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Linksfraktion will Rentengleichheit schnell voranbringen

Im Wortlaut von Matthias W. Birkwald,

Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag im Interview mit "VersicherungsJournal" über einen neuen Vorstoß zur zügigen Anpassung der unterschiedlichen Rentenberechnungen in West- und Ostdeutschland. Der Bundestag wird den Antrag am Donnerstag diskutieren (Bundestagsdrucksache 18/982).

 

VersicherungsJournal: Die Linksfraktion im Bundestag hat einen Antrag zur Angleichung des Rentenniveaus Ost an das Rentenniveau West gestellt. Können Sie kurz das dahinter stehende Konzept erläutern?

Birkwald: Union und SPD haben im Koalitionsvertrag ja nur festgelegt, dass sie 2016 prüfen wollen, ob ab 2017 eine Teilangleichung vorgenommen werden muss, um dann 2020 endlich eine Angleichung zu erreichen. Das ist uns viel zu wenig! Wir wollen, dass auch die heutigen Rentnerinnen noch etwas von der Angleichung haben.

Wir sagen deshalb: Die Angleichung der Renten im Osten an das Westniveau soll sofort auf den Weg gebracht werden. Zum 1. Juli diesen Jahres soll dazu ein steuerfinanzierter, stufenweise steigender Zuschlag eingeführt werden, mit dem der Wertunterschied zwischen den Rentenwerten in Ost und West bis zum Jahresende 2017 sukzessive ausgeglichen werden wird.

Außerdem sollen die pauschal bewerteten Zeiten (der Kindererziehung, der Pflege von Angehörigen, des Wehr- und Zivildienstes sowie der Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung) sofort mit dem allgemeinen Rentenwert, also dem im Westen geltenden, bewertet werden. Das hat die SPD noch in der vergangenen Legislaturperiode übrigens selber gefordert.

VersicherungsJournal: Die Differenz zwischen den Rentenwerten West und Ost sollen nach Ihren Vorstellungen durch einen steuerfinanzierten, stufenweise ansteigenden Zuschlag kompensiert werden. Welche Kosten kommen da auf den Bundeshaushalt (insgesamt/jährlich) zu?

Birkwald: Der Zuschlag würde in 2014 circa 200 Millionen Euro kosten, inklusive der Angleichung aller pauschal bewerteten Zeiten 600 Millionen Euro jährlich ab 2015, wenn wir die Kindererziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, ebenfalls mit drei Entgeltpunkten bewerteten. Das wäre sozial gerecht.

Der Vorschlag des stufenweise ansteigenden Zuschlags stammt übrigens vom „Bündnis für die Angleichung der Renten in den neuen Bundesländern“. Dieses Bündnis wird von Verdi, der Gewerkschaft der Polizei, der Gewerkschaft Transnet, der GEW, dem Bund der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen (BRH), der Volkssolidarität und dem Sozialverband Deutschland (SoVD) getragen. Wir Linken haben den guten Vorschlag leicht modifiziert in den Bundestag eingebracht. Durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes wird sich der Finanzbedarf übrigens mittelfristig verringern.

VersicherungsJournal: Wäre es nicht folgerichtig, wenn mit steigender Annäherung des Lohnniveaus Ost an das Westniveau der Hochrechnungsfaktor parallel zurückgeführt würde?

Birkwald: Wenn wir bei 100 Prozent Angleichung angekommen wären: ja. Aber so weit sind wir leider noch lange nicht. Im Gegenteil: Die Angleichung der Löhne im Osten an das Lohnniveau im Westen kam bereits Mitte der 1990er Jahre ins Stocken. Der Angleichungsprozess stagniert seit Jahren bei circa 78 Prozent der durchschnittlichen Westbruttolöhne. Die Einkommen im Osten liegen im Durchschnitt also immer noch gut 20 Prozent unter denen im Westen.

Wenn Sie jetzt die Umrechnung abschafften, dann hätte das zum Ergebnis – auch wenn Sie den Rentenwert anglichen –, dass diejenigen im Osten, die dieselben Jobs wie diejenigen im Westen machen, am Ende eine geringere Rente als die im Westen hätten. Deshalb brauchen wir weiter die Umrechnung!

Ich will Ihnen das anhand eines Beispiels verdeutlichen: Nehmen wir an, eine Floristin in Köln und eine Floristin in Leipzig hätten beide am selben Tag begonnen, beruflich Blumen zu verkaufen. Und beide hätten immer das jeweilige durchschnittliche Gehalt erzielt und Teilzeit gearbeitet. Dann hätte die Kölnerin ein Bruttoeinkommen von 1.000 Euro im Monat und die in Leipzig von 780 Euro.

