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Regierung bläst Jahr der Pflege ab

Im Wortlaut von Kathrin Senger-Schäfer,

Bilanz der Pflegepolitik

Von Katrhin Senger-Schäfer, pflegepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

DIE LINKE brachte am Jahresanfang einen Antrag zur Pflegefinanzierung und einen Entschließungsantrag zur Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs in den Bundestag ein. Doch passiert ist nichts, obwohl der ehemalige Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler 2011 medienwirksam zum »Jahr der Pflege« ausrief. Bis zur Sommerpause sollte ein Gesetzentwurf oder zumindest Eckpunkte vorliegen. Die Frist ist verstrichen, ein Reformkonzept nicht in Sicht. Daniel Bahr, der Nachfolger im Chefsessel des Gesundheitsministeriums, kann die »Pflegereform« frühestens nach den Sommerferien angehen.

Erinnern wir uns kurz: Der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag verkündete eine „obligatorische, individualisierte und generationengerechte“ ergänzende Kapitaldeckung in der sozialen Pflegeversicherung, also eine Art Pflegekopfpauschale. Details wurden nicht preisgegeben. Mittlerweile ist klar, dass es in der Koalition zum Streit um die Pflege gekommen ist. Knackpunkt ist die Finanzierung. Während die FDP auf Kapitaldeckung setzt und eine Beitragserhöhung kategorisch ausschließt, sucht die Union verzweifelt nach Möglichkeiten, den marktradikalen Ansatz zu kaschieren.

Verwundern kann beides nicht. Neuminister Bahr ist als Versicherungslobbyist ein glühender Verfechter der Privatisierung. Das bewährte und sichere Umlageverfahren wird so langfristig an die Wand gefahren. Die CSU sieht sich als Retterin der Pflegeversicherung. In ihrer Wählerschaft gibt es keine Mehrheiten dafür, die Pflege noch mehr vom eigenen Geldbeutel abhängig zu machen. Beitragserhöhungen schließt der bayerische Ministerpräsident Seehofer aus. Stattdessen liebäugelt die Union mit einer »Kapitaldeckung light« in Form einer kollektiven Demografiereserve.

Egal ob Kapitaldeckung individuell als »Pflege-Riester« oder als kollektive Kapitalreserve daherkommt – für Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen bedeutet es eine immense Mehrbelastung. Die Risiken der Finanzmärkte werden ignoriert. Der Pflegenotstand kann so nicht gelöst werden. Freuen wird sich die private Versicherungswirtschaft.

Noch legt Schwarz-Gelb die Karten nicht offen auf den Tisch. Der alte Gesundheits- und neue Wirtschaftsminister Rösler ist in der Zwickmühle. Er verspricht Entlastungen nicht nur bei der Steuer, sondern auch bei den Sozialabgaben. Bessere Pflege gibt es aber nicht zum Nulltarif.

Das Licht der Welt erblickte das Lieblingsprojekt von Familienministerien Schröder: die »Familienpflegezeit«. Auch diese wird den pflegepolitischen Blindflug der Bundesregierung nicht beenden. Die Arbeitgeber werden gefördert, Frauen benachteiligt. Der Gesetzesentwurf löst die Probleme der Pflegebedürftigen und der pflegenden Angehörigen nicht. Der fehlende Rechtsanspruch führt den Gesetzentwurf dann völlig ad absurdum.

Um von den ungelösten Problemen abzulenken, ließ Daniel Bahr öffentlich verlautbaren, dass die gute Konjunktur den finanziellen Druck in den Pflegekassen gemindert hätte und kein Zeitdruck bestünde. Das ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die aufgrund des engen Pflegebegriffs von Leistungen der Pflegeversicherung ausgeschlossen sind und ein Hohn für hoch belastete pflegende Angehörige, die ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzen. Minister Bahr wertet Pflegefachkräfte ab, die oft am Rande der Erschöpfung arbeiten, weil der Pflegenotstand mancherorts bereits bittere Realität ist.

Vorangegangen war ein noch größeres Ablenkungsmanöver: die »Pflegedialoge. Offensichtlich sollte Zeit gewonnen und der Eindruck vermittelt werden, bei der Pflege bewegt sich was. Entlarvend war Röslers Bemerkung, vieles Gewünschte sei nicht zu finanzieren. Erkenntnisgewinn brachten die Dialoge nicht, die Probleme in der Pflege sind lange bekannt.

VertreterInnen der FDP, allen voran Minister Bahr halten indes daran fest, dass die Eckpunkte der Reform noch im »Sommer« vorgestellt werden. Dieser ginge ja bekanntlich bis zum 22. September. Herr Minister Bahr, wir sind gespannt.

linksfraktion.de, 20. Juli 2011