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»Reden und das immer auf Augenhöhe«

Im Wortlaut von Stefan Liebich,

 

Von Stefan Liebich, für DIE LINKE Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages

Auf dem Berliner Parteitag hat Gregor Gysi eine neue Ostpolitik vorgeschlagen. Er regte eine engere wirtschaftliche Verflechtung, eine wirksamere Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), mehr kulturellen Austausch sowie Visa- und damit auch Reisefreiheit auf unserem Kontinent an. Unser Fraktionsvorsitzender hat dabei ausdrücklich bei Willy Brandt angeknüpft.

Schauen wir zurück: Brandts Entspannungspolitik ermöglichte trotz scharfer grundsätzlicher Gegensätze zwischen Ost und West Fortschritte, die den Menschen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs nützten. Die Bundesregierung anerkannte die DDR zwar nicht völkerrechtlich, aber staatsrechtlich als einen der „zwei Staaten in Deutschland“. Der ehemals westdeutsche Alleinvertretungsanspruch für alle Deutschen, der die Bevölkerung in der DDR bis dahin mit einschloss, wurde aufgegeben und die DDR in die Entspannungspolitik mit einbezogen. Schließlich wurde die zunächst von den Staaten aus dem Machtbereich der UdSSR vorgeschlagene Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) auch von westlicher Seite als positives politisches Instrument betrachtet und angenommen. Sogar in Phasen einer scharfen Zuspitzung - erinnert sei an die Beratung 1983 in Madrid - sprach man miteinander, obwohl die UdSSR 1979 in Afghanistan einmarschiert und in der VR Polen 1981 das Kriegsrecht ausgerufen worden war.

Reden, reden, reden und das immer auf Augenhöhe, war damals die Antwort auf Zuspitzungen. Und heute? Ohne jeden Zweifel hat Russland mit seinem Beschluss, russische Soldaten auf ukrainischem Territorium einsetzen zu wollen, gegen das Verbot der Anwendung und Androhung von Gewalt, wie es in Artikel 2 Nummer 4 der Charta der Vereinten Nationen festgelegt ist, verstoßen. Auch die Eingliederung der Krim in das Staatsgebiet der Russischen Föderation ohne die Zustimmung der Ukraine ist völkerrechtswidrig. Die Frage ist jedoch, wie reagiert man darauf? Mit dem Rauswurf Russlands aus dem G8-Format? Mit Entzug der Stimmrechte im Europarat? Mit Sanktionen? Mit NATO-Militärmanövern an Russlands Grenzen?

Selbst wenn man das alles richtig finden würde, so muss man sich doch die Frage stellen, was diese Politik gebracht hat. Offenkundig hat sich die Lage für die Menschen in der Ukraine nicht verbessert. Im Gegenteil! Steigende Preise, Misstrauen, ja Hass untereinander, Gewaltexzesse prägen die Nachrichten aus unserer europäischen Nachbarschaft. „Wer nicht hören will, muss fühlen!“ - Dieser Lehrsatz, der zum Glück aus den Ratgebern für die Kindererziehung verschwunden ist, sollte endlich auch aus den Handbüchern der internationalen Politik gestrichen werden. Der Weg in die Sackgasse darf nicht noch beschleunigt werden, wie es US-Politiker und NATO-Generäle nicht müde werden vorzuschlagen, sondern muss gestoppt werden. Eine Umkehr ist notwendig.

Eine neue Ostpolitik verlangt zunächst ein Ende der Gewalt auf allen Seiten. Die ukrainische Armee muss ihren Einsatz im eigenen Land beenden, nichtstaatliche Akteure auf allen Seiten entwaffnet werden. Runde Tische unter Beteiligung aller relevanten ukrainischen Akteure sollten über einen Ausgleich der Interessen im Land diskutieren. Auf Basis dieser Übergangsverabredungen können freie, geheime und faire Wahlen vorbereitet und durchgeführt werden, in deren Ergebnis die Ukraine über eine legitime Regierung, ein neues Parlament und einen verfassungsgemäßen Präsidenten verfügt. Nur diese sollten dann rechtsverbindliche Verträge über die Zukunft der Ukraine verhandeln und beschließen.

Die OSZE, nicht aber die EU oder gar die NATO, hat die Aufgabe, einen solchen Prozess zu begleiten und, sofern gewünscht, zu moderieren. Die Europäische Union und Russland wären gut beraten, hierbei nicht zuerst an die eigenen Interessen oder die befreundeter Oligarchen zu denken, sondern an die der Ukrainerinnen und Ukrainer.

Gelänge es, im Ergebnis eine unabhängige und militärblockfreie Ukraine mit wirtschaftlichen Verflechtungen nach Ost und West zum gegenseitigen Vorteil sowie Reisefreiheit in beide Richtungen zu schaffen, könnte diese neue Ostpolitik ein erster Baustein hin zu einem gemeinsamen Haus Europa sein, wie es Michail Gorbatschow bereits 1987 vorschlug. Damit könnte endlich Realität werden, was die Staats- und Regierungschefs von 32 ost- und westeuropäischen Staaten sowie der USA und Kanadas 1990 in der Charta von Paris formulierten: „Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Wir erklären, dass sich unsere Beziehungen künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden. Europa befreit sich vom Erbe der Vergangenheit.“

 

linksfraktion.de, 14. Mai 2014