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Lohndumping im Einzelhandel von Steuerzahlern subventioniert

Nachricht von Sabine Zimmermann,

Fraktion DIE LINKE fordert Eingreifen der Politik

Niedriglöhne und prekäre Jobs haben im Einzelhandel in den zurückliegenden Jahren einen enormen Schub erfahren. Inzwischen arbeitet jede bzw. jeder dritte Beschäftigte zu einem Niedriglohn. Trotz wachsender Beschäftigung sank in den zurückliegenden Jahren die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze, während Kleinstarbeitsverhältnisse und Minijobs auf dem Vormarsch sind. Während der Steuerzahler die geringen Arbeitseinkommen im Handel durch ergänzende Hartz-IV-Gelder jährlich mit 1,5 Milliarden Euro aufstockt, haben sich die Unternehmensgewinne seit dem Jahr 2000 nahezu verdoppelt. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE hervor. Diese Zahlen besitzen eine besondere Brisanz vor dem Hintergrund, dass die Arbeitgeber im Einzelhandel fast alle Tarifverträge gekündigt haben, um eine weitere Absenkung des Entgeltniveaus durchzusetzen oder gar wie Karstadt direkt aus den Tarifverträgen aussteigen.

Die Politik macht sich an dem Lohdumping im Handel mitschuldig. Sie fördert prekäre Beschäftigung, verweigert aber einen gesetzlichen Mindestlohn und hält die Hürden für die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen hoch. Damit lädt sie die Unternehmen zur Lohndrückerei ein.

Die Politik kann im bestehenden Tarifkonflikt im Einzelhandel nicht neutral bleiben. Wenn Arbeitgeber Tarifverträge kündigen, um Löhne weiter abzusenken und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, brauchen die Beschäftigten Solidarität. Politisch besteht dringender Handlungsbedarf. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn, prekäre Beschäftigung wie Minijobs und Leiharbeit sind einzudämmen. Das Verfahren zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen muss erleichtert werden, damit Tarifverträge für alle Beschäftigten gelten und der Tarifflucht von Unternehmen ein Riegel vorgeschoben wird.

Es ist nicht hinnehmbar, dass auf Kosten der Beschäftigten und der Gemeinschaft Niedriglöhne mit Steuergeldern in Milliardenhöhe aufgestockt und so Gewinne von Unternehmen subventioniert werden, die auf Lohndumping setzten.

 

Die Ergebnisse der Anfrage im Einzelnen:

 

Beschäftigung mit hohem Frauenanteil: weniger Vollzeit, mehr Minijobs und prekäre Beschäftigung

Nach letzten verfügbaren Daten arbeiten 3,17 Millionen Beschäftigte im Einzelhandel (Juni 2012), seit Jahren wächst die Zahl der Beschäftigten. 2,2 Millionen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 980.000 arbeiten in einem Minijob. 71 Prozent der Beschäftigten oder 2,27 Millionen sind Frauen.

Während im letzten Jahrzehnt die gesamte Beschäftigung leicht zugenommen hat, ist die Zahl der Vollzeitstellen um 166.890 oder 11,1 Prozent gefallen von 1.502.325 (Juni 2000) auf 1.335.435 (Juni 2011, neuere Zahlen liegen nicht vor). Die Zahl der Minijobs hat dagegen um 329.750 oder 51 Prozent zugenommen, von 650.404 auf 980.154 (ab 2003 mit Zweitjobs).

Insgesamt hat die Zahl der atypisch Beschäftigten deutlich zugenommen. Darunter fallen die Beschäftigten in befristeten Jobs, in Teilzeit mit weniger als 20 Stunden oder Minijobs. Normalerweise zählt auch die Leiharbeit dazu, für die aber keine gesonderten Daten für den Einzelhandel vorliegen. Inzwischen sind 38 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel atypisch beschäftigt (2011, neuere Zahlen liegen nicht vor). Im Jahr 2000 waren es noch 31 Prozent. Gemessen an den Kernerwerbstätigen haben von 2000-2011 die atypisch Beschäftigten um 204.000 oder 27 Prozent auf 974.000 zugenommen. Am stärksten nahmen die Befristungen zu, deren Zahl um zwei Drittel anstieg.

Ausufernde Niedriglöhne und unterdurchschnittliche Lohnentwicklung

Nach Auskunft der Bundesregierung arbeiteten 2010 34 Prozent aller Beschäftigten unter der offiziellen Niedriglohngrenze, 2001 waren es noch 27 Prozent. Jede dritte Beschäftigte (34 Prozent) erhält einen Lohn unter 10 Euro in der Stunde, jeder fünfte (21 Prozent) sogar unter 8,50 Euro.

