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Mit einer Kehrtwende nach vorn

Im Wortlaut von Michael Schlecht,



Von Michael Schlecht, wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag


Viele Menschen sind auf der Flucht vor Not, Krieg und Verfolgung und suchen Schutz in Deutschland. Hierzulande wiederum fühlt sich eine beträchtliche Anzahl von Menschen durch die Zuwanderung bedroht. Davon profitieren rechte Parteien wie die Alternative für Deutschland. Unsicherheit und Ängste in der Bevölkerung sind verbreitet und auch verständlich, denn für viele Menschen ist das Leben tatsächlich hart geworden. Schuld daran sind allerdings nicht die Zuwanderer, sondern die Regierungsparteien.

Die AfD kann auf beträchtliche Stimmengewinne bei den kommenden Landtagswahlen hoffen. Ihr Erfolg beruht auf nur einem Punkt: Ausländerfeindschaft. Dass sie auch für Sozialabbau eintritt, wie zum Beispiel die Abschaffung des gesetzlichen Mindestlohns, weiß kaum jemand.
Beginnend mit Schröder/Fischer haben die Bundesregierungen einiges getan, um Verunsicherung und Ängste zu schüren, auf deren Boden sich die Ausländerfeindschaft entfaltet. So wurden Sozialleistungen wie Rentenansprüche gekürzt und die Daseinsvorsorge den Menschen als ihre "Eigenverantwortung" aufgehalst. Die Position der Gewerkschaften wurde geschwächt, der Lohn gedrückt, die Arbeitszeit massiv flexibilisiert und der Arbeitstag entgrenzt. In den Betrieben wachsen die Anforderungen und der Stress. Im Hintergrund lauert stets die Gefahr, in "Hartz IV" abzurutschen, also auf dem baren Existenzminimum zu landen und alles zu verlieren. Daran sind die Zuwanderer nicht schuld. Und sie aus Deutschland fernzuhalten, wird das Problem nicht beheben. Diejenigen, die ihren Frust und ihre Ängste auf Ausländer projizieren, haben sich den falschen Gegner gesucht!

Unternehmern wurden gesetzlich die Möglichkeiten eröffnet, verbreitet Beschäftigte in Teilzeit, Leiharbeit, Praktika und Minijobs einzustellen. Deren Existenz ist entsichert. Ein Fünftel der Beschäftigten gehört mittlerweile zum sogenannten Niedriglohnsektor, zu dessen Ausbau sich stolz SPD-Kanzler Gerhard Schröder bekannt hat. Der Druck ist so groß, dass zwei Drittel der Beschäftigten auch krank zur Arbeit gehen. Eine Million Arbeitnehmer nehmen laut DAK-Gesundheitsreport Medikamente, um den Stress zu kompensieren oder ihre Leistung zu steigern. Denn gefordert ist permanente Präsenz – jeder dritte Vollzeitbeschäftigte arbeitet mehr als 45 Stunden pro Woche.

"Schon lange nicht mehr ging es den Menschen in Deutschland so gut wie heute", lobt SPD-Chef Sigmar Gabriel. In was für einer Welt lebt der Wirtschaftsminister? Ein Fünftel der deutschen Bevölkerung ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, während sich am anderen Ende der Einkommenspyramide riesige Vermögen aufbauen. 2014 waren mehr als drei Millionen Haushalte in Deutschland überschuldet. Ursache dafür ist immer seltener Arbeitslosigkeit und immer häufiger "Einkommensarmut" – der Lohn reicht nicht zum Leben. Und die Rente auch nicht: Waren im Jahr 2003 noch rund 250 000 Senioren auf Sozialleistungen angewiesen, so dürften es im letzten Jahr eine halbe Million gewesen sein. Das Rentenniveau sinkt weiter. Fast eine Million über 65-Jährige gingen 2015 einem Minijob nach, um ihre Rente aufzubessern.

Eine Willkommenskultur braucht Sicherheit und finanzielle Ausstattung. Armut und Unsicherheit dagegen schüren Ablehnung. SPD-Chef Gabriel hat nun diesen Zusammenhang erkannt. Er fordert ein "neues Solidarprojekt", um der Ausländerfeindschaft entgegenzuwirken. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nannte diese Idee "erbarmungswürdiges Gerede", CSU-Chef Horst Seehofer eine "Schnapsidee". Kanzlerin Angela Merkel meint, dass Gabriel sich "klein mache", denn mit den sozialen Verbesserungen der letzten Jahre sei doch alles prima im Lande. Soweit die Parteien mit dem "Christ" im Namen.

Der Aufschlag von Gabriel geht in die richtige Richtung, auch wenn man sich fragen muss, wie ernsthaft das gemeint ist. Zu lange hat die SPD regiert oder mitregiert, die Sozialleistungen gekürzt, den Lohn gedrückt, die Arbeitsmärkte flexibilisiert zum Wohle der „Wettbewerbsfähigkeit“ des Standortes Deutschland. Nun sucht sie händeringend ein "Profil", sprich einen Grund, aus dem die Wähler ihr die Stimme geben sollten.

Wenn Gabriel es mit seiner neuen Sichtweise ernst meint, dann sollte er allerdings konsequent die Alternativen angehen. DIE LINKE fordert in einem Sofortprogramm 5 x 5 Milliarden, also zusätzlich zu den bestehen Ausgaben 25 Milliarden Euro. Fünf Milliarden für gemeinnützigen, sozialen Wohnungsbau, fünf Milliarden für öffentliche Beschäftigung und Integration, fünf Milliarden für bessere Bildung, fünf Milliarden für Sicherheit und Stärkung des öffentlichen Dienstes sowie fünf Milliarden für die Bekämpfung der Fluchtursachen.

Finanzierbar wäre dies mit Verabschiedung von der "schwarzen Null". Eine zusätzliche etwaige Kreditaufnahme ist ökonomisch sogar sinnvoll, denn der Bund bekommt diese Gelder faktisch zu Null Prozent Zinsen. Und um der Verunsicherung und Ängsten der Menschen zu begegnen, muss die Sicherheit am Arbeitsplatz wieder hergestellt werden. Die unbefristete Festanstellung muss wieder die Regel sein. Zur Absicherung gehört dann auch die Rechte der Betriebsräte und der Gewerkschaften im Betrieb zu stärken.

Wenn Wirtschaftsminister und SPD-Chef Gabriel es ernst meint, dann muss er nach Alternativen für eine Regierung Ausschau halten. Noch gibt es im Deutschen Bundestag Mehrheiten links von der Union.

linksfraktion.de, 4. Marz 2016