Über 200 Teilnehmer*innen diskutierten am 13. September 2018 im Bundestag über die Zukunft der Seenotrettung auf dem Mittelmeer und über Wege aus der europäischen Abschottungspolitik.
Von Michel Brandt
Gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus ganz Europa haben wir die Handlungsspielräume für die zivile Seenotrettung auf dem Mittelmeer ausgelotet. Ziel der Veranstaltung war es, die Blockade gegen die Rettungsschiffe aufbrechen, um das grausame Ertrinken Flüchtender auf dem Mittelmeer endlich zu stoppen. Damit setzten wir ein Zeichen gegen die unmenschliche Festung Europa und für eine humanitäre Migrationspolitik.
Die Situation ist dramatisch: Nirgendwo auf der Welt sterben mehr Menschen auf der Flucht, als auf den Mittelmeerrouten von Nordafrika nach Europa. Seit Anfang dieses Jahres sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) schon über 1.500 Menschen auf dem Mittelmeer ertrunken. Insgesamt kamen von 2014 bis 2017 mehr als 15.000 Menschen bei dem Versuch zu Tode, das europäische Festland über das Mittelmeer zu erreichen. Die Bundesregierung und die Europäische Union (EU) nehmen dieses Massensterben im Mittelmeer in Kauf: Sie lehnen eine staatliche Rettungsmission klar ab und hindern zivile Rettungsmissionen an ihrer Arbeit.
Um dem täglichen Ertrinken etwas entgegenzusetzen, retten zivilgesellschaftliche Organisationen wie "Ärzte ohne Grenzen", "Sea Watch", "Jugend Rettet" oder "SOS Méditerranée" seit 2015 Menschen im Mittelmeer aus Seenot. Sie kreuzen mit durch Spendengelder finanzierten eigenen Schiffen in den betroffenen Gebieten. Ehrenamtlich und ohne staatliche Hilfen bergen sie Menschen aus dem Mittelmeer und haben Zehntausende vor dem Ertrinken gerettet. Seit einiger Zeit werden diese Retterinnen und Retter von europäischen Regierungen jedoch systematisch an ihrer Arbeit gehindert oder sogar kriminalisiert. Die Rettung tausender Menschen vor dem Ertrinken wird ihnen als Schlepper-Unterstützung oder Beihilfe zur illegalen Migration angelastet. Zum Teil werden Mitglieder der NGO’s vom Verfassungsschutz beobachtet. Seitdem die zivilen Seenotretter*innen an ihrer Arbeit gehindert werden, hat sich die Wahrscheinlichkeit, bei der Flucht zu Tode zu kommen nahezu verdoppelt.
Das Sterben auf dem Mittelmeer muss unverzüglich beendet werden. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung und der EU. Die aktuellen Flucht- und Migrationsbewegungen und die Katastrophe auf dem Mittelmeer erfordern eine humanitäre Antwort. Die europäische Nachbarschaftspolitik muss grundlegend neu ausgerichtet werden. Wir brauchen eine Flucht- und Migrationspolitik, die sich unmissverständlich am Völker- und Menschenrecht orientiert und grundsätzlich solidarisch ist. Dazu sind legale Einreisemöglichkeiten nach Europa, um hier Asyl beantragen zu können, unerlässlich. Es braucht außerdem eine glaubwürdige Bekämpfung der Fluchtursachen, die eine gerechte Weltwirtschaft, die Bekämpfung des Klimawandels und eine konsequente Friedenspolitik mit einbezieht.
DIE LINKE fordert eine nicht-militärische, staatlich finanzierte Rettungsmission für das Mittelmeer, mit einem klaren Mandat zur Bergung von Menschen in Seenot. Wir fordern die sofortige Beendigung der Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache und die Einstellung aller Militäroperationen auf dem Mittelmeer. Und wir fordern ein sofortiges Ende der Kriminalisierung aller Menschenrechtsverteidiger*innen auf dem Mittelmeer. Sie sind die letzte Bastion der Menschlichkeit an Europas Außengrenzen.
Seenotrettung ist unsere Pflicht und darf nicht länger kriminalisiert werden. Wer die Seenotretter*innen an ihrer Arbeit hindert, ist kriminell. Der gesellschaftliche Druck kann der Politik Beine machen, wie auch die Aktionen der Bewegung #Seebrücke zeigen. Das ist die Botschaft der Konferenz.
Auch Stefan Schmidt, einst Kapitän der Cap Anamur und derzeit Flüchtlingsbeauftragter von Schleswig-Holstein, nahm am Fachgespräch der Fraktion teil. Er fordert von der Politik, die Seenotrettung nicht länger zu verteufeln, und wünscht sich mehr Druck von unten auf die Politik.