Insgesamt entwickelten sich die Löhne im Einzelhandel in den zurückliegenden Jahren unterdurchschnittlich. Von 2000-2012 nahmen die Löhne vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Einzelhandel um 3,9 Prozent zu, in der Gesamtwirtschaft aber um 6,8 Prozent. Allerdings geben diese Zahlen die reale Lage nur bedingt wieder, da im Einzelhandel inzwischen weniger als die Hälfte der Beschäftigten in Vollzeitjobs arbeiten und Teilzeit- und Minijobber merklich schlechter bezahlt werden. Und legt man den Zeitraum 2002-2011 zugrunde, sind selbst die Löhne der Vollzeitbeschäftigten um 2,2 Prozent gefallen.

Niedriglohnsubventionen durch Aufstockerleistungen ...

Nach Angaben der Bundesregierung gab es im Juni 2012 im Einzelhandel 128.000 Beschäftigte, die neben ihrem Lohn ergänzend Arbeitslosengeld II bezogen. 65.979 dieser Aufstocker waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 62.106 arbeiteten in einem Minijob.

Für diese aufstockenden Leistungen wendete der Staat im gesamten Handel jährlich etwa 1,5 Milliarden Euro auf. In den Jahren 2007-2011 belief sich die Summe auf 7,53 Milliarden Euro. Der Einzelhandel stellt dabei mit drei Viertel den Großteil aller Aufstocker des Handels.

… bei steigenden Gewinnen im Einzelhandel

Nach Hochrechnungen der Bundesbank stiegen die Gewinne im Einzelhandel vor Steuern von 11,8 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 21,5 Milliarden Euro 2010.

Insgesamt abnehmende Tarifbindung im Handel

Karstadt und Globus sind die Namen der bekannteren Unternehmen, die kürzlich aus der Tarifbindung ausgestiegen sind.

Seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2011 ist der Anteil der Beschäftigten, die im Handel nach einem Tarifvertrag bezahlt werden (Branchen- als auch Haustarifvertrag) im Westen von 70 Prozent auf 54 Prozent gefallen, im Osten von 43 Prozent auf 32 Prozent.

Kurswechsel bei der Bundesregierung?

Erschreckenderweise dokumentiert die Bundesregierung in ihrer Antwort, dass sie trotz der sozialen Verwerfungen und des aktuellen Tarifkonflikts in dieser Branche sich nicht mit den Arbeitsbedingungen der rund drei Millionen Beschäftigten auseinandergesetzt hat. Sie spricht davon, dass der Einzelhandel „einer der beschäftigungsstärksten Wirtschaftszweige in Deutschland“ ist. Sie verfüge allerdings nicht „über unmittelbare eigene Erkenntnisse zu den Arbeitsbedingungen im Einzelhandel und über die Sicht der Beschäftigten auf diese“. Die Bundesregierung kann auch keine Aussagen über die Zahl der im Einzelhandel eingesetzten Leiharbeiter und Werkvertragsarbeiter machen. Das ist ein Armutszeugnis.

Allerdings räumt die Bundesregierung ein, dass die zurückgehende Tarifbindung ein Problem ist und „Anlass zur Sorge“ geben kann, weil „Tarifverträge in bestimmten Bereichen ihre Schutzfunktion nicht entfalten können“. Und sie erkennt Reformbedarf bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung an. Sie schreibt: „Geänderte Rahmenbedingungen können Anlass geben, die Notwendigkeit und Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung auf den Prüfstand zu stellen und etwaigen Änderungsbedarf zu eruieren. Hinsichtlich des Bedarfs und der Möglichkeiten einer zeitgemäßen Anpassung ist die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen.“

In dieser Form ist das von der Bundesregierung so noch nicht vorgetragen worden. Bisher hat sie sich gegen ein erleichtertes Verfahren zur Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen gestellt. Dieses ist dringend notwendig und würde auch dem Einzelhandel helfen. Allerdings ist fraglich, ob die Erklärung der Bundesregierung mehr als ein Wahlkampfmanöver ist und sie nicht wie so oft bei Taten schuldig bleibt. Deutlich wird dies auch am Ende der Anfrage, wenn die Bundesregierung das SB-Warenhaus Globus als vorbildlichen, familienfreundlichen Arbeitgeber lobt. Das Unternehmen hat kürzlich noch vor Karstadt den Ausstieg aus dem Tarifvertrag erklärt.

linksfraktion.de, 4. Juni 2013