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Pioniere des Wandels

Im Wortlaut,

Abgeordnete und Mitarbeiter der Fraktion DIE LINKE waren vom 6. bis zum 8. Juni in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern unterwegs, um sich mit den Bedingungen und Perspektiven der Branche der Erneuerbaren Energien zu befassen und die Akteure vor Ort kennenzulernen.

Kirsten Tackmann (2.v.l.), Sabine Leidig (M.) und Roland Claus (2.v.r.) besuchen mit Mitarbeitern der Fraktion die Solarmodulherstellung im Bioenergiedorf Feldheim. Der Bürgermeister von Treuenbrietzen Michael Knape (re.) erläutert das Konzept. Dabei auch der LINKE Brandenburger Staatssekretär im Landesministerium für Umwelt und Gesundheit, Daniel Rühmkopf (li.)

 

Von Thomas Feske

Der sozial-ökologische Umbau ist eines der zentralen Projekte der Linksfraktion. Nicht erst seit der Katastrophe von Fukushima haben sich viele Regionen gerade in den neuen Bundesländern auf den Weg gemacht,  neue, ökologisch verantwortbare Formen der Energiegewinnung zu erproben. Auf ehemaligen Militärflächen entstanden Solarparks und ganze Dörfer machten sich mit eigener Energieversorgung unabhängig von den vorherrschenden Energieriesen.

Die Erneuerbare-Energien-Tour der Linksfraktion begleitete vor allem die Frage, welche positiven sozialen Auswirkungen, ob bei Arbeitsplätzen oder Kommunalfinanzen, der konkret erprobte Energiewandel mit sich bringt. Denn das ist der Kern des roten Projekts zum sozial-ökologischen Wandel:  Schonung von natürlichen Ressourcen und Umwelt gehen Hand in  Hand mit der Verbesserung der Lebensbedingungen durch eine nachhaltige Landwirtschaft, durch gute Arbeit, gute Bildung und Ausbildung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder zukunftsfähige öffentliche Verkehrskonzepte.

Ungehobene Schätze

Roland Claus, Ostkoordinator der Bundestagsfraktion und Initiator der Tour, verweist gleich zu Beginn der Reise auf die Erfahrung, wie wichtig es sei, „auf die Menschen zu treffen, die mit den gesellschaftlichen Umbrüchen zu tun haben, die mit der Einführung von neuen Technologien verbunden sind. Dass wir hier eine Reihe von ostdeutschen Projekten besuchen, hängt auch damit zusammen, dass es einen  ostdeutschen Erfahrungsvorsprung beim sozial-ökologischen Umbau gibt, einfach deshalb, weil die Prozesse in den letzten Jahren drängender waren, weil die Einführung erneuerbarer Energien schneller vonstattenging. Dieser Erfahrungsschatz wird bundesweit noch viel zu wenig genutzt, weil er ignoriert wird.“

Dazu gehören etwa die Erfahrungen der Agrargenossenschaft Großräschen, die ihre Brachflächen an einen Betreiber von Solarflächen verpachtet. Mit Erfolg: Die Genossenschaft erzielt damit neben ihrem Kerngeschäft wichtige Einnahmen, der Region fließen ebenso wichtige Gewerbesteuern zu. Akzeptiert durch die Bevölkerung in der Region entstand somit 2011 auf den Flächen ein Teil des weltweit größten Solarparkclusters Senftenberg-Schipkau, dem die LINKE-Delegation am Mittwoch einen Besuch abstattet.

Dass die Erprobung und Erforschung neuer Formen der Energiegewinnung auch an volkswirtschaftliche Grenzen stößt, erfährt die Delegation in einem öffentlichen Kolloquium an der Hochschule Lausitz in Senftenberg. Der Chef der Senftenberger Stadtwerke verweist darauf, dass die Etablierung neuer Energien Geld koste, Geld, das im ständigen Konkurrenzkampf mit den großen Energieriesen um günstige Gebühren und Entgelte fehle. Sieht es also düster aus für den sozial-ökologischen Wandel – zumindest für die Förderung von staatlicher Seite?

Pioniere des Wandels

Nicht unbedingt, meint die Abgeordnete Sabine Leidig, die ebenfalls mit auf Tour ist. Es gehe um eine finanzielle und damit politische Prioritätensetzung. Wer die Kommunen finanziell ausbluten lasse, der dürfe sich nicht wundern, wenn den kommunalen Stadtwerken das Geld fehle, den Energiewandel zu begleiten. Ihr gehe es darum, die „Pioniere des Wandels“, wie Leidig sie nennt, zu unterstützen.

