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»Patriot«-Abzug war überfällig

Im Wortlaut von Stefan Liebich,

 

Von Stefan Liebich, Obmann der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss

 

Der Einsatz war von Anfang an eine Farce. Knapp 250 Bundeswehrsoldaten mit zwei Raketenabwehr-Batterien des Typs „Patriot“ wurden im Januar 2013 mit dem Segen der Regierungsmehrheit im Bundestag an der türkisch-syrischen Grenze unweit von Iskenderun stationiert. Die Begründung für diesen gefährlichen und zugleich sinnlosen Einsatz war sehr schlicht: Die Regierung des NATO-Partners Türkei habe darum gebeten.

Jetzt, 30 einsatzlose Monate später, verkündet die Bundesregierung das Aus dieser „Active Fence“ getauften Mission. Begründung diesmal: Die militärische Lage habe sich geändert, Syriens Staatschef Assad sei nicht mehr in der Lage, türkisches Hoheitsgebiet mit Flugzeugen anzugreifen.

Mal davon abgesehen, dass es ohnehin nie ein einleuchtendes Argument dafür gab, warum der von allen Seiten unter Druck geratene Diktator sich nun auch noch mit der NATO anlegen sollte, spielt bei der Entscheidung, die „Patriots“ Anfang 2016 abzuziehen, die Befindlichkeit der Türkei keine Rolle mehr. Es scheint den NATO-Partnern Deutschland und Niederlande (die ihrerseits bereits den Rückzug vollzogen haben) inzwischen egal zu sein, wie in Ankara über den Abzug der „Patriots“ gedacht wird.

Das südöstlichste NATO-Mitglied hat das selbst zu verantworten. Mit anhaltenden Militäreinsätzen gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK in der Türkei, aber auch im Irak und in Syrien treibt der türkische Präsident Erdoğan die Eskalation in der ohnehin kriegsgeplagten Region weiter voran. Gegen jede Vernunft kündigte er einseitig den Friedensprozess mit den Kurden auf.

Am 20. Juli ermordete ein Terrorist 32 Jugendliche und verletzte über 100 weitere Menschen in der türkischen Stadt Suruc unweit der syrischen Grenze. Die Jugendlichen waren an einer Solidaritätsaktion für den Wiederaufbau von Kobanê beteiligt, jener Stadt, die den Angriffen des "Islamischen Staats" so lange trotzte und die weltweit Solidarität erfuhr. Die linke Oppositionspartei HDP macht die Politik des türkischen Präsidenten Erdoğan zumindest mitverantwortlich für dieses barbarische Verbrechen. Zu Recht, denn bis heute stellt die türkische Regierung den Kampf der Kurdinnen und Kurden für ihre Rechte als größere Bedrohung dar, als die durch den "Islamischen Staat". Die Finanzierung des IS erfolgte durch Ölverkäufe über die türkische Grenze, der Nachschub an Kämpfern erfolgte ungehindert, während die Grenze für die Verteidigerinnen und Verteidiger im Kampf um Kobanê geschlossen blieb.

Seit den Toten von Suruc wird die Türkei von einer Welle der Gewalt erfasst, eine Situation in der schnell nach einem "starken Mann" gerufen werden kann. Gern würde sich der nach dem Dämpfer der letzten Wahlen angeschlagene türkische Präsident als solcher präsentieren. Zugleich gilt es für Erdoğan, militärische Erfolge der kurdischen Kämpfer in Irak und Syrien mit allen Mitteln zu unterbinden. Damit gefährdet er gegen den Willen der USA und ihrer Alliierten die letzte Verteidigungslinie gegen den "Islamischen Staat". Diese unterstützen die kurdischen Einheiten in ihrem Kampf gegen den IS und das NATO-Mitglied Türkei tut das Gegenteil.

Am 28. Juli kam der NATO-Rat in Brüssel auf Antrag der Türkei zu einer Sondersitzung zusammen, die mit folgender Erklärung endete: „Die Sicherheit des Bündnisses ist unteilbar, und wir stehen in starker Solidarität mit der Türkei. Wir werden auch weiterhin die Entwicklungen auf der Süd-Ost-Grenze der NATO eng verfolgen.“ Kurz darauf verkündete die deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen den Abzug der Patriot-Einheiten der Bundeswehr aus der Türkei. Diese Entscheidung war überfällig. Eine deutliche Kritik der Bundesregierung am Agieren der türkischen Regierung steht weiterhin aus.

linksfraktion.de, 18. August 2015