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»Man muss den Reichtum abschöpfen«

Im Wortlaut von Katja Kipping,

LINKE-Vorsitzende Katja Kipping: Fiskalpakt und ESM sind anti-europäisch

Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Linkspartei, warnt vor einem massiven Sozialabbau, wenn EU- Fiskalpakt und der Rettungsfonds ESM wie geplant umgesetzt werden. Mit der 34-jährigen Sozialexpertin sprach Fabian Lambeck.


 

Die LINKE will den Fiskalpakt per Verfassungsklage stoppen. Haben Sie nicht Angst, dass ein Erfolg in Karlsruhe das Auseinanderbrechen der EU zur Folge haben könnte?

Katja Kipping: Ganz im Gegenteil: Der Kurs des Fiskalpakts und des ESM ist anti-europäisch. Der Pakt verpflichtet die Staaten zu einem enormen Schuldenabbau, der zwangsläufig zu einem massiven Sozialabbau führen muss. Und wenn die Bürger die EU als Institution erleben, die ihnen Sozialleistungen kürzt, wird die ohnehin geringe Begeisterung der Menschen für die Union weiter schwinden.

Also ist die LINKE im Endeffekt die einzige pro-europäische Partei im Bundestag?

Ja. Wir sagen auch, dass der jetzige Sparkurs die ohnehin schon bestehenden sozialen Unterschiede zwischen den Euroländern verstärkt. Dieses soziale Gefälle wird die Währung nicht aushalten. Somit steht dann auch der Euro zur Debatte.

Selbst der Kanzlerin müsste inzwischen klar sein, dass die rigiden Sparauflagen Länder wie Griechenland oder Spanien nur noch tiefer in die Krise treiben. Wieso hält Angela Merkel an ihrem Kurs fest?

Ich glaube, dass Schwarz-Gelb und Rot-Grün die Erzählungen der Finanzmärkte übernommen haben und weiter erzählen. Dazu gehört die Behauptung, dass die Staatsschulden Ursache für die Krise seien und einzelne Länder über ihre Verhältnisse gelebt hätten. Das stimmt aber nicht. Die eigentliche Ursache liegt darin, dass man die Finanzmärkte nicht reguliert hat. Hinzu kommen die starken sozialen Ungleichheiten. Einfach gesagt: Verantwortlich für die Krise sind die drei »U« – die Unterregulierung der Finanzmärkte, die Ungleichgewichte bei den Außenhandelsbilanzen und die ungleiche Verteilung von Vermögen innerhalb der Länder. Und genau diese drei Ursachen wollen weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb richtig angehen.

Wo würde die LINKE denn ansetzen, um die Krise in den Griff zu bekommen?

Die LINKE meint, dass wir kein Staatsschuldenproblem haben, sondern ein Staaten-Finanzierungsproblem. Das heißt, man muss den enormen Reichtum abschöpfen, der in den Händen einiger weniger liegt. Es muss eine deutlich stärkere Besteuerung von Reichtum, Vermögen und Erbschaften geben. Das ist ein zentraler Unterschied in der Herangehensweise.

Und das reicht?

Natürlich nicht. Wir sagen auch, dass man die sozialen Unterschiede nicht verstärken darf, sondern dass man sie abbauen muss. Zudem müssen die Finanzmärkte endlich an die Kandare genommen werden. Was wir brauchen, ist eine stärkere Regulierung der Märkte. Schattenbanken und Hedgefonds sollten gleich ganz verboten werden.

Aber ist die Finanztransaktionssteuer, die SPD und Grüne der Bundesregierung für ihre Zustimmung zum Fiskalpakt abgetrotzt haben, nicht ein richtiger Schritt in diese Richtung?

Die Finanztransaktionssteuer ist natürlich eine richtige Sache, wenn sie denn kommt. Bislang gibt es bestenfalls Absichtserklärungen. So wie da im Kanzleramt um jede Formulierung gefeilscht worden ist, beschleichen mich doch Zweifel, ob die Steuer am Ende auch wirklich kommt. Außerdem stehen die Einnahmen, die von einer solchen Steuer zu erwarten sind, in keinem Verhältnis zu den Kürzungspflichten des Fiskalpaktes. Insofern haben sich SPD und Grüne hier einen gigantischen Sozialabbau abhandeln lassen und dafür nur ein Butterbrot erhalten.

Die sozialpolitischen Auswirkungen des Paktes sind das eine. Doch wie wollen Sie das Bundesverfassungsgericht dazu bringen, Ihrem Eilantrag zu folgen?

Unsere juristische Argumentation beruht auf zwei Pfeilern. Zum einen greifen die Verträge massiv in das Haushaltsrecht des Parlaments ein. Der Fiskalpakt verpflichtet die Bundesrepublik, in den nächsten 20 Jahren jedes Jahr 25 Milliarden Euro zusätzlich einzusparen. 25 Milliarden Euro – das ist ungefähr so viel, wie für Hartz-IV-Leistungen und die Eingliederung in Arbeit ausgegeben wird. Also man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was für einen enormen Sozialabbau das zur Folge haben wird. Unser zweites Argument ist der Verweis auf die Unkündbarkeit des Fiskalpaktes. So hat diese verschärfte Schuldenbremse den Charakter einer Ewigkeitsgarantie.

Also zum Sparen verdammt bis zum jüngsten Tag?

Man muss sich das noch einmal vergegenwärtigen: Ehen kann man scheiden lassen, Gesetze kann man ändern, und sogar das Grundgesetz kann bis auf wenige Stellen mit einer Zweidrittelmehrheit abgeändert werden. Aber die verschärfte Schuldenbremse des Fiskalpakts ist nicht mehr aufkündbar und rückt damit in den Bereich dessen, was durch die Ewigkeitsklausel geschützt ist. Das ist eine Sache, die man eigentlich nur per Volksabstimmung beschließen kann und nicht einfach im Parlament durchwinkt.

neues deutschland, 29. Juni 2012