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»Nur konsequent, wenn Schindler jetzt gehen muss«

Im Wortlaut von André Hahn,

André Hahn, stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestag, im Interview mit dem Deutschlandunk über die Ablösung von Gerhard Schindler als Präsident des Bundesnachrichtendienstes

 

Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, der steht offenbar vor der vorzeitigen Ablösung. Das ist eine überraschende Entwicklung, über die gestern Abend zuerst NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung berichtet haben. Offiziell ist es noch nicht, aber auch unserem Hauptstadtstudio wurde der Bericht inzwischen bestätigt.
Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, der Linken-Politiker André Hahn. Guten Morgen!

André Hahn: Ja, guten Morgen.

Sandra Schulz: Welche Informationen haben Sie über die Ablösung Schindlers?

Hahn: Ich kenne im Prinzip die Meldungen, die Sie jetzt auch gebracht haben, dass die Ablösung kurz bevorsteht. Für mich ist das keine Überraschung. Sie war eigentlich überfällig. Allenfalls erstaunt jetzt der Zeitpunkt. Denn die Reihe von Pannen und Skandalen beim Bundesnachrichtendienst ist ja in den letzten Monaten und Jahren immer länger geworden. Es hat ja nicht mal die Eigensicherung des Dienstes funktioniert, wenn ich an den CIA-Spion im BND denke, der über Jahre hinweg hoch brisante Dokumente entwendet und an die Amerikaner weitergeleitet hat. Sie haben den Untersuchungsausschuss angesprochen. Dort sind höchst zweifelhafte Kooperationen mit der NSA, mit der CIA ans Licht gekommen, bei denen wiederholt gegen Recht und Gesetz verstoßen worden ist, und es wurden tausendfach illegale Suchbegriffe der Amerikaner im BND-System gesteuert, die rechtswidrig waren sowie deutsche und europäische Interessen verletzt haben. Und es ist tatsächlich so, dass die Abteilung Technische Aufklärung ein hoch gefährliches Eigenleben entwickelt hat, wobei dann auch reihenweise Regierungen und Institutionen von EU-Ländern und NATO-Partnern ausspioniert wurden. Spionieren unter Freunden ging also auch beim BND, der ja damit selbst der eigenen Bundeskanzlerin in den Rücken gefallen ist, und von all diesen Vorgängen hat das Parlamentarische Kontrollgremium, das ja eigentlich zuständig ist für die Nachrichtendienste und für die Kontrolle der Bundesregierung, entweder viel zu spät oder gar nicht erfahren. Viele Dinge sind auch uns erst durch die Medien bekannt geworden, und das war natürlich kein Zustand. Und schließlich gibt es ja auch noch die aus dem Ruder laufenden Kosten für den Neubau der BND-Zentrale in Berlin und für all das trägt natürlich Herr Schindler die politische Verantwortung und deshalb ist es nur konsequent, wenn er jetzt gehen muss. Allerdings - und das will ich noch hinzufügen - hat auch die Dienst- und Fachaufsicht im Bundeskanzleramt eklatant versagt. Auch dort sind personelle Konsequenzen unvermeidlich und dringend geboten und deshalb sollte auch dort unverzüglich gehandelt werden.

Das heißt, Sie sehen die Chance auf einen Neuanfang? Das ist ja zum Beispiel eine Reaktion, die aus der Union auch kommt und so gelobt wird. Da sind Sie auf einer Linie?

Ich weiß nicht, ob ich da mit der Union auf einer Linie bin. Die Frage ist ja, was Neuanfang bedeutet. Bedeutet Neuanfang, dass jetzt möglicherweise der Finanzminister die Personalpolitik beim BND macht, wenn sein Abteilungsleiter jetzt dorthin wechselt und er vielleicht noch von seinem früheren Amt als Bundesinnenminister jetzt hier Einfluss nehmen will auf den BND? Das hielte ich schon für problematisch. Natürlich ist die Ablösung von ein oder zwei Personen nicht ausreichend. Der BND muss grundlegend reformiert werden und dazu bedarf es eines neuen BND-Gesetzes, und da ist ja die Frage, wohin geht das. In der Koalition gibt es offenbar einen heftigen Streit zwischen den Hardlinern und einigen, die wirklich bestimmte Befugnisse des BND gesetzlich regeln wollen. Andere wollen weiter vieles im Ungefähren lassen, dass der Nachrichtendienst machen kann was er will, wie es in den letzten Jahren passiert ist. Da ist die Entscheidung überhaupt noch nicht getroffen, in welche Richtung das geht, und was natürlich nicht sein kann ist, dass man jetzt ein Gesetz macht, das die ganzen Unregelmäßigkeiten und Verstöße des BND vielleicht auch noch nachträglich legitimiert und im Gesetz dann offiziell erlaubt. Wir brauchen diese grundlegende Reform. Nur dazu muss die Regierung liefern und das steht bisher immer noch aus.

