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"Nicht schnüffeln, nur schnuppern"

Im Wortlaut von Wolfgang Neskovic,

RUNDSCHAU-Gespräch mit Wolfgang Neskovic, für die Linkspartei im BND-Ausschuss

Ein Bundestagsuntersuchungsausschuss wird ab heute versuchen, Licht in den Entführungsfall Khaled el Masri und die damit verbundenen Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes (BND) zu bringen. Es war bekannt geworden, dass ein BND-Beamter schon wenige Tage nach der Festnahme El Masris in Mazedonien und der Überstellung an US-Geheimdienstmitarbeiter von dem Vorgang erfuhr. Über Vorwürfe gegen den BND sprach die RUNDSCHAU mit dem rechtspolitischen Sprecher der Fraktion der Linkspartei.PDS im Bundestag, Wolfgang Neskovic, der in Cottbus seinen Wahlkreis hat. Der Richter am Bundesgerichtshof a. D. ist Mitglied im BND-Untersuchungsausschuss.

Der Grünen-Vertreter im BND-Ausschuss, Hans-Christian Ströbele, hat nach dem Bekannt werden der Panne im Fall El Masri erklärt, die Frage sei nicht, ob der BND ein Sauladen ist, sondern wie groß dieser sei. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich halte die Wortwahl für verfehlt. Es sind offensichtlich schwer wiegende Fehler gemacht worden. Jetzt muss geklärt werden, wer dafür die Verantwortung hat. Bislang will sie keiner übernehmen. Das kann nicht hingenommen werden.

Glauben Sie, dass es eine Panne war?

Als Richter sage ich, ich will erst feststellen, was ist, bevor ich abschließende Bewertungen vornehme. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass in der konkreten Situation ein Beamter, der so etwas Brisantes erfährt, es für sich behält. Ich glaube nicht an die Version der Panne, aber ich kann sie auch nicht ausschließen. Die Wahrheit wollen wir aufklären.

Wird der Untersuchungsausschuss dazu in der Lage sein?

Das will ich hoffen. Allerdings, einen Aufklärungswillen zu haben, heißt noch nicht, auch einen Aufklärungserfolg zu erzielen. Aber wer Aufklärungserfolge haben möchte, muss wenigstens den entsprechenden Willen haben. Den haben wir und auch wirksame Mittel. So stehen die Zeugen unter Wahrheitspflicht. Das Parlamentarische Kontrollgremium ist für eine solche Aufgabe ungeeignet. Weil wir dort Zeugen nur anhören können, ohne, dass sie unter Wahrheitspflicht stehen. Ich setze vor allem darauf, die sachnahen Zeugen - wie den BND-Mann in Mazedonien - zu hören. Diese werden sich genau überlegen, ob sie eine strafbare Handlung begehen, indem sie die Unwahrheit sagen.

Denken Sie, es werden uns noch weitere Enthüllungen erwarten?

Davon gehe ich aus. Ich glaube nicht an die Version von der Panne. Es geht jetzt auch darum, festzustellen, was eigentlich die alte und neue Bundesregierung unternommen haben, um sachgerecht aufzuklären.

Bröckchenweise Enthüllungen lassen Regierung und BND in schlechtem Licht erscheinen. Weiß die Regierung nicht alles oder werden wir angelogen?

Das Ergebnis des Untersuchungsausschusses könnte auch zu Tage fördern, dass die Regierenden nichts gewusst haben. Das würde sie politisch aber nicht entlasten. Nichts zu wissen, heißt, einen Apparat nicht im Griff zu haben. Es wird immer wieder behauptet, der BND sei leistungsfähig. Zurzeit stellen wir fest, dass er über Jahre Rechtsbrüche begangen hat, indem er Journalisten bespitzelte. Da fragt man sich doch: Was ist das für eine Spitze, die unfähig ist, so etwas zu unterbinden? Oder ist eine Spitze da, die den Apparat im Griff hat, die aber Rechtsbrüche angeordnet oder zumindest geduldet hat. Beides wäre politisch verwerflich und müsste politische und personelle Konsequenzen haben.

