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Links zur Mehrheit

Im Wortlaut von Lothar Bisky,

Kolumne

In der mediatisierten Welt, die uns umgibt, stellen die »Links« eine Art Verbindung, eine Verknüpfung dar. Meine Computer arbeiten mit mehreren Links zu allem, was politisch links ist bzw. zu sein scheint.

Alle Programme werde ich auf neue Realitäten einzustellen haben. »Die Zeit« hat am 9. August Ergebnisse ihrer bei Emnid in Auftrag gegebenen Studie veröffentlicht, und Jörg Lau stellt dazu fest: »Deutschland hat einen Linksdrall: 86 Prozent der Deutschen ordnen sich in der Mitte und links davon ein.« Als links wollen 34 Prozent, als rechts nur 11 Prozent gelten. Politisch relevant ist, dass in den aktuellen inhaltlichen Kernfragen (Mindestlohn, zurück zur Rente mit 65, Abzug aus Afghanistan, Ende des Privatisierungszwangs bei Post, Bahn und der Energieversorgung) eine eindeutige Mehrheit links ausgemacht wurde.

Tatsächlich ist dieser inhaltliche Linksdrall das Bemerkenswerte. 72 Prozent der Befragten finden, »die Regierung tue zu wenig für die soziale Gerechtigkeit«. Die Ungerechtigkeit ist nicht nur gefühlt, sondern wird im Alltag von Mehrheiten erlebt. Das Vertrauen in Chancengerechtigkeit ist erschüttert, Gleichheit und Ungleichheit haben nur noch in Ammenmärchen eine Beziehung zur Leistung.

Die politischen Hauptforderungen der LINKEN jedenfalls werden von Mehrheiten gestützt. Das ist mehr als die parlamentarisch-arithmetische Mehrheit von rot-rot-grün und entschieden wichtiger. Scheint da kulturelle Hegemonie durch?

Die Medien waren in diesem Sommer keinesfalls von einem Linksdrall befallen. Deppendorf und Wagner beispielsweise traten akzentuiert klassenkämpferisch hervor, indem sie Oskar Lafontaine im ARD-Sommerinterview kaum einen Satz ungestört zuende bringen ließen.

Ganz offensichtlich folgt die Mehrheit der Bevölkerung doch nicht blind dem Meinungs-Mainstream der allgegenwärtigen Medien. Die neoliberalen Stoßgebete, die - landauf, landab - von früh bis spät durch den Äther geblasen werden, verlieren Anhängerschaft. Es ist nicht nur Wunsch, eine kulturelle Gegenströmung zu vermuten, die sich nicht beliebig biegen lässt. Welche Hoffnung! Das Wetterleuchten eines zwar zersplitterten, fragmentierten, sich durch die Programme zappenden kulturell widerborstigen Publikums ist fern am Horizont erkennbar. Nur Kurt Beck bleibt fest und einsam bei seinem Glauben, das alles habe ein böser Saarländer bewirkt.

Niemand unterliegt hoffentlich (!) der großen Illusion, der identifizierte Linksdrall bedeute automatisch Stimmen für DIE LINKE. Allerdings sind ihre Chancen erheblich gewachsen. Auch deshalb sind die großkoalitionären Propagandamaschinen in Stellung gebracht worden und durften im Sommerloch schon mal üben.

Jörg Lau schreibt tröstend: »Einer Protestpartei wie der Linken kann gar nichts Besseres passieren als wütendes Geschimpfe des Establishments.« Das ist richtig, und dennoch nur die halbe Wahrheit. DIE LINKE kann und muss ihre Links zur Mehrheit ausbauen und pflegen. Dazu gehört, die richtigen Themen zu setzen und die machbaren Alternativen zu zeigen, ganz positiv populär in der Sprache der Mehrheiten. War es nicht die populäre Musik, die im letzten Jahrhundert ebenso unmerklich wie gründlich die Kultur veränderte? Ist die Empörung über die soziale Ungerechtigkeit, so vielgestaltig und multimedial sie auch daherkommen mag, eine allmähliche Verschiebung kultureller Grundströmungen nach links? Und hat DIE LINKE schon ausreichend Links zum Alltag der Mehrheiten?

Von Lothar Bisky

Neues Deutschland, 18. August 2007