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Pflege braucht Wertschätzung

Periodika,

Christine Knabe traute sich. Im August 2017, gut einen Monat vor der Bundestagswahl, schrieb sie einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der war wütend, und für ihn gab es einen letzten Anstoß: Die Pflegerin bekam innerhalb einer Woche das dritte Knöllchen hinter den Scheibenwischer ihres Autos geklemmt. Das Berliner Ordnungsamt verhängte dreimal 15 Euro Strafe für Falschparken. Was kaum jemand weiß: Pflegerinnen in der häuslichen Pflege besitzen keine Sondergenehmigung wie etwa Ärzte im Einsatz, um vor der Haustür ihrer Patientinnen und Patienten parken zu dürfen. Tun sie es trotzdem, weil weit und breit keine Parkmöglichkeit zu finden ist, bedeutet es jedes Mal zahlen, immer aus der eigenen Tasche.

Seit fast 20 Jahren arbeitet Christine Knabe in der häuslichen Pflege. Mit ihrer langjährigen Tätigkeit in diesem Beruf ist sie so etwas wie eine Ausnahme. Denn in der Regel verbleiben Pflegekräfte nur zwischen sieben und zehn Jahren in ihrem Beruf. Danach sind sie ausgebrannt. Oder sie haben die Nase voll von den anstrengenden Arbeitsbedingungen: Schichtdienst, häufige Überstunden, aus der Freizeit heraus einspringen für ausgefallene Kolleginnen und Kollegen, auch kaum Möglichkeiten, selbst die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen einzuhalten. Dazu kommt die ausgesprochen schlechte Bezahlung. Laut Zahlen, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) 2015 veröffentlichte, verdienten qualifizierte Altenpflegekräfte monatlich 2.441 Euro brutto. In Sachsen-Anhalt erhielten sie sogar nur 1.743 Euro brutto. Zum Vergleich: Der Durchschnitt aller Branchen lag zu dem Zeitpunkt bundesweit bei 3.462 Euro Monatsverdienst.

Christine Knabe arbeitet in Berlin. Sie ist selbstständig, betreut pflegebedürftige Frauen und Männer im Auftrag verschiedener Pflegedienste. Woche für Woche läuft sie treppauf, treppab, versorgt in ihrer Schicht zwischen 25 und 30 Patientinnen und Patienten in deren Wohnungen. Sie wechselt Verbände, versorgt Wunden, misst Blutdruck und Blutzucker, spritzt Insulin, reicht Medikamente, bereitet das Frühstück, kümmert sich um die Körperpflege. Ihre »abrechenbare Dienstleistung« hängt von der jeweiligen Pflegestufe ab. Was sie nicht abrechnen kann, sei »Zeit und Zuwendung« – das, was Pflege unbedingt braucht, aber »kein Pflegekatalog vorsieht«, sagt sie.

 

Professionelle Ausbildung

Die 54-jährige Berlinerin liebt ihren Beruf und hat sich dafür ein Leben lang weitergebildet. Ein »Sehr gut« steht auf ihrem Abschlusszeugnis als Krankenschwester. Es folgten Praxisjahre auf verschiedenen Klinikstationen, eine Weiterbildung für Suchtkranke, ein Studium der Sozialarbeit. Alles Aus- und Weiterbildungen, die die flinke Frau neben ihrer Arbeit und mit ihrer Familie absolvierte. Sie hat drei Kinder, die jüngste Tochter besucht das Gymnasium.

Christine Knabe will keinen anderen Beruf. Aber sie arbeitet am Limit, ist erschöpft und empört. Empört über die schlechte Bezahlung, über den Dauerstress. Darüber, dass »ambulante Pflegerinnen und Pfleger nicht gesehen werden und ihre Arbeit keine Anerkennung findet«.

Ihr Tag beginnt morgens gegen halb fünf. Als Erstes versorgt sie ihre pflegebedürftige Mutter. Dann weckt sie die Tochter. Danach fährt sie zu ihrer Frühschicht. Die beginnt beim ersten Patienten um 6 Uhr und endet offiziell beim letzten um 14 Uhr. An manchen Tagen im Monat geht sie darüber hinaus in die Akademie und bildet Pflegekräfte aus. Sowohl Pflegefachpersonal als auch Pflegehilfskräfte. Ihren Alltag in und mit der Pflege schilderte sie in ihrem offenen Brief an das Bundeskanzleramt. Sie schickte das Schreiben auch an CDU, SPD, Grüne, FDP und DIE LINKE. Christine Knabe wollte wissen: »Wo wird hörbar für uns gekämpft? Wo sind Maßnahmen, die uns Pflegende im Mittelpunkt sehen?« Zum Gespräch eingeladen wurde Christine Knabe nur von der Fraktion DIE LINKE.

Alle anderen antworteten nicht. Auf ihrer Wunschliste – gerichtet an die Politik – stehen unter anderem ein monatliches Nettogehalt zwischen 2.500 und 3.000 Euro, mindestens, dazu eine Gehaltsstaffelung nach Qualifikation und Dienstjahren und die Genehmigung für ein straffreies Parken vor der Haustür der Patienten. Forderungen, die für beide Seiten gut wären: für die Beschäftigten in der Pflege und für die zu Pflegenden. Und Forderungen, deren Umsetzung »nicht wieder auf die lange Regierungsbank geschoben werden sollten«.

Gisela Zimmer