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Moderne Sklavenarbeit

Im Wortlaut von Werner Dreibus,

Linksfraktion sieht beim Thema prekäre Jobs massiven Handlungsbedarf

In den vergangenen Jahren hat sich ein neues Wort immer weiter verbreitet: »prekäre«, also unsichere und schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse. Die zunehmende Prekarisierung wurde zum Schreckgespenst auf dem Arbeitsmarkt. Gestern beschäftigte sich die Linksfraktion mit dem Thema.

Zeitarbeit, befristete und geringfügige Arbeitsverhältnisse, Teilzeitarbeit und Niedriglohn - mehr als fünf Millionen Menschen sind in der Bundesrepublik prekär beschäftigt, das sind 15 Prozent aller Erwerbstätigen, schätzt die gewerkschaftsnahe Hans Böckler Stiftung. Auf der Suche nach Alternativen zur prekären Beschäftigung veranstaltete die Linksfraktion gestern eine Anhörung. »Gutes Leben braucht sichere Arbeit«, so der Titel.

»Ich bin geplättet«, fasste Fraktionsvize Werner Dreibus seine Eindrücke aus den Berichten Betroffener zusammen. Die Lage sei »noch dramatischer«, als man sich bisher vorgestellt habe, sagte Vize Klaus Ernst. »Wir brauchen dringendst gesetzliche Regelungen zum Schutz der Normalarbeitsverhältnisse.« Neben der Zeitarbeitsbranche sieht er bei den befristeten Arbeitsverhältnissen, Praktikanten- und in der Teilzeitarbeit »massiven Handlungsbedarf«.

Entsprechend war denn auch der Tenor der Anhörung: »Zeitarbeit ist Sklavenarbeit und gehört abgeschafft«, so Felix Weitenhagen, Betriebsrat im Berliner Siemens-Schaltwerk, wo 60 Prozent der Produktionsarbeiter als Leiharbeiter beschäftigt sind. Der Schlosser schilderte anschaulich die Probleme, die eine solche Beschäftigungsstruktur mit sich bringen: Druck auf die Stammbelegschaft, die auch immer flexibler werden muss und eine Zunahme der Arbeitsintensität. »Wenn ein Kollege, der als Zeitarbeiter ja auch unter enormem psychischen und physischen Druck steht, jeden Scheiß mitmacht, hat das auf die Belegschaft mehr Wirkung, als wenn der Vorarbeiter Druck macht«, so der Betriebsrat. Wenn man die Zeitarbeit schon nicht ganz abschaffen könne, solle man sie für die Unternehmen so teuer und unattraktiv wie möglich machen, ergänzte sein Kollege Thomas Schmidt, Betriebsrat bei der Autovision GmbH, einem Verleihunternehmen der VW-Gruppe.

Die Zeitarbeiter haben selten eine Lobby: Der Grad der Organisierung der häufig aus der Arbeitslosigkeit kommenden Zeitarbeiter ist nicht hoch. Nur in wenigen Zeitarbeitsfirmen gibt es einen Betriebsrat - schließlich muss man erst einmal sechs Monate in der Firma sein, um in eine solche Position gewählt werden zu können. »Wenn ein solches Vorhaben bekannt wird, sind die Kollegen schnell wieder entlassen«, so Beate Voigt vom Randstad-Betriebsrat. Zeitarbeiter seien in der Regel gut qualifiziert, flexibel und stehen noch dazu unter hohem Druck - eigentlich müssten sie sogar besser verdienen als ihre fest angestellten Kollegen.

Während sich die Bundesregierung wegen der Zunahme neuer sozialversicherungspflichtiger Jobs selbst auf die Schulter klopft, boomt bei genauerem Hinsehen vor allem die Zeitarbeitsbranche. Dem neuesten Bericht der Bundesagentur für Arbeit (BA) zufolge stieg die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs gegenüber dem Vorjahr saisonbereinigt um 32 000. Vor allem unternehmensnahe Dienstleistungen verzeichneten einen »kräftigen Anstieg« um 8,3 Prozent (274 000) - zum größten Teil aus der Zeitarbeit getragen, so die BA. Die Bundesregierung habe mit ihrer Deregulierungspolitik in den letzten Jahren zur fortschreitenden Ausbreitung prekärer Jobs beigetragen, so der Linkspolitiker Dreibus: unmittelbar mit Gesetzen und mittelbar mit der Verschärfung des Drucks auf die Erwerbslosen durch die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze.

Von Anke Engelmann

Neues Deutschland, 5. Juli 2007