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Dietmar Bartsch © Marc DarchingerFoto: Marc Darchinger

»Reden das Land nicht schlecht«

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch, Frankfurter Neue Presse,

Sie fühlen sich, gerade jetzt im Wahlkampf, noch immer als Ostalgiker diskreditiert: die Linken. Warum verrät ihr Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, im Gespräch mit Cornelie Barthelme. Und auch, wo er mit Angela Merkel absolut einig ist.

 

Was, Herr Bartsch, antworten Sie, wenn Ihnen im Wahlkampf jemand sagt: „Also, von Ihnen würd’ ich mich ja sofort regieren lassen – aber niemals von Frau Wagenknecht“?

Dietmar Bartsch: Denen sage ich, dass die ganze Partei für ein Programm steht und dass wir als Linke bewusst dieses Angebot machen: Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. Die Regierungsfrage ist nicht zentral. Für uns geht es im Wahlkampf um Stimmenmaximierung – da haben wir so die beste Aufstellung.

Aber die Mehrheit der Linken-Anhänger will, dass die Partei regiert, Sie wollen das auch – bei Frau Wagenknecht allerdings ist das nicht sicher…

Sahra Wagenknecht und ich sind uns einig, dass wir einen Politikwechsel in einem Mitte-Links-Bündnis wollen. Politikwechsel ist das von der Partei beschlossene Ziel – neben Zweistelligkeit und dritter politischer Kraft. Dafür sind wir selbstverständlich auch bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Und der Weg dorthin führt über Frau Wagenknechts Feststellung, dass Rot-Rot-Grün tot ist?

Das hat sie nicht gesagt. Sie hat kritisiert, dass keine Wechselstimmung aufkommt, weil das Angebot der SPD keines auf Wechsel ist. Das hat das Fernseh-Duett nochmals gezeigt. Das war ein großkoalitionäres Therapiegespräch. Außerdem entscheidet man sich im Wahllokal für eine Partei. Es ist eine deutsche Unart, im Wahlkampf mehr über Konstellationen als über Inhalte zu reden. Konstellationen ergeben sich nach dem Wahltag. Wenn es am Wahlabend wirklich eine Mehrheit jenseits der Union gibt, das versichere ich, wird es auch Gespräche geben.

Die haben Sie mit Martin Schulz schon vereinbart?

Das ist Beschlusslage beider Parteien. Man redet miteinander, das ist doch Normalität. Dass wir an diesem Punkt sind, also weiter als vor vier oder acht Jahren, ist das eigentliche Ereignis.

Wir wollen nicht mit der AfD und nicht mit der Linken. Ärgert oder ehrt Sie das?

Nichts davon. Da habe ich mit Frau Merkel volle Übereinstimmung. Fakt ist, dass kein Abgeordneter der Linken Merkels Kanzlerschaft verlängern wird. Das unterscheidet uns von Grünen, SPD und FDP, die am 24. September, falls das Ergebnis es hergibt, einen Wettlauf ins Kanzleramt beginnen werden.

Sie müssen doch gerade auch wettlaufen: um den Platz der drittstärksten Kraft im Bundestag zu verteidigen. Warum ist das so wichtig?

Weil damit Inhalte für den nächsten Koalitionsvertrag festgelegt werden – egal wer ihn schreibt. Wird die Linke dritte Kraft und zweistellig, ist völlig klar, dass sich im Regierungshandeln Teile unseres Programms widerspiegeln werden. Die anderen wollen nicht, dass wir noch stärker werden – also müssen sie unsere Themen berücksichtigen. Und je stärker wir werden, desto größer ist die Chance, dass es zu einem richtigen Aha-Erlebnis kommt, die SPD ihren Mut zusammennimmt und den Kanzler stellen will. Viele vergessen, dass es vier Jahre im Bundestag eine Mehrheit jenseits der Union gab.

Nicht vergessen ist der Bruch zwischen der SPD und Ihrer Partei. Politisch, sagen Sie, kein Problem – und menschlich?

Falsch! Politisch ist es die eigentliche Herausforderung. Es gibt Themen, wo wir programmatisch weit auseinanderliegen. SPD und Linke agieren und regieren in Kommunen und drei Ländern gut miteinander, in Brandenburg schon die zweite Legislatur nacheinander.

Was sagen Sie eigentlich Wählern, die finden, Sie und Frau Wagenknecht und die Linke überhaupt reden Deutschland schlecht?

Wir reden das Land nicht schlecht! Wir arbeiten übrigens daran, dass es ihm gut geht. Allerdings setzen wir einen anderen Akzent als Angela Merkel. Ihr „Es geht allen gut“ stimmt nicht. Dass wir eine steigende Zahl von Vermögensmillionären und inzwischen 186 Milliardäre haben, dass die 36 reichsten davon so viel besitzen wie die Hälfte der Bevölkerung, das ist doch inakzeptabel! Gleichzeitig steigt die Zahl der Kinder, die in Armut leben oder armutsgefährdet sind. Man muss doch die Probleme benennen. Ein Land, in dem Kinderreichtum ein Armutsrisiko ist und alte Menschen Pfandflaschen sammeln müssen, hat keinen funktionierenden Sozialstaat!

Sie thematisieren, wozu viele sagen „Kann doch nicht sein!“. Müssten Sie in den Umfragen nicht viel besser dastehen?

Ich verstehe auch nicht, wieso wir nicht bei 20 Prozent liegen, mindestens (lacht). Sie müssen sehen, wo wir herkommen. Im Wahlkampf wird immer noch erzählt, „die wollen die DDR wiederhaben“. Unendlicher Unsinn! Zweitens werden wir in dem immer noch westdeutsch geprägten Politikbetrieb als Exoten wahrgenommen. Das Entscheidende für mich ist aber: Wir stehen besser da als vor der Wahl 2013, obwohl eine Partei dazugekommen ist. Andere haben verloren.

Kann es sein, dass der westdeutsche Wähler eher nicht die Nato abschaffen will und die Bundeswehr als Garant seiner Sicherheit sieht?

Wir wollen die Nato in ein System kollektiver Sicherheit unter Einschluss Russlands umwandeln, auch weil sie ein Relikt des Kalten Krieges ist. Was die Bundeswehr angeht: Deutschland ist in 14 Kampfeinsätzen – ist die Terrorgefahr dadurch geringer und die Welt friedlicher geworden?

Ihre Idee, militärische Sicherheit anders zu organisieren, ist nicht neu – und die Begeisterung dafür bleibt sehr klein.

Aber sie hat Wirkung entfaltet im politischen Betrieb. Dass Gerhard Schröder einst Nein gesagt hat zum Irak-Krieg, hat auch damit zu tun, dass er zuvor nach seiner Afghanistan-Fehlentscheidung gesehen hat, welchen Aufschwung sie bei der Linken bewirkt hat.

Bei vielen Themen gehen Sie in dieselbe Richtung wie die SPD – nur weiter. Aber bei den Bundeswehreinsätzen geht es um Ja oder Nein, nicht um ein bisschen mehr oder weniger.

Wir machen unsere Angebote an die Wähler. Natürlich muss man kompromissfähig sein. Aber man verhandelt nicht vor der Wahl und nicht in den Medien. Der Souverän, der Wähler hat zuerst das Wort.

Frankfurter Neue Presse,