Zum Hauptinhalt springen

Nachdenken über Gerhard Zwerenz

Im Wortlaut,

Wolfgang Gehrcke bei der Gedenkfeier für Gerhard Zwerenz

Weitere Bilder auf Flickr

 

Auf Einladung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag trafen sich am 13. November Weggefährten- und Kampfgefährtinnen von Gerhard Zwerenz. Gerhard Zwerenz gehörte der Gruppe der PDS im Deutschen Bundestag als parteiloser Abgeordneter von 1994 bis 1998 an.

Nach der Begrüßung durch Dr. Dietmar Bartsch und dem Beginn mit persönlichen Erinnerungsworten über den Kollegen von Dr. Gregor Gysi, der damals der Gruppe im Bundestag vorstand, erinnerten sich Eckart Spoo und Otto Köhler ihres Freundes:

"Wolfgang Gehrcke, der gemeinsam mit Diether Dehm und Jürgen Reents den 90jährigen Gerhard Zwerenz wenige Tage vor seinem Tod besuchte und nun die Initiative zu dieser Gedenkfeier ergriff – vielen Dank dafür –, Wolfgang Gehrcke gab mir den Auftrag, in zehn Minuten 'Gerhard Zwerenz‘ Wirken als undogmatischer Literat auszuleuchten'. Ja, schon, eigentlich, gern, aber zehn Minuten würden gerade mal ausreichen, die Titel, Untertitel und Erscheinungsjahre der weit über hundert von Gerhard Zwerenz verfassten Bücher und Drehbücher zu nennen. Denn Gerhard war ein äußerst fleißiger Autor, und mein Respekt vor seiner literarischen Lebensleistung wächst noch, wenn ich mir klarmache, dass er erst relativ spät anfangen konnte zu schreiben und zu publizieren, weil er, der Junge aus einer Arbeiterfamilie, erst einmal Kupferschmied werden musste und Soldat in der Nazi-Wehrmacht und nach seiner Desertion Kriegsgefangener der Roten Armee und nach der Rückkehr in die sächsische Heimat Volkspolizist und Philosophie-Student. Jahrzehnte später, als 70jähriger, nahm er obendrein noch ein Bundestagsmandat auf sich und schrieb weiter – unter anderem ein Buch über seine Parlamentserfahrungen („Krieg im Glashaus – oder: Der Bundestag als Windmühle“). Manche seiner Bücher findet man gar nicht unter seinem Namen, zum Beispiel ein vergnügliches, in dem er Motive aus Goethes 'Wahlverwandtschaften' aufgriff.

Sein literaturwissenschaflicher Erstling über aristotelische und brechtsche Dramatik war noch in der DDR erschienen. Es folgte Biografisches, beispielsweise über Kurt Tucholsky, und Autobiografisches, Essayistisches, Romane, Erzählungen, auch mehrere Theaterstücke, Hörstücke, Fernsehstücke, Filme, versuchte sich immer wieder in verschiedenen Genres, Formen, Medien und verband vieles miteinander. Aktuell Politisches floß ins Philosophische und umgekehrt Philosophisches ins politisch Aktuelle – undogmatisch in Form und Inhalt, voller Überraschungen. In seinen letzten Lebensjahren entdeckte er die Möglichkeiten des Internet. Man wähle die Adresse 'poetenladen.de' und entdecke eine Fundgrube, die er uns dort hinterlassen hat. Für diesen Schatz an Erinnerungen und Reflexionen haben wir auch Ingrid Zwerenz zu danken, die – selber eine zauberhafte Poetin – mit ihrem präzisen Gedächtnis viel dazu beigetragen hat.

Sichtbar ist die schöpferische Zusammenarbeit beider Lebenspartner vor allem in dem von ihnen gemeinsam verfassten Buch über 'Sklavensprache und Revolte'. Beim Lesen meint man dabeizusitzen, einbezogen ins Gespräch, wenn Gerhard und Ingrid in ihrem Haus oben am Großen Feldberg im Taunus weit übers Land blicken und zurückschauen auf gemeinsam gelebtes Leben: wie sie Zwiesprache halten, einander Stichworte geben; wie sie ihre Darstellungen ergänzen,  wie sie sie aufgrund inzwischen gewonnener Lebenserfahrung auch mal korrigieren. Ihr Hauptthema ist die Sprache, die verordnete, verlogene Sprache, die alles ins Gegenteil zu verdrehen vermag. Dabei orientieren sie sich an Ernst Bloch, ihrem verehrten Lehrer, der sie für die meist schwer durchschaubaren Methoden der Propaganda sensibilisierte. Was kann Propaganda anrichten? Eine Jahrhundertfrage, die wir ins 21. Jahrhundert mitschleppen. Was vermag dagegen Aufklärung? Wir müssten lernen, Nein zu sagen – aber das ist schwer, vor allem in Zeiten der Kriege, wenn, wer die Wahrheit sagt, sofort als Feind, als Verräter der nationalen, der westlichen, christlichen, islamischen Werte dasteht, mit dem man kein Wort mehr wechseln darf. Ein überlebenswichtiges Thema. Ich erinnere mich, wie Gregor Gysi Slobodan Milosevic besuchte und deshalb verschrien wurde. Oder wie Peter Handke wegen des gleichen Schwerverbrechens zur Unperson wurde. Ein anderes Beispiel: Wie viele Tage oder Wochen oder Monate soll Syrien noch bombardiert werden, wie viele Millionen Syrer sollen sich noch zum Verlassen ihres Landes gezwungen sehen, bis endlich das Weiße Haus Verhandlungen mit Assad erlaubt? Wann lernen dpa und ARD und ZDF, dass zur notwendigen Aufklärung in Krisenzeiten vor allem sorgfältige Berichterstattung über die jeweilige Gegenseite gehören würde."

