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Mahnmal für die Opfer der gegenwärtigen Kriege

Im Wortlaut von Lukrezia Jochimsen,

Als »Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt«, kurz IBUK genannt, bleibt Verteidigungsminister Franz Josef Jung dabei: das Soldaten-Ehrenmal wird errichtet. Und zwar am von ihm vorgesehenen Standort und in der von ihm ausgewählten Form. Aller Kritik innerhalb und außerhalb des Parlaments zum Trotz. Irgendwann 2008 wird es sie geben, die Steinmauer am Bendlerblock, 41 Meter lang, zehn Meter hoch, acht Meter breit, in Bronze gehüllt, mit der Inschrift »Den Toten der Bundeswehr. Für Frieden, Recht und Freiheit«. Ist dieser Tatsache etwas entgegensetzen? Und was könnte dies sein?

In der dritten Juniwoche hatte ich eine Schülergruppe aus Erfurt zu Besuch im Bundestag. Die Zeitungen berichteten über den Ehrenmal-Plan des Verteidigungsministers. Ich war mir nicht sicher, ob die Schülerinnen und Schüler über dieses Thema überhaupt diskutieren wollten, aber es meldeten sich fast alle zu Wort, Mädchen wie Jungen, und die Meinungen hätten unterschiedlicher kaum sein können. »Ein Gedenken sollte sein, mein Bruder ist in Afghanistan. Noch wichtiger ist aber, dass man die Truppe besser ausrüstet. Das Geld sollte dort ausgegeben werden und nicht für ein Denkmal.« - »Ein klotziges Ehrenmal sollte es auf keinen Fall sein, aber eine schmale Erinnerungsstätte hier vorm Parlament, das wäre in Ordnung.« - »Ich bin gegen ein Denkmal, aber für ein riesengroßes Blumenbeet am Reichstag. Die Blumen sollten uns erinnern, an Leben und Tod.« Das waren die Stimmen pro Denkmal.

Ebenso viele sprachen sich dagegen aus. Deren Fazit: »Wem nutzt so etwas? Den Toten nicht - und den Hinterbliebenen auch nicht. Das ist doch kein Trost! Das Geld sollte man lieber den Familien geben.« Schließlich machte ein Schüler den Vorschlag: »Man sollte das Ehrenmal bauen und zwar genau dort, wo es der Verteidigungsminister haben will: am Antret-Platz am Bendlerblock. Wenn die jungen Soldaten sich dann dort aufstellen, um den Eid zu leisten und sie sehen die Inschrift ›Den Toten der Bundeswehr!‹, spätestens dann müssten sie doch eigentlich auf der Stelle umkehren und Schluss machen mit der Bundeswehr!«
Ein Teil der Klasse lachte, ein anderer schwieg betreten. Dann sagte die Schülerin, deren Bruder in Afghanistan ist: »Von selbst entlarvt sich so ein Denkmal aber nur für ganz wenige. Für die, die sowieso dagegen sind. Für die anderen müsste man etwas anderes erfinden.«

Etwas anderes erfinden! Wäre das möglich? Und wer könnte dies bewerkstelligen? In ihrem Antrag (Drucksache 16/5891) stellt die Fraktion DIE LINKE im Bundestag fest: »Die große Mehrheit der Deutschen beharrt auf dem Verteidigungsauftrag der Bundeswehr, wie ihn das Grundgesetz festlegt, und lehnt die Einsätze der Bundeswehr im Ausland ab. Diese Mehrheit ist nicht an einem Ehrenmal interessiert, sondern an einer Politik, die dem Verfassungsauftrag nachkommt und sich aus Kriegseinsätzen und Kriegsbeteiligungen im Ausland heraushält.«

Wie haben wir diese Forderung als Fraktion mehrheitlich begründet? Dass ein Totengedenken für Soldaten nicht mit dem Begriff »Ehre« einhergehen darf! Der Begriff »Ehre« legt nahe, dass es wieder ehrenvoll sein soll, in einen Krieg zu ziehen und zu sterben.

