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Meyerei hinterm Zaun

Im Wortlaut von Ulla Lötzer,

Doppeltes Versagen / Statt energetische Revolution und globale Entwicklung zu verbinden, setzt man in Heiligendamm auf einen Kurs, der auch für die Herren im Cockpit zur Geisterfahrt werden kann

Laurenz Meyer ist kein Fan von Sokrates und Platon. Als Demokrat schätzt er die Legitimation der Gewählten und verachtet die Besserwisser ohne Mandat. Die Auffassung der alten Griechen, dass ein aufgeklärter Diktator manchmal besser sei als die Demokratie, lehnt der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU ab. Das jedenfalls gibt Meyer in einem Anhörungssaal des Reichstags zu Protokoll, als Ende März die EU-Kommissarin Nelly Kroes zu Gast ist und mit deutlichen Worten über die Zukunft der europäischen Energiewirtschaft spricht. "Wir brauchen die klare Trennung von Netzeigentum und Stromproduktion, sonst kommen wir nicht voran", sagt die Holländerin.

Zunächst betretenes Schweigen bei den Abgeordneten der Regierungskoalition und Zustimmung von den Grünen sowie der Linken, die seit langem die Überführung der Netze in öffentliches Eigentum fordert. Trennung? RWE und E.ON die Netze wegnehmen? Weiß "die Kroes" nicht, mag sich mancher MdB von CDU und SPD in diesem Moment fragen, dass sie damit den Rubikon überschreitet? Sichtbar nervös werden vor allem diejenigen, die nicht nur das Volk, sondern insgeheim vor allem die Stromkonzerne vertreten. Laurenz Meyer, der jahrelang von RWE bezahlte Demokrat, findet die rettende Formel vom Diktator, der - auch wenn er mit aufklärerischem Pathos aus Brüssel kommt - mit unseren Werten nun mal nicht vereinbar sei.

Nur unsere Jeanne d´Arc

Diese deutsche Frühjahrsposse wird gerade in Heiligendamm neu inszeniert. In der Meyer-Rolle gesetzt ist George W. Bush, der den Konsens der Demokraten beschwört, um den klimapolitischen Fortschritt zu begrenzen. In einer Nebenrolle steht ihm Wladimir Putin zur Seite, da für Russland die Ölverwertung Staatsräson ist. Aber auch die anderen sechs wollen die Sonderinteressen ihrer Heimatfront wahren. Eine Inszenierung mit einem achtfach geklonten Meyer wäre allerdings lächerlich. Wer also spielt - adaptiert für den Gipfel - die Rolle der Nelly Kroes? Wer formuliert, da permanent von offenen Märkten und Investitionsfreiheit die Rede ist, die Konsequenz des nicht umwerfenden, sondern nur liberalen Standpunkts? Wer sagt, dass im Energiesektor Wettbewerb und Innovation nur gedeihen können, wenn die in Kartellen organisierten Profiteure des Klimawandels entflochten werden? Und wer geht noch einen kleinen Schritt weiter und wagt die Behauptung, dass eine Energierevolution nur dann denkbar ist, wenn die Macht eben jener Unternehmen beschränkt wird, die daran kein Interesse haben können?

Tony Blair kommt nicht in Frage. Selbst wenn er in einer unerwarteten Pointe seiner letzten Wochen sich noch zum Konzernkritiker aufschwingen wollte - seine Reputation ist im Irak versunken. Der von ihm beauftragte Nicholas Stern hat zwar in seinem weltweit beachteten Report die Notwendigkeit einer Investitionslenkung angedeutet und von einem Prozentpunkt der weltweiten Wirtschaftsleistung gesprochen, der für die energetische Runderneuerung zu reservieren wäre. Aber wie soll ausgerechnet Blair - der gescheiterte Hilfssheriff der Klimakiller - den Stern-Impuls, die Diagnose globalen Marktversagens, glaubhaft verkörpern? Die anderen Herren sind bestenfalls Mitläufer, wie Prodi und Sarkozy oder - wie Japaner und Kanadier - nicht für Widerstand gegen Washington bekannt. Bleibt also nur unsere Jeanne d´Arc, die in den deutschen Medien gefeierte, nur von einer inneren Stimme geleitete und von profanen Rücksichten unbefleckte Jungfrau von Heiligendamm?