(Lesen Sie den Beitrag von Eckart Spoo zur Gedenkfeier) 

An Gerhard Zwerenz als den Abgeordneten, der in der 13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages den Antrag stellte, die Wehrpflicht abzuschaffen, erinnerte Otto Köhler:

„‚Soldaten sind Mörder’. Dass Tucholsky das sagen durfte, dass Gerhard Zwerenz dies aus eigener Erfahrung weitersagen und auch ein Buch mit diesem Titel schreiben konnte, und dass auch ich hier zu sprechen vermag, dafür kämpft und siegte die Bundeswehr in aller Welt. Von Jugoslawien bis nach Afghanistan und dort bis zum Massakerfluß bei Kundus.

So lehrte es am Montag eine Annonce nicht nur in der 'Süddeutschen Zeitung'. Da steht es besiegelt durch das nur wenig veränderte Eiserne Kreuz der Naziwehrmacht Wort für Wort auf olivgrüngeflecktem Tarnuntergrund:

WIR KÄMPFEN AUCH DAFÜR,

DASS DU GEGEN

UNS SEIN KANNST

Danke sehr, das wäre doch nicht nötig gewesen. Wir möchten nicht schuld sein, dass in aller Welt von unseren Soldatinnen und Soldaten Menschen um ihr Leben gebracht werden, nur damit wir unseren Mund aufmachen können. Das tun wir auch ohne, dass Soldaten dafür auf andere schießen. Wenn Gerhard Zwerenz gegen diese un-ver-schämte Propaganda-Anzeige der Bundeswehr im Parlament das Nötige gesagt hätte, er hätte sich mindestens zehn Ordnungsrufe des Parlamentspräsidenten Lammert eingehandelt.

So wie ihn damals – als er über Alfred Dregger, den Chef der Stahlhelm-Fraktion seine Wahrheit aussprach – die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer zur Raison bringen wollte: ‚Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben im Protokoll nachgeprüft. Der Abgeordnete Zwerenz hatte gesagt: ‚Selbstverständlich, Sie würden den Krieg‘ – damit war der nationalsozialistische Angriffskrieg gemeint – ‚heute noch weiterführen‘. Dafür rufe ich ihn zur Ordnung.’

Zur Ordnung? Zwerenz? Für seine Wahrheit? Es ist die Wahrheit.

Vor einem Vierteljahrhundert, nur sieben Monate nach dem ersehnten, aber für den Frieden in der Welt so verhängnisvollen Mauerfall, schrieb ich in der damaligen Zeit die Rezension einer Justizposse in Buxtehude. Ich schrieb allzu zaghaft von zwei Wahrheiten: Der Wahrheit des Generals und der Wahrheit des Deserteurs. Der Prozess begann mit der Frage des für seine Rechtsprechung vom Staat bezahlten Richters an den Schriftsteller Gerhard Zwerenz, ob es ihm beim Schreiben darum gehe, seine Thesen unters Volk zu bringen, oder darum, Geld zu verdienen. Wobei das erste dieser für das Rechtsprechen von der Staatsmacht besoldeten Person womöglich noch schlimmer erschien als das zweite.

Und das ist die Wahrheit des Bundeswehrgenerals a. D. Horst Ohrloff, der 1941 als Oberleutnant für die Ausübung seines Handwerks im Osten von Adolf Hitler das Ritterkreuz erhielt: Der Deserteur Gerhard Zwerenz habe bei der Lesung seines Buches ‚Soldaten sind Mörder’ gesagt, dass Hitler die Generale mit Geldgeschenken und Rittergütern gekauft habe. Sie hätten doch gar nichts mehr davon gehabt, erläuterte der General dem Gericht, des unglücklichen Kriegsendes wegen. Klar sei auch, dass Zwerenz ‚sehr geworben hat für Deserteure’ und dass der General sich darum fragen musste, welchem Zweck das dient.

Er, der General, halte es nicht für richtig, junge Menschen zur Desertion zu verleiten. Das werde, so habe er sich kundig gemacht, mit fünf Jahren Gefängnis bestraft. Ja, und Zwerenz habe zu ihm persönlich gesagt: ‚Für mich sind Sie als ehemaliger Soldat der Wehrmacht ein Mörder.’

