Zum Hauptinhalt springen
Foto: Rico Prauss

"Links wirkt"

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch,

Kurt Beck versucht, die Sozialdemokraten ein Stück nach links zu rücken, worüber sich das selbst erklärte "Original", die Linke, eigentlich freuen müsste. Im Interview mit stern.de sagt Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, warum er dennoch keinen Linksruck bei der SPD erkennen kann.

Herr Bartsch, sind Sie ein guter Läufer?

Warum?

Weil die SPD versucht, Sie links zu überholen.

Das kann ich überhaupt nicht erkennen. Der Kurs der SPD in der großen Koalition hat mit links nichts zu tun. Er ist die Aufgabe sozialdemokratischer Prinzipien wie Solidarität und sozialer Gerechtigkeit: bei der Gesundheitsreform, bei der Streichung der Pendlerpauschale, der Reduzierung des Kindergeldes und der Erhöhung der Mehrwertsteuer ...

Wie bewerten Sie den Vorstoß von Kurt Beck, der das Arbeitslosengeld für Ältere wieder verlängern lassen möchte?

Links wirkt. Beck nimmt einen Vorschlag auf, den die Linkspartei vor Monaten schon gemacht hat. Aber erst wollen wir mal sehen, ob die schönen Worte auch in SPD-Politik umgesetzt werden. Mich interessiert nur, ob sich etwas für die Menschen zum Besseren ändert. Oder ob die SPD wieder mal nur schönes Wortgeklingel produziert.

Geht es für Beck um eine Sach- oder eine Machtfrage?

Weil ich immer ans Gute im Menschen glaube, gehe ich davon aus, dass es ihm um eine Sachfrage geht. Die Machtfrage muss er der SPD nicht stellen, es gibt kaum Alternativen zu ihm als Parteichef.

Kämpft er weniger um eine sozialpolitische Korrektur, sondern vor allem um ein besseres Wahlergebnis auf dem SPD-Bundesparteitag?

Natürlich hat die Debatte in Richtung längeres Arbeitslosengeld mit dem bevorstehenden SPD-Parteitag zu tun. Er will gut gewählt werden. Aber es geht ihm auch bereits um die Vorbereitung des Wahlkampfs für die Bundestagswahl 2009 und der Landtagswahlen, die im Frühjahr stattfinden. Es geht um den durchsichtigen Versuch, sich wieder als Partei der sozialen Gerechtigkeit in Erinnerung zu bringen.

Kämpft er um seine Autorität, die er vor allem mit der Frage verloren hat, wie die SPD mit der Linkspartei umgehen soll?

Mit Becks Autorität ist es nicht weit her. In der Frage, ob die Linkspartei in den Ländern ein Koalitionspartner sein könnte, konnte er sich nicht durchsetzen. Die SPD in den Ländern lässt sich nicht von ihm fremd bestimmen. Seine Autorität reicht dazu nicht aus.

Beck behauptet, sein Vorschlag zum Arbeitslosengeld sei eine Weiterentwicklung der Position, wie sie in der Agenda 2010 fixiert worden sei.

Das ist nun wirklich Unsinn. Mit der Agenda 2010 ist eine falsche Richtung in der Gesellschaft eingeschlagen worden. Wenn er jetzt lediglich das Mosaiksteinchen der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld korrigieren möchte, so ist das zu wenig und ein ziemlich plumper Täuschungsversuch. Die SPD hat mit der CDU eine Politik mitgetragen, die zu Lasten der kleinen und mittleren Verdiener geht. Ganz zu schweigen von den außenpolitischen Positionen, mit denen sie deutsche Soldaten in alle Welt schickt.

Auffallend, dass die Agenda-2010-Befürworter Steinbrück und Steinmeier sich nur zaghaft zu Wort melden, Steinmeier war schließlich der geistige Kopf hinter dieser Regelung.

Beide lassen nicht erkennen, dass sie eine andere Haltung als Franz Müntefering haben. Wieso sie sich dennoch zu Stellvertretern Becks wählen lassen wollen, ist mir schleierhaft. Ihnen scheint das Parteiamt wichtiger zu sein, als eine eindeutige Positionierung.

Unbestritten hat die Agenda mehr Ältere wieder in Arbeit gebracht. Weshalb sie also aufgeben?

Es ist wunderbar, wenn wieder mehr Menschen in Arbeit kommen. Es ist nur die Frage, ob dies der Kürzung des Arbeitslosengeldes zu danken ist. Das kann doch niemand nachweisen. Die Senkung der Arbeitslosenzahlen hat zuerst konjunkturelle Gründe, vor allem im Export und nicht in der Inlandsnachfrage und betrifft stark den Niedriglohnbereich.

Es war aber ein Missstand, dass die Arbeitgeber auf Kosten der Steuerzahler sich älterer Mitarbeiter entledigen konnten, indem sie diese in die Arbeitslosigkeit abschoben. Weshalb dahin zurück?

Niemand in der Linken will doch erneut die "Entsorgungspolitik" der Arbeitgeber befördern. Man muss da schon genauer hinsehen. Es gibt Arbeitnehmer, die schon mit 55 Jahren ihren Beruf nicht mehr ausüben können, andere sind noch mit 68 fit. Deshalb ist auch die Entscheidung für eine undifferenzierte Rente 67 eine krasse Fehlentscheidung. Unsere Position ist, dass zu allererst neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen.

Korrekturen werden auch bei der beschlossenen Rente 67 diskutiert. Wo steht Ihre Partei in dieser Frage?

Bei der Rente 67 können sie die ganze Verunsicherung der SPD sehen. Erst wurde sie von der SPD beschlossen, jetzt geht die Partei wieder auf Distanz zu ihrem Beschluss von vor einem Jahr. Das hätte es ohne die Linke nicht gegeben. Wir haben zusammen mit Gewerkschaften und sozialen Verbänden eine Veränderung im Denken der Gesellschaft bewirkt. Was die SPD mit der Rente 67 beschlossen hat, ist eine Mogelpackung. Die Rente 67 ist eine faktische Rentenkürzung. In Ostdeutschland sind zum Beispiel von den 64-Jährigen nur sieben Prozent in Arbeit. Da wird doch ganz klar, dass die Rente 67 eine Fehlentscheidung ist.

Haben Sie die Befürchtung, dass die SPD durch einen Linksruck zur Linkspartei gewechselte Mitglieder etwa aus dem Gewerkschaftsbereich wieder abwerben könnte?

Im Moment läuft es genau andersherum. Wir gewinnen neue Mitglieder, von denen viele aus der SPD kommen oder in Gewerkschaften engagiert sind. Seit dem Gründungsparteitag der Partei Die Linke haben wir 3700 neue Mitglieder gewonnen. Fragen Sie die SPD, wie viele im gleichen Zeitraum ihr Parteibuch abgegeben haben. Die sehen so wenig wie wir auch nur den Hauch eines Linksrucks, vor allem nicht in der SPD. Die SPD befindet sich in der babylonischen Gefangenschaft der CDU. Beck macht gerade den schwachen Versuch, den stolzen Parteinamen Sozialdemokratie wieder zu rechtfertigen.

Interview: Hans Peter Schütz

stern.de, 10. Okotber 2007