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Politischer Offenbarungseid von Union und SPD

Interview der Woche von Gregor Gysi,

Foto: picture alliance/dpa

 

 

Gregor Gysi, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über die Sondersitzung des ansonsten lahmgelegten Parlaments, Möglichkeiten für einen dauerhaften und sicheren Aufenthalt Edward Snowdens in Deutschland, eine neue Ära der Beziehungen zwischen den USA und der Bundesregierung sowie Schnittmengen mit der SPD
 

Der Bundestag tritt heute zu einer Sondersitzung zusammen, um sich mit der Überwachung durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA zu beschäftigen. Was erwarten Sie davon?

Gregor Gysi: Den politischen Offenbarungseid von Union und SPD. Sie sind nicht gewillt, auch nur ansatzweise auf eine historisch völlig neue Lage zu reagieren, die darin besteht, dass die USA als führendes Land in der Welt die neuen Internet-Technologien für die umfassende Ausspähung jedes Landes dieser Welt nutzt. Nicht der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor diesen grundgesetzwidrigen Eingriffen in die Privatsphäre liegt den künftigen Koalitionsparteien am Herzen, sondern der vermeintliche Schutz der deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Sie fordern von der Bundesregierung, Edward Snowden nicht nur als Zeugen zu vernehmen, sondern ihm dauerhaften, sicheren Aufenthalt zu gewähren. Weshalb?

Die ganze Welt hat doch überhaupt erst von Edward Snowden von der Existenz eines weltweiten Überwachungssystems unter der Regie amerikanischer Geheimdienste und somit unter der Verantwortung der US-Regierung erfahren. Daher ist Edward Snowden wichtig als Zeuge, denn sein Wissen über Art, Ausmaß und Umfang der weltweiten Ausspähungen ist nicht nur für uns, sondern auch für andere Länder, die genau so überwacht werden wie wir, sehr wichtig.
Die Bundesregierung, die Union und die SPD verhalten sich duckmäuserisch, wenn sie sagen, nur die Kenntnisse von Edward Snowden haben zu wollen, aber seine künftige Existenz lieber Wladimir Putin zu überlassen. Das ist schon moralisch nicht vertretbar.
Stattdessen sollte die Bundesregierung Edward Snowden ein Angebot zu seiner Aufnahme machen, auch wenn die USA dies als einen Affront betrachten dürften.

Ist das denn überhaupt machbar? Und: Wie sicher wäre Snowden denn hier?

Das ist machbar, wenn die Bundesregierung bereit wäre, sich mit den USA in dieser Frage anzulegen. Dazu wäre es auch höchste Zeit, damit zwischen Deutschland und den USA eine echte Freundschaft und Partnerschaft begründet werden könnte, eine neue Ära der Beziehungen, basierend auf gegenseitigem Respekt, gegenseitiger Achtung. Denn nach wie vor verhält sich die geschäftsführende Bundesregierung gegenüber den USA wie eine Regierung um 1949 und nicht wie die eines souveränen Landes. Im Zwei-Plus-Vier-Abkommen ging es um die vollständige Herstellung unserer Souveränität. Es wird Zeit, sich durchzusetzen.

Dass die Sondersitzung heute stattfindet, geht auf die Initiative Ihrer Fraktion zurück. Müsste der Bundestag nicht längst schon regulär arbeiten?

Der Deutsche Bundestag hat sich am 22. Oktober 2013 konstituiert. Selbstherrlich haben sich Union und SPD als erste Amtshandlung auf je eine weitere Bundestags-Vizepräsidentin bzw. einen weiteren Vizepräsidenten für sich verständigt. Das war's dann auch schon.
Der Bundestag könnte voll arbeitsfähig sein. Wir haben eine amtierende, handlungsfähige geschäftsführende Bundesregierung, und es gibt genug zu tun. Dass Union und SPD die Sitzungswochen des Bundestages einfach ausfallen lassen, zeugt von einer ungeheuren Arroganz und einer groben Missachtung unseres Grundgesetzes. Nicht die Bundesregierung, schon gar nicht eine Bundesregierung in spe, sondern der Deutsche Bundestag ist der demokratische Souverän.

DIE LINKE hat der SPD in ihrem 100-Tage-Programm und ersten parlamentarischen Initiativen Angebote gemacht, gemeinsam erste Schritte in Richtung eines linken Politikwechsels zu gehen. Wenn Sie sich jetzt den Stand der Koalitionsverhandlungen ansehen - wie groß sind die Schnittmengen der LINKEN mit der SPD überhaupt noch?

Die Schnittmengen werden immer kleiner, weil die SPD große Teile ihrer Wahlversprechen auf dem Gabentisch der Union opfert. Es wird keine gerechte Steuerreform mit einer Erhöhung des Spitzensatzes bei der Einkommensteuer geben, den Vermögenden bleibt eine Besteuerung ihrer Reichtümer auch künftig erspart, prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit und Werkverträge, Minijobs und Aufstocker wird nicht wirksam begrenzt, in der Eurokrise wird es ein Weiter-so der Kürzungsdiktate gegen Griechenland und andere Staaten geben. Vielleicht wird die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns das einzige vorzeigbare Ergebnis der Koalitionsverhandlungen für die SPD sein, aber selbst das ist nicht sicher. Es geht schon um Ausnahmen.

 

linksfraktion.de, 18. November 2013