Wenn Sie jetzt nur die Lücke von 7,76 Prozent bei den Rentenwerten schlössen, dann hätte die Leipzigerin immer noch eine deutlich niedrigere Rente, weil sie ja nur auf die 780 Euro und nicht auf 1.000 Euro Einkommen Beiträge zahlen konnte. Beide Frauen haben aber denselben Job gemacht. Wenn das Prinzip „Gleiche Rente für gleiche Lebensleistung“ gelten soll, dann muss die Umrechnung so lange beibehalten werden, bis die Löhne im Osten durchschnittlich genauso hoch sind wie die im Westen.

VersicherungsJournal: Seit der formellen Vereinigung im Jahr 1990 hat es innerhalb Deutschlands erhebliche Wanderungsbewegungen gegeben. Seit 1990 haben nach Angaben der Bundesregierung knapp 1,8 Millionen Menschen von Ost nach West gewechselt. Auch in Gegenrichtung hat es Zuzüge gegeben, wobei die Vermischung in Berlin besonders hoch sein dürfte. Verstehen die Menschen heute noch, dass sie durch einen Ortwechsel (ihrer Betriebsstätte) in ein anderes Rentenrecht rutschen?

Birkwald: Nein, das tun sie nicht. Sie haben Recht, das werden viele Menschen auch gar nicht wissen und die, die es wissen, werden es nur schwer akzeptieren können. Nachvollziehbar ist diese Ungleichbehandlung für sie nicht. Ich habe es ja selbst am eigenen Leibe erlebt: Als ich 1994 für meine Partei den Europa- und den Bundestagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen leitete und mein Büro in Essen hatte, wurde ich rententechnisch zum zukünftigen Ostrentner, weil unsere Parteizentrale im Osten Berlins lag (und liegt). Das wollte mir schon damals nicht einleuchten.

VersicherungsJournal: Verletzt es nicht das Gerechtigkeitsgefühl, wenn etwa Zeiten der Kindererziehung oder der Pflege oder auch Wehr- und Zivildienstleistungen im Rentenrecht unterschiedlich bewertet werden? Was würde denn eine Gleichbehandlung in etwa kosten?

Birkwald: Selbstverständlich verletzt das das Gerechtigkeitsgefühl – und zwar zu Recht. Der Gesellschaft muss ein Kind, das in Halle geboren wurde, genauso viel wert sein, wie ein Kind, das in München geboren wurde.

VersicherungsJournal: Können Sie sich erklären, warum weder die schwarz-gelbe Koalition noch die schwarz-rote Koalition konkrete Vorschläge für ein einheitliches Rentenrecht vorgelegt hat? Liegt es an den Kosten und/oder an Befürchtungen, neue Ungerechtigkeiten zu schaffen?

Birkwald: Ja, das kann ich mir erklären. Wenn ausschließlich die Rentenwerte angeglichen werden würden und der Umrechnungsfaktor in Anlage 10 des Sozialgesetzbuches VI abgeschafft würde, dann würden viele Rentnerinnen und Rentner im Osten weniger Rente erhalten. Das wollen schon die Ministerpräsident/innen der neuen Länder angesichts anstehender Landtagswahlen verhindern. Und das wäre auch ein rentenpolitischer Gau, denn es ginge vollkommen in die falsche Richtung.

Im Übrigen hat Schwarz-Rot Angst vor der Bild-Zeitung, wenn die Umrechnung vorläufig beibehalten würde, denn die vergleicht eine Beschäftigte im Osten mit einer Beschäftigten im Westen, die beide ein und dasselbe Bruttoeinkommen erhalten. Das gibt es aber nur in wenigen Branchen, zum Beispiel in der Versicherungsbranche und im öffentlichen Dienst. Durch die Umrechnung erhält in solchen Fällen die im Osten Beschäftigte eine höhere Rente und das gilt als im Westen nicht darstellbar.

Unter den Tisch lassen solche Argumentationen fallen, dass die Tarifbindung der Betriebe in den neuen Ländern sehr viel niedriger liegt als in den alten Bundesländern, dass Arbeitnehmer im Osten seltener und weniger Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld und andere Sonderzahlungen erhalten, dass sie weniger betriebliche Altersvorsorgeleistungen von ihren Arbeitgebern erhalten und dass vor allem die durchschnittliche Arbeitszeit im Osten länger ist als im Westen.

Von neuen Ungerechtigkeiten kann also gar keine Rede sein, so lange das Lohnniveau des westlichen Bundeslandes mit den niedrigsten Durchschnittseinkommen – Schleswig-Holstein – noch deutlich über dem Lohnniveau des östlichen Bundeslandes mit den höchsten Durchschnittseinkommen – Brandenburg – liegt.

VersicherungsJournal, 2. Juni 2014