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Mindestlohn ist ein Stoppschild von vielen

Interview der Woche von Klaus Ernst,

Nach Jahren mühsamer Auseinandersetzung soll Anfang Juni nun endlich ein gesetzlicher Mindestlohn beschlossen werden. In der Folge der Agendagesetze immer dringlicher notwendig geworden, soll er eine untere Haltelinie gegen Lohndumping und Altersarmut sein. Doch das Gesetz ist löchrig, lässt zu viele Ausnahmen zu und legt eine zu niedrige Höhe fest. Klaus Ernst sagt im Interview der Woche, an welchen Stellen DIE LINKE auf Verbesserungen dringen wird – und welche weiteren »Stoppschilder« noch zur Gegenwehr aufgestellt werden müssen.

 

Die Uhr tickt: Am 4. Juli soll das Mindestlohn-Gesetz nun endlich beschlossen werden. Wie viel Löcher, glauben Sie, schafft die Große Koalition in dieser Zeit noch, in diesen Schweizer Käse zu bohren?

Die Gegner des Mindestlohns innerhalb der CDU/CSU formieren sich und es ist nicht auszuschließen, dass wie beim Rentenpaket noch ein Versuch unternommen wird, weitere Gruppen vom Gesetz auszunehmen. Im Gespräch sind Rentnerinnen und Rentner, Saisonarbeiterinnen und -arbeiter, Praktikanten generell und auch die Heraufsetzung der Altersstufe für die Ausnahmen. Für die SPD wäre eine weitere Verschlechterung völlig inakzeptabel, denn sie musste bereits Federn lassen. Die konservativen Vertreter des Mittelstandes, der vermeintlich unter einem Stundenlohn von 8,50 Euro zusammenbrechen wird, haben nicht verstanden, dass der Mindestlohn eine höhere Nachfrage gerade im unmittelbaren Konsumbereich auslösen wird. Hiervon werden zu allererst Klein- und Mittelbetriebe profitieren. Der Mindestlohn schützt Beschäftigte und Arbeitgeber vor Dumpinglöhnen.

Von Gewerkschaftsseite gibt es ja noch ein paar Versuche, das Möglichste herauszuholen. Frank Bsirske forderte vergangene Woche, den Mindestlohn nicht erst 2018, sondern schon 2016 zu erhöhen. Wird er Gehör finden?

Es wäre zu wünschen, denn 8,50 Euro bieten bereits jetzt für viele keine Existenzsicherung mehr – vor allem wegen der steigenden Mietkosten. Wenn man diesen ohnehin zu niedrigen Mindestlohn dann auch noch bis 2018 einfriert, wird er zudem real entwertet. In 2018 haben 8,50 Euro nur noch eine Kaufkraft von knapp 8 Euro.  Der Mindestlohn wird dann für noch mehr Menschen trotz Vollzeitarbeit nicht mehr existenzsichernd sein. Ein Mindestlohn, von dem man nicht leben kann, macht aber überhaupt keinen Sinn. Die Forderung von Verdi ist daher das absolute Minimum für erforderliche Korrekturen am Mindestlohngesetz.

Die Reaktionen von Verdi weisen auch daraufhin, dass die damaligen Äußerungen vom SPD-Vorsitzenden Gabriel, die Gewerkschaften hätten der Vorlage für das Gesetz zugestimmt, offensichtlich nicht zutreffen. Zumindest scheint dies nicht für Verdi zu gelten, der Gewerkschaft, die neben der NGG mit am heftigsten von der Niedriglohnpolitik betroffen ist.

Sollte die Höhe des Mindestlohns vom Bundestag, also per Gesetz, festgelegt werden oder doch lieber von einer Kommission?

Aus Sicht der LINKEN ist die Einstiegshöhe eine politische Festlegung, die sich an den Zielen, die mit dem Mindestlohn verfolgt werden, orientieren muss. Die Ziele sind: Existenzsicherung bei Vollzeitarbeit, nach 45 Jahren eine Rente oberhalb der Grundsicherung und die Verhinderung von Niedriglöhnen. Alle drei Ziele erfordern einen Mindestlohn in Höhe von mindestens 10 Euro pro Stunde. Diese sollte per Gesetz festgelegt werden. Die dann in Zukunft erforderlichen Erhöhungen des Mindestlohns sollten dann von einer Kommission empfohlen und vom Arbeitsministerium per Rechtsverordnung festgesetzt werden. Dadurch wird die Beteiligung der Tarifparteien gesichert. Die Erhöhungen müssen sich an der Entwicklung des Tariflohnindexes orientieren, damit die Mindestlohnbezieher nicht von der Entwicklung der Tariflöhne abgekoppelt werden.