Wollen wir tatsächlich wieder sagen: »Es ist süß und ehrenvoll, fürs Vaterland zu sterben« wie der römische Dichter Horaz? Und wer denkt dann an die »Ehre« der Männer, Frauen und Kinder, die in diesen Kriegen getötet werden - von deutschen Soldaten oder ihren Verbündeten? Nein, wir brauchen kein »Ehrenmal«, das den Soldatentod verklärt, wir brauchen stattdessen ein »Mahnmal« für sämtliche Opfer der gegenwärtigen Kriege, besonders aus der Zivilbevölkerung, aber auch für die umgekommenen Soldaten. Wir brauchen ein Denkmal, das das Nachdenken über den Sinn der Opfer ermöglicht.

Jeden Tag hören wir aus Afghanistan namenlose Zahlen der zivilen Opfer. Heute 8. Gestern 14. Davor 25 … Männer, Frauen, Kinder - wie viele sind es überhaupt seit Beginn des Krieges? Wir wissen es nicht. Wir kennen ihre Namen nicht, nicht ihre Schicksale. Darf, muss ihrer nicht auch gedacht werden? Und was ist mit dem Verteidigungsauftrag der Bundeswehr, wie ihn das Grundgesetz festlegt? Darf, muss an solch einem Gedenk-ort nicht vor allem an diesen Auftrag erinnert werden? Der Verteidigungsminister hat mit seinem Befehlshaber-Vorhaben die Diskussion über eine Toten-Gedenkstätte angestoßen, die er nicht haben wollte, die wir aber nun aufnehmen. Und zwar mit der Forderung, seine bisherigen Planungen sofort auszusetzen und stattdessen in Zusammenarbeit mit dem Parlament ein Konzept für ein Mahnmal gegen die gegenwärtigen und zukünftigen Kriege zu entwickeln.

Was folgen wird, ist klar: der Antrag wird abgelehnt, meine Rede zu diesem Thema abgelegt im Protokoll der 109. Sitzung der 16. Wahlperiode. Aber wie geht die neue Partei DIE LINKE mit der Idee eines Mahnmals um? Können, wollen wir sie uns zu eigen machen?
Auf der Biennale in Venedig setzten sich im Juli 2007 viele der vertretenen internationalen Künstlerinnen und Künstler mit dem Gedenken an Tod und Krieg, Soldaten und zivile Opfer auseinander. Eine Riesenwand im Arsenale hat die Amerikanerin Emily Prince den »Servicemen and -women« gewidmet, die in Afghanistan und im Irak gestorben sind, den Profis im Krieg also, den Berufssoldaten.

Über 2000 passfotogroße Bleistiftzeichnungen sind da angeordnet nach der Geografie der US-Bundesstaaten. Name, Todesdatum, manchmal ein paar magere Hinweise zu Leben und Tod. An manchen Stellen gibt es auch nur kleine leere Portraitrahmen ohne Antlitz, missing images ...

Solch eine Gedenkwand für die unbekannten zivilen Opfer in Berlin! Wäre das nicht eine Aufgabe für die LINKE? Damit würde unsere politische Haltung gegen die gegenwärtigen und zukünftigen Kriege dokumentiert und eine kulturelle Position dazu. Die Opfer sind für uns bisher immer nur Zahlen. Wenn sie Namen bekämen und Gesichter, würde dies noch viel mehr Menschen in unserem Land aufrütteln, sich gegen die Kriege zu stellen. Und wenn jetzt das Argument kommt, dass wir ja gar nicht genau wissen, wer in diesen Kriegen bzw. ob überhaupt jemand bisher nachweislich von deutschen Soldaten getötet wurde, dann kann die Antwort nur lauten, dass der Tod durch verbündete Soldaten genauso zählt. Diese Verantwortung wird ja wohl niemand abstreiten wollen.

Also, wollen wir ein solches Mahnmal? Das ist die Frage. Die Diskussion ist eröffnet.

Von Luc Jochimsen

Neues Deutschland, 17. August 2007