Wie interpretieren Sie da die Personalie Bruno Karl?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich den Herrn nicht einschätzen kann. Ich kenne ihn schlichtweg nicht, auch aus meiner bisherigen Arbeit. Deshalb ist es ja so eigenartig, wenn die Meldungen jetzt unterschwellig sagen, dass der Finanzminister hier den Vorschlag gemacht hätte für diese Neubesetzung. Das wäre schon eigenartig. Das ist Sache des Kanzleramtes und von daher verwundert das etwas. Ich kann ihn fachlich nicht beurteilen. Zunächst muss ich auch erst einmal abwarten, ob tatsächlich der Name dann auch bestätigt wird. Wir müssen mit jedem neuen Präsidenten oder jeder neuen Präsidentin natürlich vernünftig zusammenarbeiten. Wichtig ist aber eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und die ist in den letzten Jahren erheblich gestört gewesen, und das lag ganz sicherlich nicht nur an Herrn Schindler.

Wir haben die Einschätzung von Gudula Geuther ja gerade noch mal gehört. Auch Gerhard Schindler war alles andere als ein Softie. Was veranlasst Sie denn zu der Annahme, dass sich überhaupt was ändert?

Es muss sich etwas ändern. Das was der NSA-Untersuchungsausschuss zutage gefördert hat, kann ja nicht ohne Konsequenzen bleiben. Wenn hochkarätige Wissenschaftler sagen, dass es für bestimmte Tätigkeiten, die der BND seit Jahren unternimmt, überhaupt keine Rechtsgrundlage gibt, wenn der BND Dinge erfindet, um Tätigkeiten zu rechtfertigen, wie eine sogenannte Weltraum-Theorie, dass alle Informationen frei schwebend sind und in Deutschland verarbeitet werden dürfen, ohne dass man sich an Recht und Gesetz halten muss, was ja auch von der Bundesdatenschutzbeauftragten massiv kritisiert worden ist. Diese Punkte müssen korrigiert werden und da setze ich eigentlich darauf, dass sich die vernünftigen Kräfte insbesondere innerhalb der Union durchsetzen und im Gesetz diese Dinge regeln.

Herr Hahn, aber da sind ja auch wahnsinnig viele Punkte einfach umstritten, unter Juristen umstritten, unter Fachleuten umstritten. Dass Geheimdienste grundsätzlich im Geheimen arbeiten, da gehen Sie mit?

Das erleben wir ja, wenn ständig neue Verstöße auch herauskommen. Dass sie geheim arbeiten, ergibt sich ja schon aus ihrem Namen. Aber es wurde ja immer der große Vorzug gepriesen, dass die Geheimdienste in der Bundesrepublik und auch in anderen Ländern demokratisch kontrolliert werden, und genau diese Kontrolle funktioniert nicht wirklich und viele Informationen erhalten wir gar nicht oder erst sehr verspätet. Das kann so nicht weitergehen. Deshalb haben wir bereits im vergangenen Jahr im November einen eigenen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Kontrolle der Nachrichtendienste vorgelegt und wir hoffen, dass man nun endlich auch fraktionsübergreifend dort zu Potte kommt und eine solche gesetzliche Neuregelung nicht nur den BND betreffend, sondern überhaupt die Geheimdienstkontrolle auf den Weg bringt. Das ist längst überfällig.

Der Linken-Politiker André Hahn, der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, hier heute bei uns im Deutschlandfunk. Danke!


Deutschlandfunk, 27. April 2016