Sie wurden schon im Bundestagsplenum gefragt, wie Sie als IG Metaller eigentlich für den Mindestlohn sein können. Und tatsächlich waren zu Beginn der Mindestlohn-Kampagne ver.di und NGG recht allein mit ihrer Forderung nach gesetzlichen Lohnuntergrenzen. Was hat dazu beigetragen, dass sich das Bild gewandelt hat?

Es liegt in der Natur der Sache, dass zunächst die Gewerkschaften, die am meisten durch die Niedriglohnpolitik gebeutelt sind, sich zum Vorreiter des Anliegens machen. Die IG Metall hat stets ein höheres Lohnniveau aushandeln können, da sie durch ihre starke Verankerung in den klassischen Exportsektoren eine viel höhere Kampfkraft besitzt. Aber über die Jahre ist deutlich geworden, dass die Agendapolitik von SPD und Grünen auf alle Beschäftigten abzielt. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes hat viele Facetten und schwächt die Gewerkschaften insgesamt. Es ist ein genereller Angriff auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit dem Ziel der Umverteilung von unten nach oben. Das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit wurde grundsätzlich verschoben. Das zeigt sich in der sinkenden Lohnquote, die dazu führt, dass den Beschäftigten in jedem Jahr viele Milliarden Euro entgehen, während die Gewinne steigen. Die Gewerkschaften haben diesen Generalangriff verstanden. Der Mindestlohn ist nur ein Element in der Gegenwehr, ein Stoppschild von vielen, die noch aufgestellt werden müssen. Er soll das Ausfransen des Lohnsystems nach unten begrenzen. Die nächsten Schritte müssen sein: Leiharbeit und Werkverträge zurückdrängen, das unbefristete Arbeitsverhältnis wieder zur Regel machen.

"Steter Tropfen höhlt den Stein", haben Sie in Ihrer letzten Plenarrede zum Mindestlohn und der Rolle der LINKEN gesagt. Angesichts der Löcher und Ausnahmen: Wie werden Sie dran bleiben? 

Wir werden weiterhin die zu geringe Höhe des Mindestlohns zum Thema machen. Sollte die Regierung uneinsichtig bleiben, wird sie von der Realität überholt. Es ist absehbar, dass jährlich das Existenzminimum angepasst werden wird und wir ratz fatz die widersinnige Lage vorfinden, dass Vollzeitbeschäftigte, die einen Mindestlohn erhalten, zu Aufstockern werden. Dann wird der gesetzliche Mindestlohn faktisch zum Kombilohn und dem Missbrauch durch Arbeitgeber ist Tür und Tor geöffnet. Das wird eine unhaltbare Situation werden, da eine solche Politik sich nicht mehr legitimieren lässt. Weiterhin werden wir überlegen, ob mit rechtlichen Mitteln gegen die Ausnahmeregelungen vorgegangen werden kann. Die Altersgrenze von 18 Jahren ist eine Diskriminierung der Jüngeren. Die fadenscheinige Begründung, der Mindestlohn verhindere Ausbildung, wird sich als nicht tragfähig erweisen. Viele der Unter-18-Jährigen gehen noch in die Schule und haben nebenher einen Minijob. Warum sollen sie für die gleiche Tätigkeit weniger bekommen, als diejenigen, die älter als 18 Jahre sind? Die Herabsetzung und Stigmatisierung der Langzeiterwerbslosen ist ausgesprochen schäbig. Statt ihnen den notwendigen Schutz zu gewähren, werden sie zusätzlich benachteiligt. Man bietet dem Arbeitgeber geradezu an, auf ihrem Rücken weiter Lohndumping zu betreiben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Arbeitgeber Langzeiterwerbslose für sechs Monate einstellen, sie dann ohne Angaben von Gründen entlassen, da der Kündigungsschutz noch nicht greift, und statt ihrer wieder neue Langzeiterwerbslose beschäftigt. Das wird zu einer Drehtür werden.

linksfraktion.de, 16. Juni 2014