Angela Merkel hat sich redlich bemüht, verbindliche Reduktionsziele in der offiziellen Erklärung festzuschreiben. Aber sie blieb doch weit entfernt von den Einsichten des zu Ende gedachten Liberalismus. Und der darüber hinaus gehende Gedanke, dass die milliardenschweren Öl-, Gas- und Stromkonglomerate Macht und Umsatz verlieren müssen, wenn die Regeneration der Erde mit der schnellen Verbreitung sauberer Technologien gelingen soll, liegt noch weiter jenseits ihres geistigen Rubikons. Dass die Kanzlerin nirgends mit der Inkonsequenz ihrer Haltung konfrontiert wird, zeigt das Niveau der Merkel-Euphorie. Ebenso selten kommt zur Sprache, dass sie im Zweifel nicht die Kroes, sondern den Meyer in ihr aktiviert. Bei jedem Konflikt, ob bei den Abgasnormen der Autoindustrie oder den geplanten Kohlekraftwerken, steht sie auf Seiten der nationalen Champions. Hätten zwei, drei Ölkonzerne ihren Hauptsitz in der Bundesrepublik, würde sie vermutlich reden wie der Mann aus Texas. Das bleibt ihr erspart, und so darf sie sich im Appellativen tummeln, also dort, wo die handfesten Interessen unkenntlich sind.

Betonköpfigkeit

Auch wenn Heiligendamm klimapolitisch in einer sorgsam verhüllten Variante der Meyerei endet - beim zweiten Topthema, der globalen Handelsfreiheit und Investitionssicherheit, sorgt Angela Merkel selbst dafür, dass sie als Anwältin deutscher Unternehmen durchschaubar bleibt. Bei allem, was dem Exportweltmeister das Geschäft verderben könnte, gehört sie zu den Betonköpfen. Den Technologietransfer erleichtern, um auch den ärmeren Regionen ein besseres und eigenständiges Leben zu ermöglichen? Geistige Eigentumsrechte lockern, damit auch in Afrika Medikamente bezahlbar werden? Den Wahnwitz immer längerer Transport- und Produktionsketten stoppen? Kein Wort dazu von der Kanzlerin. Wenn die Welt gegen die Wand rast, dann doch wenigstens in einem BMW und mit einem satten Plus in der deutschen Handelsbilanz.

Jenseits der üblichen Inszenierung, der falschen Rezepte und selbstgefälligen Erklärungen, symbolisiert das eingezäunte Ostseebad auch eine früher ungewohnte, gemeinsame Schwäche der G 8. Das ökonomische Diktat gegenüber dem Rest der Welt klappt nicht mehr reibungslos. Die Welthandelsrunden stocken, weil Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und Südafrika konkurrenzfähiger geworden sind und ihre Forderungen stellen. Auch Entwicklungsländer schlucken nicht mehr jeden Befehl aus dem Norden. Deshalb sollen künftig bilaterale Abkommen stärker ins Spiel kommen, flankiert von einem internationalen Dialog über die multilateralen Spielregeln. Als Forum der Verständigung wird die altehrwürdige OECD reaktiviert, der in Paris residierende Club von 30 Industriestaaten. Den Kreis der Repräsentanten mit Sitz und Stimme überschaubar halten und dann mit den neuen Mächten der Weltwirtschaft gezielt ins Gespräch kommen - das ist die Idee, die im Vorfeld von Heiligendamm verabredet worden ist.

Wer beide Seiten des Gipfels zusammenfügt - das klimapolitische Zögern und die neokoloniale Attitüde - erkennt ein verheerendes Signal. Statt energetische Revolution und globale Entwicklung zu verbinden, statt Multis und Fonds auf diese Agenda zu verpflichten, statt wie einst Franklin D. Roosevelt gegenüber den Bossen ein unmissverständliches Machtwort der Politik zu sprechen, begibt man sich in Heiligendamm auf einen Kurs, der auch für die Herren im Cockpit zu einer Geisterfahrt werden kann.

Von Ulla Lötzer

Freitag, 8. Juni 2007