacht in den kommenden Jahren Kosten von bis zu zwölf Milliarden Euro. Dies soll aus den Rücklagen der Rentenkassen finanziert werden, bereits geplante Beitragssenkungen kommen somit später. Der Rentenbeitragssatz könne ab 2012 »deutlich sinken«, ist die Regierung sicher.

Doch allzu viel Freude löste die schwarz-roten Pläne dennoch nicht aus - nicht mal in den eigenen Reihen.Wenn sich auch Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen (CDU) mit Blick auf die Abstimmung im Parlament sicher ist, dass die Mehrheit seiner Fraktion hinter dem Rentenbeschluss steht - im Vorfeld hatten die Pläne der Regierung für allerhand Zoff besonders unter jüngeren Abgeordneten gesorgt. Jens Spahn (CDU), der sich mit heftiger Kritik insbesondere am Eingriff in die Rentenformel hervorgetan hatte, sah sich zeitweise wütenden Angriffen des Chefs der Senioren-Union in Nordrhein-Westfalen, Leonhard Kuckart, ausgesetzt. Der hatte angedroht, Spahns Wiederwahl zu verhindern. Wenn auch Kanzlerin Angela Merkel inzwischen die Ihren zur Mäßigung aufrief - einen Schuldigen am nicht sonnigen Erscheinungsbild der Koalition hat auch sie ausgemacht: Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD). Der habe bei der geplanten Rentenerhöhung ein »kommunikatives Desaster« verursacht.

Unionsfraktionschef Volker Kauder nannte es »richtig, dass wir den Rentnern nach drei Nullrunden und nach einer schwachen Erhöhung im letzten Jahr jetzt auch das Signal geben, dass sie von der Politik nicht vergessen sind«. SPD-Fraktionschef Peter Struck erklärte, die Erhöhung sei »moderat, finanziell darstellbar und verantwortbar«. Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn kritisierte indes, dass mit Willkür in die Rentengesetzgebung eingegriffen werde. Und FDP-Rentenexperte Heinrich Kolb sprach von nur einem »Almosen«.

Ähnlich sieht das der Fraktionschef der LINKEN, Oskar Lafontaine, der auf die Preissteigerung von zuletzt drei Prozent hinwies: »Wer bei diesem Sachverhalt sagt, er wolle die Renten um 1,1 Prozent erhöhen, um die Rentner am Aufschwung zu beteiligen, ist entweder ahnungslos oder hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.« Die Fraktionsgeschäftsführerin der LINKEN, Dagmar Enkelmann, nannte das Vorhaben der Regierung »halbherzig« und einen »willkürlichen Eingriff in die Rentenstruktur aus wahltaktischen Gründen« - und konnte sich mit den Sozialverbänden einig wissen. Der Präsident der Volkssolidarität, Gunnar Winkler, erklärte nicht nur, dass die vorgesehene Erhöhung »nicht mal als Notgroschen taugt«, sondern nannte sie unter Verweis auf die ebenfalls am 1. Juli in Kraft tretende Beitragserhöhung in der Pflegeversicherung unmissverständlich eine »wahlorientierte Mogelpackung«.

Von Gabriele Oertel

Neues Deutschland, 9. April 2008