Wer aber sind diese Pioniere des Wandels? Einige davon lernt die Delegation dann am Donnerstag in Feldheim, einem Ortsteil des brandenburgischen Treuenbrietzens, kennen. Die Feldheimer gewinnen als energetische Selbstversorger Wärme und Strom aus Windkraft, Mais und Schweinegülle und bezahlen für ihren Energieverbrauch weniger als irgendwo sonst in der Republik.

Auch für Leidig, Verkehrspolitikerin aus Hessen, ist es dieser Erfahrungsschatz, der auch der Strukturschwäche der neuen Bundesländer geschuldet ist, den es zu nutzen gilt. Vor dem „Nutzen“ kommt für Wolfgang Methling erst mal das „Ermöglichen“. Methling, den ehemaligen Umweltminister der rot-roten Koalition in Mecklenburg-Vorpommern, trifft die Delegation am Donnerstagnachmittag in Güstrow. Dort ist er Vorsitzender des Fördervereins der Akademie für Nachhaltige Entwicklung. Die Akademie, durch Methling 2001 auf den Weg gebracht, bietet heute beispielsweise Coachings für Dörfer, die dem Beispiel Feldheims folgen wollen. Diese Akademie belehrt nicht, sie coacht, sie begleitet. Der Ansatz des Ermöglichens ist einer, der auf die Alltagskompetenz vor Ort setzt, der zwar den politischen Rahmen vorgibt, der nicht Energiegroßprojekte gegen die Interessen vor Ort durchpeitscht, sondern den Energiewandel mit den Menschen vor Ort entwickelt.

Diesen Blick auf die Akzeptanz vor Ort wirft auch der Geschäftsführer von e.n.o energy, einem Windanlagenhersteller in Rostock, dem die Delegation am Freitag einen Besuch abstattet. Im Gespräch werden die Möglichkeiten von Bürgerwindparks ausgelotet, die – von Bürgerinnen und Bürgern finanziert – mit ihren Erträgen und der erzeugten Energie dem Gemeinwesen zugutekommen. Seine Forderung an die Politik: Mehr Verlässlichkeit. Die angekündigte Kürzung der Solarförderung sei ein Negativbeispiel dafür, wie die herrschende Politik sowohl für Häuslebauer als auch für Solarunternehmen mit einer bloßen Ankündigung Unsicherheit erzeugen und 120 000 Arbeitsplätze gefährden kann.

Energiewende braucht Kulturwandel

Verlässlichkeit der Politik ist die eine Forderung, die andere Forderung ist die nach der Bereitstellung der nötigen Infrastruktur für die Etablierung erneuerbarer Energien. Es gehört zu den Überraschungen einer solchen Reise, dass die Gesprächspartner bei der nordex energy GmbH, einem Windkraftanlagenbauer mit über 2000 Mitarbeitern, den Besuchern der LINKEN die Forderung nach Verstaatlichung der Stromnetze und des Stromnetzausbaus mit auf den Weg geben. Eine Forderung, der sich auch Steffen Bockhahn, direkt gewählter Rostocker Bundestagsabgeordneter anschließt. Für Bockhahn ist nachhaltige Energiepolitik auch Standortpolitik. Wenn ein Windmüller, wie sich die Unternehmer der Branche selbst nennen, 2300 Arbeitsplätze und mehr  Gewerbesteuereinnahmen in die Region bringt, dann ist das das Soziale am sozial-ökologischen Umbau. Neue Energien schaffen neue Perspektiven, wenngleich Bockhahn natürlich weiter dafür kämpfen wird, dass der Trend der Rostocker Solarfirmen, weniger auf Leiharbeit zu setzen, anhält.

Was bleibt nach der drei-tägigen Tour? Kirsten Tackmann, Leiterin des Arbeitskreises „Infrastruktur und Umwelt“ und agrarpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, sagt, sie habe erkannt, dass es beim sozial-ökologischen Wandel nicht um den bloßen Wechsel von Energieträgern geht, sondern um einen kulturellen Wandel. Dazu gehöre, Erfahrungen aus einem Teil Deutschlands, in dem Brache und Strukturschwäche kreative Lösungen nötig machten, für die gesamte Republik zu nutzen. Dazu gehöre jedoch auch ein anderes Verständnis von Politik, das mehr auf Kooperation und auf den Spielraum vor Ort setzen muss, anstatt durchzuregieren.

linksfraktion.de, 11. Juni 2012