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Menschen mit Behinderung werden per Gesetz arm gemacht

Im Wortlaut von Katrin Werner,

 

Die Fraktion DIE LINKE hat die Bundesregierung in einer Großen Anfrage zur Lage von Menschen mit Behinderung befragt. Es ging den Abgeordneten dabei um den Entwicklungsstand und die Umsetzung des Inklusionsgebots in Deutschland. Katrin Werner, behindertenpolitische Sprecherin der Fraktion, erläutert im Interview, welche Ergebnisse sie als besonders problematisch einschätzt und bewertet die Antworten auch mit Blick auf das von der Bundesregierung ins nächste Jahr verschobene Bundesteilhabegesetz.

 

Die Bundesregierung erkennt aus Ihrer Sicht keinen direkten Zusammenhang zwischen Armut und Behinderung. Wie bewerten Sie diese Einschätzung, auch hinsichtlich des angekündigten Bundesteilhabegesetzes?

Katrin Werner: Das ist angesichts der sozialen Realität und der aktuellen Gesetzeslage blanker Hohn. Menschen die auf Assistenzleistungen angewiesen sind, dürfen nicht mehr als 2600 Euro ansparen. Sie werden per Gesetz arm gemacht. Würde die Bundesregierung den Zusammenhang erkennen, würde sie im Teilhabegesetz Teilhabeleistungen einkommens- und vermögensunabhängig gestalten. Das wird sie aber leider nicht. Menschen mit Behinderung sind viel häufiger arbeitslos als Menschen ohne Behinderung. Auch hier keinen Zusammenhang von Armut und Behinderung zu erkennen, macht mich fassungslos.

Was will die Bundesregierung diesbezüglich zur Verankerung und Ausweitung der Leistung persönlicher Assistenz und entsprechender Angebote unternehmen?

Katrin Werner: Persönliche Assistenz ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben und die gleiche gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Sie muss flächendeckend auch in ländlichen Regionen zur Verfügung stehen. Die Bundesregierung will sich nicht am Ausbau beteiligen. Inklusion ist allerdings nicht ohne Investition zu haben.

Die persönliche Assistenz muss endlich einkommens- und vermögensunabhängig allen Menschen die sie brauchen gewährleistet werden. Sie ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben und eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung.“

Wie inklusiv ist die Arbeitswelt?

Katrin Werner: Der deutsche Arbeitsmarkt ist absolut nicht inklusiv. Die Zahl der arbeitslosen Menschen mit einer Schwerbehinderung ist mit 187.000 im Januar 2015 sehr hoch und seit Jahren stabil. Immer mehr Menschen sind in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt und immer weniger schaffen den Weg von dort auf den ersten Arbeitsmarkt. In einer Werkstatt erhalten sie ein Entgelt, das nicht zum Leben reicht. In bestimmten Fällen wird dieses noch auf ihre Grundsicherung angerechnet.

Wie ist die Auffassung der Bundesregierung zu bewerten, dass sie nicht alle Gesetze nach Vereinbarkeit mit der rechtsverbindlichen UN-Behindertenrechtskonvention überprüfen möchte?

Katrin Werner: Die Bundesregierung ist dazu verpflichtet, die deutschen Gesetze nach ihrer Vereinbarkeit mit der UN-Behindertenrechtskonvention zu überprüfen. Wenn sie das unterlässt verstößt sie gegen geltendes Recht. Die Konvention ist durch die Bundesrepublik ratifiziert worden und damit geltendes Recht.

Was ist bei sehr geringen Inklusionsquoten im Bereich Kindertagesstätten und Schulen im Bildungswesen noch zu tun?

Katrin Werner: Es ist unbegreiflich und in keiner Weise hinnehmbar, dass sich hier in den letzten Jahren absolut nichts getan hat. Inklusion scheitert in Deutschland schon bei den Kleinsten und von Anfang an. Wir müssen dringend in die barrierefreie Ausgestaltung der Kitas und die Fort- und Weiterbildungen von Erzieherinnen und Erziehern im Sinne von inklusiven Kindertagesstätten investieren.

Der Anteil der Schüler mit Förderbedarf, die inklusiv in allgemeinen Schulen unterrichtet werden, hat sich in den letzten zehn Jahren erhöht, doch die Zahl der Schüler, die in Förderschulen unterrichtet werden ist nur sehr leicht gesunken. Das wissen wir aus der Studie der Bertelsmann-Stiftung zu Inklusion an deutschen Schulen aus diesem Jahr. Das deutsche Schulsystem ist nicht inklusiv. Die Inklusion scheitert schon am dreigliedrigen Schulsystem. Zudem fehlt es an der barrierefreien Ausgestaltung von Schulen, sowie an Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften im Sinne  eines inklusiven Unterrichts.

Mehr

Auswertung der Antworten der Bundesregierung

Die Große Anfrage mit Antworten und Tabellenanhang als PDF

 

linksfraktion.de, 11. November 2015