Ausgangspunkt für die Untersuchungen war der Einsatz von BND-Agenten zu Beginn des Irak-Krieges, gibt es da neue Erkenntnisse?

Wir beginnen im Ausschuss mit dem Fall El Masri. Danach sollen die Themen Journalistenbespitzelung, die CIA-Flüge und der Komplex Irak auf der Tagesordnung stehen. Der Fall El Masri ist für mich der brisanteste. Die deutschen Behörden haben gewusst, dass die Amerikaner eine völkerrechtswidrige Praxis der Verschleppung von Menschen einschließlich der Folter vorgenommen haben. Dabei ging es in erster Linie darum, an Informationen zu gelangen, um dann präventiv tätig zu werden. Den deutschen Behörden ist klar, dass hier zu Lande diese Praxis verboten ist. Aber an Informationen sind auch sie interessiert. Aufzuklären wird nun sein, ob sie sich etwa auf eine rechtswidrige Arbeitsteilung eingelassen haben nach dem Motto: Deutsche geben den Amerikanern Informationen, zum Beispiel Reisedaten, die dann die USA in den Stand versetzen, Leute zu verschleppen und zu foltern. Und hinterher bekommen die deutschen Behörden die Informationen auch. Arbeitstitel "Outsourcing von Folter". Würde sich das bewahrheiten, wäre das ein massiver Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien.

Da Sie auf die Frage zum Einsatz des Bundesnachrichtendienstes im Irak mit El Masri antworten, kann man davon ausgehen, dass sich die Schwerpunkte der Untersuchung verschoben haben?

Eigentlich nicht, nur die öffentliche Wahrnehmung ist eine andere. Beim Irak ging es "nur" um die Frage, ob die Regierung gelogen hat, indem sie sagte, Deutschland hat sich militärisch nicht beteiligt. Wenn das falsch wäre, weil sich mindestens zwei BND-Mitarbeiter mit Wissen oder sogar auf Anordnung der Bundesregierung militärisch am Krieg beteiligt hätten, hätte die Regierung die Unwahrheit gesagt. Das wäre ein politisches Vergehen, auch wenn diese Beteiligung für den Ausgang des Krieges nicht von ausschlaggebender Bedeutung gewesen ist. Andererseits, wenn sich herausstellen würde, dass Deutschland sich an Foltermaßnahmen beteiligt hätte - bisher nur eine Hypothese - dann wäre das ein zentrales Abrücken von rechtsstaatlichen Prinzipien. Das würde ich viel schwerer gewichten als die politische Unwahrheit mit der Nichtteilnahme am Irak-Krieg.

Sehen Sie mehr persönliches Versagen beim BND im Vordergrund oder stimmt etwas mit der Struktur nicht?

Das wissen wir noch nicht. Wenn, wie bei den 1 beiden BND-Agenten in Bagdad, der Einsatz mit Wissen der Führung geschehen sein sollte, hätte die Regierung die Unwahrheit gesagt. Das wäre für mich kein Strukturproblem des BND. Wenn die Beamten selbstständig - also ohne Wissen der Regierung - über einen so langen Zeitraum agiert hätten, dann wäre es eines. Die Bundesregierung hat Veränderungen angekündigt. Das halte ich für richtig.

Sie treten im Juli ein Praktikum beim Bundesnachrichtendienst in Pullach an, warum?

Ich möchte wissen, welche Arbeitsstrukturen dort bestehen und welche geistig-politische Grundhaltung vorherrscht.

Denken Sie, dass Sie bei dem Praktikum entsprechende Einblicke bekommen?

Ich kann nichts erzwingen. Den Geheimdiensten gegenüber vertrete ich eine kritische, aber keine feindliche Haltung. Ich werde sehen, was die Mitarbeiter bereit sind, mir zu zeigen. Eine Besichtigungstour plane ich nicht. Ich habe ein Akteneinsichtsrecht und das werde ich gegebenenfalls in Anspruch nehmen. Ich will ja nicht schnüffeln, sondern nur schnuppern.

Mit Wolfgang Neskovic sprachen Tim Albert, Andreas Blaser, Christian Taubert und Verena Ufer

Lausitzer Rundschau, 22. Juni 2006