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Privatsphäre schützen - Datenhunger begrenzen

Im Wortlaut von Jan Korte, Frank Tempel,

Von Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, und Frank Tempel, stellvertretender Vorsitzender des Innenaussschusses



Am Donnerstagabend wird im Bundestag ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Abstimmung gestellt, der das reibungslose Inkrafttreten des neuen Melderechts im Januar 2015 sicherstellen soll. In Zeiten von NSA und Vorratsdatenspeicherung, Google und Gesundheitskarte hört sich das erst einmal nicht so spektakulär an. Andererseits geht es hier um die zwangserfassten Daten aller Bürgerinnen und Bürger in den Melderegistern der Kommunen, den staatlichen Umgang damit und ihre Nutzung zu kommerziellen Zwecken.

Noch gut in Erinnerung dürfte einigen sein, wie die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung während der letzten Fußball-Europameisterschaft am späten Abend des 28. Juni 2012 das neue Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens still und heimlich durch den Bundestag brachte. Entgegen früheren Bekundungen wurden darin die Rechte des Bürgers gegenüber Adresshändlern und Werbetreibenden deutlich geschwächt. Auf die darauf folgenden Proteste und den Einspruch des Bundesrates will die Große Koalition nun mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens (Drs. 18/1284) reagieren und so dem vor zwei Jahren verabschiedeten Gesetz im Januar 2015 einen problemlosen Start ermöglichen.

Aus unserer Sicht ist der vorliegende Entwurf allerdings aus vier zentralen Gründen nicht akzeptabel:

  1. Nach der Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe sollen auch die Daten über solche Lebenspartnerschaften an die Religionsgesellschaften (RG) übermittelt werden. Ein Problem ist das deshalb, weil sich einige der "öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften" (keineswegs nur die katholische Kirche) arbeitsrechtliche Konsequenzen bei nicht religionsgemäßem Verhalten ihrer Angestellten vorbehalten. Die Katholische Kirche beispielsweise und die ihr zugeordneten Einrichtungen wie etwa die Caritas können Beschäftigten kündigen, die gegen die "Sitten und Moralvorstellungen" der jeweiligen Kirche verstoßen. Das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft wird nach dem Beschluss des ständigen Rates der Bischofskonferenz vom 24. Juni 2002 als schwerwiegender Loyalitätsverstoß gegenüber der katholischen Auffassung von Ehe und Familie gewertet. Auch wiederverheiratete Geschiedene verstoßen gegen diese Auffassung. Es besteht also die mehr als begründete Sorge, dass durch die Mitteilung des Familienstandes "zweite Eheschließung" und "Lebenspartnerschaft" an die katholische Kirche die schutzwürdigen Belange der Beschäftigten in katholischen Einrichtungen unverhältnismäßig belastet werden, weil die katholische Kirche Beschäftigte entlässt, die nach einer Scheidung eine zweite Ehe eingehen oder die eine Lebenspartnerschaft begründen.
  2. Gegen die allgemeine Übermittlung der Daten an die Religionsgesellschaften können bestimmte Familienmitglieder Widerspruch einlegen – der Gesetzentwurf sieht vor, auch diese Widersprüche an die Religionsgemeinschaften zu übermitteln. Dass damit der Schutzzweck des Widerspruchsrechts vollkommen konterkariert wird, liegt auf der Hand.
  3. Übermittelt werden sollen auch die frühere Anschrift eines Mitglieds der Religionsgemeinschaften sowie die aktuellen und früheren Adressdaten von Familienangehörigen, obwohl das zur Erfüllung der Aufgaben einer RG überhaupt nicht erforderlich ist. Das und eine weitere Regelung zur automatisierten, an einen Stichtag gebundene Übermittlung aller Mitglieder und ihrer Familienangehörigen sind wegen Nicht-Erforderlichkeit und Missachtung des Gebots der Datensparsamkeit abzulehnen.
  4. Schließlich versäumt der Gesetzentwurf die Umsetzung der von den Datenschützern schon beim Ausgangsgesetz geforderten Punkte, unter anderem auf die Hotelmeldepflicht zu verzichten, die Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei An- und Abmeldung zu streichen oder vor der  Weitergabe von Meldedaten die Einwilligung vorauszusetzen (opt-in) statt beim Widerspruchsrecht zu bleiben (opt-out).

Deshalb hatte DIE LINKE zusammen mit den Grünen eine öffentliche Anhörung des Innenausschusses beantragt, die am 24. Juni stattgefunden hat. Kritische Sachverständige waren der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix und der Bundesanwalt am Bundesgerichtshof a. D. Manfred Bruns. Die Befürworter wurden durch Dr. Karl Jüsten vom Kommissariat der Deutschen Bischöfe sowie Prof. Dr. Ansgar Hense, Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, vertreten.

In der Anhörung wurde deutlich: Die Chance, Defizite des Ausgangsgesetzes auszuräumen, wurde nicht genutzt. Einige Punkte wurden sogar noch verschlechtert und neue Probleme geschaffen. Noch weiter getrübt wurde das Fazit durch das Auftreten der beiden Sachverständigen der Kirchen. Wir sind der Meinung, dass deren forsche und fordernde und durch keinerlei Distanz gebrochene Haltung für einen halbwegs aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts nicht nur eine datenschutzrechtliche, sondern eine kulturelle und politische Zumutung dargestellt hat: Mit mehr oder weniger rechtlichen Windungen versehen, leiteten diese aus der "Allzuständigkeit" der "öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften" ab, dass diese die Melderechtsdaten nicht nur steuerrechtlich nutzen dürfen, sondern damit auch gemäß ihren Kulten die Mitglieder einsortieren (verheiratet, ledig, Kinder, Alte, Alleinlebende, Kinderlose, Hinterbliebene) dürfen. Und selbstverständlich sei es staatliche Aufgabe, den Religionsgesellschaften dafür umfassend und mundgerecht Daten zu liefern – ein Missbrauch der Meldedaten, zum Beispiel für arbeitsrechtliche Konsequenzen, sei ausgeschlossen. Dies gesetzlich zu regeln, lehnten sie entrüstet ab – solches Misstrauen sei vollkommen unangebracht und für sie nicht akzeptabel. Mit dieser Begründung allerdings könnte man Datenschutz und Strafgesetze genauso wie die zehn Gebote, die Beichte, Fegefeuer und Hölle außer Kraft setzen: Sie alle verdanken ihre Existenz auch dem Wissen, dass Regeln und Vorschriften auch missbräuchlich eingesetzt werden können.

Offenbar hat das – an diesem Punkt – auch die Koalition begriffen: Am Freitag nach der Anhörung hat sie einen Änderungsantrag eingebracht, der den Religionsgemeinschaften untersagt, die Meldedaten für arbeitsrechtliche Zwecke zu nutzen. Kein großer Schritt, aber ein halber in die richtige Richtung. Weitergehende Vorschläge der Sachverständigen Bruns (Verbot im Gesetz selbst) und Dix (Widerspruchsregelung/dauerhafte Übermittlungssperre im Gesetz) wurden nicht beachtet und auch ein Versuch der Grünen, die Religionsgemeinschaften zu einem Verzicht auf die arbeitsrechtliche Verwendung der Daten zu verpflichten, fand natürlich keine Mehrheit.

Das ganze Melderecht bleibt damit immer noch weit entfernt von einem modernen Verwaltungsinstrument, das wenigstens die weiteren Verfügungsrechte über ihre Daten den Bürgerinnen und Bürger zurückgibt, wenn sie diese schon zwangsweise an den Staat abgeben müssen.

linksfraktion.de, 3. Juli 2014