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Problematische Umsetzung des Mindestlohns in Callcentern

Nachricht von Sabine Zimmermann,

 

Sabine Zimmermann, stellvertretende Vorsitzende und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion, hat die Bundesregierung nach der Umsetzung des Mindestlohns in der Callcenter-Branche gefragt. Beschäftigte in Callcentern wandten sich überdurchschnittlich häufig an die Mindestlohn-Hotline des Arbeitsministeriums, was auf erhöhten Handlungsbedarf schließen lässt.

 

Aus der Callcenter-Branche häufen sich Berichte über Verstöße gegen den Mindestlohn. Knapp 600 Anrufe aus der Callcentern gingen bei der Mindestlohn-Hotline des Arbeitsministeriums bis Ende März ein und bestätigen vorhandene Probleme. Die Praxis vieler Unternehmen, den leistungsorientierten Bonus auf den Mindestlohn anzurechnen, verstößt nach Ansicht der Bundesregierung gegen das Mindestlohngesetz. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE hervor.

„Die Bundesregierung muss Verstößen gegen den Mindestlohn aktiver vorbeugen", fordert Sabine Zimmermann, stellvertretende Vorsitzende und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion. Dazu gehörten mehr Kontrollen mit gut geschultem Personal und eine klare Regelung im Mindestlohngesetz, dass Lohnzuschläge welcher Art auch immer nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen. Die Durchsetzung der Ansprüche dürfe nicht auf den individuellen Rechtsweg abgewälzt werden, dessen Ausgang unsicher sei. Die Regierung müsse jetzt handeln, damit der Mindestlohn bei den Betroffenen wirklich ankommt, stellt Sabine Zimmermann klar.
Die Abgeordnete kritisiert die Untätigkeit der Bundesregierung und sieht großen Handlungsbedarf. Laut Bundesregierung müssen in der Branche viele Beschäftigten ihr Einkommen durch Hartz IV aufstocken. Zuletzt wurden dafür jährlich über 30 Millionen an Steuergeldern aufgebracht. Hinzu kommen Millionenbeträge aus der Wirtschafts- und Arbeitsförderung.

Die wichtigen Ergebnisse der Antwort der Bundesregierung im Einzelnen:

Kaum zu glauben: Trotz verschiedener Medienberichte hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben keine Kenntnisse über Probleme bei der Mindestlohneinführung in der Callcenter-Branche. Sie kennt noch nicht einmal ein Papier des Callcenter-Verbandes, in dem dieser seinen Mitgliedsunternehmen Tipps gibt, wie Grauzonen im Gesetz ausgenutzt und welche Lohnbestandteile auf den Mindestlohn angerechnet werden sollen. (Frage 1-4)

Allerdings dürfte die in zahlreichen Callcentern praktizierte Anrechnung des leistungsorientierten Bonus auf den Mindestlohn nicht Rechtens sein. Hier antwortet die Bundesregierung: „Grundsätzlich gilt, dass dann, wenn der Arbeitnehmer auf Verlangen des Arbeitgebers mehr als seine reine Arbeitsleistung erbringt, die Zuschläge hierfür nicht auf den Mindestlohn anrechenbar sind. Vor diesem Hintergrund dürfte im Regelfall davon auszugehen sein, dass Zuschläge, die an eine besondere Leistung des Arbeitnehmers anknüpfen, nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden können.“  (Frage 5, Hervorhebung durch die Auswertung)

Eine klare gesetzliche Regelung will die Bundesregierung hierfür aber nicht schaffen. Sie verweist darauf, dass dies im Einzelfall geprüft werden muss.

Die Probleme bei der Mindestlohneinführung macht eine Auswertung des Anrufaufkommens bei der Mindestlohn-Hotline des Arbeitsministeriums deutlich (Frage 9). 589 Anrufe, die die Callcenter-Branche betrafen, gingen dort seit Jahresbeginn bis zum 27. März ein. Laut Bundesregierung waren das 1,4 Prozent aller Hotline-Anrufe. Das hört sich vielleicht nicht viel an. Aber in Callcentern arbeiten laut der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit nur 0,3 Prozent aller Beschäftigten.

Die Anfrage macht zugleich den Handlungsdruck deutlich, den es in der Callcenter-Branche bei der Umsetzung des Mindestlohns gibt. In der Branche tritt vergleichsweise häufig das Problem der Aufstocker und Lohnsubventionierung von Niedriglöhnen auf. 6.344 der etwa 110.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bezogen im Juni 2014  ergänzend zum Lohn aufstockende Hartz IV-Leistungen. Das entspricht einem „Aufstocker-Anteil“ von 5,4 Prozent, in der gesamten Wirtschaft liegt der Anteil mit 2 Prozent weniger als halb so hoch. 2013 (neuere Zahlen liegen nicht vor) wurden für Aufstocker aus der Callcenter-Branche und ihre Familien insgesamt 30,9 Millionen Euro an Hartz IV-Leistungen aufgebracht, rechnerisch monatlich je Bedarfsgemeinschaft 445 Euro. (Frage 15-17)

Hinzu kommen Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber im Rahmen der Arbeitsmarktförderung. In den zurückliegenden zwei Jahren stieg die Zahl der Förderfälle mit einem Eingliederungszuschuss von 1.191 auf 1.802. Förderungen, die mit Weiterbildungen verbunden sind, sind dagegen nur im zweistelligen Bereich zu finden. Jede vierte Maßnahme der Arbeitsförderung in der Callcenter-Branche beruht auf einem Lohnkostenzuschuss. In der Arbeitsförderung über alle Branchen hinweg trifft dies nur auf jeden zehnten Fall zu. (Frage 18)

Eine weitere Subventionierung erfährt die Branche im Rahmen der Wirtschaftsförderung. 109 Millionen erhielten Unternehmen der Callcenter-Branche in den vergangenen zehn Jahren. (Frage 19)

Ein interessantes Detail enthält die Anfrage auch zur Mindestlohn-Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose. 2014 nahmen 15.960 Arbeitslose eine Beschäftigung in der Callcenter-Branche auf. 1.946 von ihnen und damit etwa jeder achte war ein Langzeitarbeitsloser (12,2%). Diese würden zukünftig die ersten sechs Monate der Beschäftigung vom Mindestlohn ausgenommen werden können. Die Frage ist, inwiefern einzelne Unternehmen versuchen werden, sich diese Ausnahmeregelung zu Nutze zu machen, um den Mindestlohn in der Anfangszeit zu umgehen. (Frage 11)

 

linksfraktion.de, 23. April 2015