Kurz, Zwerenz habe genau gewusst, wen er da beleidigte: ‚Es ist absolut sicher, dass er von vornherein wusste, dass ich ein hoher Offizier der Wehrmacht und General der Bundeswehr bin.’

Zwerenz war – da ist der General sicher – auf ihn angesetzt. Der General über den, wie er vorher sagte, ‚vom Osten gesteuerten Agenten’, er war da vor Gericht etwas vorsichtiger: ‚Ich habe vermutet, dass er gesteuert wird von außen her.’

Doch das wusste der General genau, dass es selbstverständlich in jeder Armee Verbrechen gibt. Die Wehrmacht war genauso schuldig und nichtschuldig wie andere Armeen auch.

‚Aber für Sie’, so sagte er vor Gericht zum Deserteur Zwerenz, ‚bin ich als Major im Generalstab natürlich Kriegsverbrecher.’ Und er klagte, bewegt und verbittert, dass 1945 die Alliierten ihm sein Vermögen und sogar sein Gehalt beschlagnahmt hätten.

Zwar höre er schwer, sagt der General, aber er habe in der zweiten Reihe gesessen und Zwerenz habe – das ist ein Schlüsselsatz, wörtlich: ‚In der ganzen Veranstaltung hat er Dinge dargestellt, die anders sind.’

Und in diesem Zusammenhang habe Zwerenz – darum klagt der Staatsanwalt für den General – mit dem Finger auf ihn gedeutet und gesagt: ‚Sie badeten im Blut bis zu den Knien. Sie haben als Wehrmachtsangehöriger schwere Schuld auf sich geladen. Sie sind ein Mörder.’

Auf Vorhalt des Richters, dass Zwerenz bestreite, zu ihm persönlich gesagt zu haben: ‚Sie sind ein Mörder’, sagt der General zutiefst überzeugt: ‚Ich lege jeden Eid ab, dass er das gesagt hat.’ Das kennt er nicht anders. Auch auf – nicht gegen – Adolf Hitler hatte er seinen Eid abgelegt.

Das war in Buxtehude vor fünfundzwanzig Jahren die Wahrheit des Generals.

Und das ist die Wahrheit des Deserteurs Zwerenz. Er kannte den Mann nicht, der da im Publikum anfing, die deutsche Kriegsschuld zu bagatellisieren. Für ihn, den Deserteur, war das eine Beleidigung aller Opfer des Krieges. Ein Wehrmachtsoffizier, ein alter Nazi vielleicht, aber nie wäre er darauf gekommen, dass es sich um einen General der Bundeswehr handle.

Ja gewiss, sagt Zwerenz, er habe darauf bestanden, dass Generale sich mit Rittergütern und Geld – ‚Blutgeld habe ich gesagt’ – von Hitler kaufen ließen.

Zwerenz wusste, dass er selbst – er wiederholte es vor Gericht – als MG-Schütze ein Mörder war. ‚Ich habe geglaubt, wir könnten hier vor dem Publikum ein Beispiel geben, indem wir beide sagen, wir haben an Verbrechen teilgenommen.’

Aber der Mann da vor ihm sagte, dass er unschuldig sei und die Wehrmacht auch, dass sie nur gegen den Schandvertrag von Versailles gekämpft habe, dass er, dass das ganze Offizierskorps nur seine Pflicht tat.

Ja, sagte Zwerenz, er habe es nicht ertragen, wie dieser Mann da über die 40.000 Deserteure, die von der Wehrmachtsjustiz umgebracht wurden, sagte: Das ist rechtens. Er, der bis dahin ganz ruhig war, fürchtete, die Kontrolle über sich zu verlieren. Er habe darum schnell abgebrochen mit dem Satz: ‚Ich gestatte Ihnen nicht in meiner Gegenwart, das gesamte Offizierskorps der Wehrmacht reinzuwaschen: sie wateten [nicht ,badeten‘, darauf legt der Schriftsteller auch gegenüber einem General Wert] im Blut bis zu den Knien und bringen es nicht fertig, ein halbes Jahrhundert später ihre Schuld einzusehen.’“

(Lesen Sie den gesamten Beitrag von Otto Köhler)

 

Wolfgang Gehrcke und Dr. Diether Dehm, auf deren Initiative zu dieser Ehrung eingeladen wurde, brachten sich ebenfalls selbst ein – Wolfgang Gehrcke mit seinen persönlichen Erinnerungen und Diether Dehm mit Liedern von Bertolt Brecht für seinen Freund Gerhard Zwerenz.

Und so kam es, dass wer an diesem ehrenden Gedenken teilnahm, obwohl es dafür einen traurigen Anlass gab, während der zwei Stunden im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ein Lächeln im Gesicht hatte. „Gerhard hätte es gefallen, wie hier heute geredet wurde“, sagte Ingrid Zwerenz mit einem Dank an die Fraktion dafür.

linksfraktion.de, 26. November 2015