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Linke Abgeordnete will Staat und Religion strikt trennen

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Linken, steht der Islamkonferenz kritisch gegenüber. Sie fordert eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion. Die 34-Jährige ist in Duisburg geboren und aufgewachsen. Seit 2005 sitzt Dagdelen für die Linke im Bundestag.

Was erwarten Sie von der Islamkonferenz?

Sevim Dagdelen:Ich bin sehr skeptisch, weil die Islamkonferenz mit den Zielen, die sie sich gesteckt hat, im Grunde genommen von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist.

Wieso?

Den islamischen Glauben zu einer Körperschaft öffentlichen Rechts zu machen, wie die christlichen Kirchen, ist unmöglich, weil es keine Repräsentationsebene im Islam gibt.

Aber es existieren doch Vertreter unterschiedlicher Dachverbände.

Der christliche Glaube ist so strukturiert, dass es eindeutige Ansprechpartner gibt, zum Beispiel die Bischofskonferenz. Im Islam gibt es hingegen keine. Der Islam hat vier Schulen, unterschiedliche Orientierungen mit dutzenden Sekten. Außerdem ist er so angelegt, dass der Gläubige eine unmittelbare Beziehung zu Gott hat. Auch deshalb fühlen sich nur 20 Prozent der über 3 Millionen bekennenden Muslime in Deutschland von derlei Verbänden vertreten.

Was kann Ihrer Meinung nach die Islamkonferenz im besten Fall erreichen?

Sie könnte dazu dienen, Vorurteile und Ressentiments abzubauen angesichts des besorgniserregenden Rassismus gegen Muslime. Wir brauchen eine öffentliche Debatte hin zu einer antirassistischen, säkularisierten Gesellschaft. Aber das Bild des Islam, das die Medien transportieren, ist oftmals von Unkenntnis geprägt.

Was halten Sie von den Rufen nach einer Islamsteuer oder islamischen Krankenhäusern?

So lange es die Privilegien für die christlichen Kirchen gibt, ist es schwierig, muslimischen Verbänden analoge Privilegien auf Dauer zu verweigern. Es sei denn, diese Privilegien würden abgeschafft. Dafür trete ich ein. Ich möchte eine aufgeklärte und emanzipatorische Gesellschaft und bin deshalb gegen die Privilegierung von Religionsgemeinschaften durch Steuergelder. Ich wünsche mir eine strikte Trennung von Staat und Religion, weil der Glaube eine zutiefst private Sache ist.

Wie steht es mit dem Vorwurf der Integrationsverweigerung?

Religion wird ständig mit Integration gleichgesetzt. Integration ist aber eine soziale Frage. Bosbach (Wolfgang Bosbach, Fraktionsvizechef der CDU) sagt die Unwahrheit, wenn er von Integrationsverweigerung spricht. Die Menschen wollen in die Sprachkurse, es gibt nur nicht genug. Sie werden nun verstärkt abgewiesen, weil an den Kursen gespart wird. Auch der Vorwurf der Ghettoisierung ist falsch. Ja, es gibt eine Konzentrierung in Duisburg-Marxloh, Köln-Mülheim, aber das ist doch keine gewollte Entscheidung. Es fehlt vielen Migranten einfach an Geld, um sich ein schöneres Wohnumfeld zu leisten. Auch ich bin in Duisburg-Bruckhausen aufgewachsen, weil meine Eltern sich da eine Wohnung leisten konnten und nicht im Reichenviertel.

Was wollen Sie in NRW verändern, um die Integration zu verbessern?

Zuallererst die Studiengebühren abschaffen. Die sind für viele junge Migranten der Haupthinderungsgrund für ein Studium. Wir brauchen außerdem eine Gemeinschaftsschule für alle, kostenlose Kita-Plätze und die Sicherstellung öffentlicher Daseinsvorsorge.

Wie beurteilen Sie die Integration von Migranten in NRW im bundesweiten Vergleich?

NRW ist schon besonders, weil dort vergleichsweise viele Migranten leben. Aufgrund der Industriekultur ist der Umgang meinem Eindruck nach unkomplizierter. Unter Tage, am Hochofen kommt es darauf an, sich auf den anderen verlassen zu können, da ist nicht wichtig, wo er herkommt. Angesichts des Strukturwandels könnte sich das aber auch ändern. Mit Arbeit steht und fällt alles.

Interview: Julia Hildebrandt

Der Westen, 17. Mai 2010