Zum Hauptinhalt springen

Neuer Kalter Krieg?

Kolumne von Alexander S. Neu,

 

Von Alexander Neu, Obmann der Fraktion DIE LINKE im Verteidigungsausschuss

 

Seit über einem Jahr nimmt die Öffentlichkeit die wachsenden Spannungen zwischen dem „Westen“ und Russland mit Besorgnis wahr. Sowohl rhetorisch als auch militärisch wird mit den Säbeln gerasselt. Begriffe wie „Eiszeit“ oder „Kalter Krieg“ dominieren wieder den politischen und medialen Sprachgebrauch. Russland sieht sich durch die NATO- und EU-Osterweiterung politisch und militärisch vom Westen bedrängt und (re)agiert. Der „Westen“ wiederum sieht sich im russischen Verhalten bestätigt, demnach Russland kein vertrauenswürdiger Partner sei, da es angeblich die Ukraine überfallen und die Krim annektiert habe. Begleitet werden die gegenseitigen Vorwürfe von Manövern, Truppenverlegungen und Aufrüstungen beiderseits der russischen Grenze.

Jüngst verkündete die russische Regierung, sie wolle bis Jahresende 40 neue strategische Atomraketen stationieren. Die USA beabsichtigen ihrerseits wieder nuklear bestückte Marschflugkörper in Europa zu stationieren. Das ist der Stoff, aus dem Rüstungswettläufe und vielleicht noch Schlimmeres entstehen. In der Tat, wir befinden uns im Kalten Krieg 2.0. Diesmal ist es keine ideologisch motivierte, sondern eine reine geostrategisch und -ökonomisch motivierte Konfrontation. Die Ukraine und die Krim sind auch nicht die Ursachen dieses Konflikts, sondern nur die aktuellste und drastischste Ausdrucksweise. Faktisch hat der Kalte Krieg nach der Zeitenwende 1989/91 nicht aufgehört, wenn auch die ideologische Komponente weggefallen ist. Der Vorschlag Moskaus in den späten 1980er Jahren, die Blockkonfrontation zu Gunsten eines „gemeinsamen europäischen Hauses von Lissabon bis Wladiwostok“ zu errichten, wurde vom Westen nur verbal aufgenommen und nie ernsthaft als politische Alternative in Erwägung gezogen. Die Auflösung der NATO als Voraussetzung für einen sicherheits- und wirtschaftspolitischen kollektiven europäischen Raum von Lissabon bis Wladiwostok stand niemals auf der westlichen Tagesordnung. Im Gegenteil: Der Westen dehnte seinen Einflussraum via NATO und EU bis an die russischen Grenzen aus. Immer wieder unterbreitete die russische Seite Kooperationsangebote, die entweder nicht (beispielsweise gemeinsame Gespräche und Regelungen im Kontext der EU-Assozierungsverhandlungen mit der Ukraine, die automatisch auch den russischen Wirtschaftsraum betreffen würden) oder aber zu westlichen Bedingungen aufgegriffen wurden.

Mit der Rede des russischen Präsidenten Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 wurde der erste Warnschuss an den Westen abgegeben. Putin monierte die westliche Hybris und Arroganz im Umgang mit Russland und dem Rest der Welt. Es folgte der Georgien-Krieg als weiterer Warnschuss gegen die westliche Machtausdehnung. Auch dieser wurde nicht verstanden, wie der Konflikt um die Ukraine beweist. Im Konflikt um die Ukraine sind also nicht die Ukraine und Russland die wesentlichen Konfliktparteien, sondern vor allem der Westen und Russland über die Ukraine, bei der sich Russland aber in einer Defensivposition befindet.

Um die weitere Konflikteskalation mit dem Potential eines Nuklearkrieges in Europa zu durchbrechen, bedarf es Initiativen auf diversen Ebenen.

1. Das Minsker II-Abkommen muss umgesetzt werden.

2. Alle Militärmanöver beider Konfliktparteien im osteuropäischen Raum müssen sofort eingestellt werden. Und dies aus zwei Gründen:

· Die Sprache der Diplomatie darf nicht durch Säbelrasseln weiter untergraben werden.

· Es gab bereits zahlreiche militärische Zwischenfälle, bei denen NATO-Militär und russisches Militär aufeinander trafen. Solche Zwischenfälle können Eigendynamiken entfalten, die nicht mehr einhegbar sind. Die Gefahr eines unbeabsichtigten Krieges ist wesentlich größer als die eines beabsichtigten.

3. Die NATO muss sämtliche erfolgten und geplanten Truppenverlagerungen nach Osteuropa rückgängig machen. Die NATO-Russland Grundakte muss wieder respektiert werden. Die bisherige Formulierung, wonach keine „zusätzlich substantiellen Kampftruppen dauerhaft stationiert“ werden in den osteuropäischen NATO-Staaten, muss durch den Begriff „Kampffähigkeiten“ ersetzt werden, da die bisherige Formulierung neuinterpretiert wird, indem die zusätzlichen  NATO-Kampftruppen lediglich ausgetauscht werden.

4. Die russische Regierung muss die zusätzliche Verlagerung von Truppen und Waffensystem in die russische Enklave wieder auf das Niveau von 2013 senken, um der Bedrohungsperzeption der baltischen Länder Rechnung zu tragen.

5. Ein sicherheitskollektiver und ökonomisch gemeinsamer Raum von Lissabon bis Wladiwostok muss nun ernsthaft vorangetrieben werden. Entweder mit Unterstützung der USA oder aber ohne sie, sollten sich die USA dem verweigern.


linksfraktion.de, 23. Juni 2015