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Lieber aufmüpfig als nett

Im Wortlaut von Katja Kipping,

Sie ist 29 Jahre alt, hat knallrot gefärbte Haare und ist Vizechefin der Linken. In einer Partei der alten Männer steht Katja Kipping für Jugend und Sex-Appeal.

Es gibt eine Episode, die vielleicht typisch ist für das Selbstverständnis von Katja Kipping. Sie spielte sich vor vier Jahren in einem Dresdner Restaurant ab. Die gerade neu gewählte PDS-Vizechefin Kipping kam zusammen mit Parteichef Lothar Bisky zu einer Presseveranstaltung, und ein Reporter wollte von Bisky wissen, was denn das junge Mädchen an seiner Seite solle. Frau Kipping sei gewiss nett, aber doch sehr unerfahren.

Bisky kam gar nicht zu Wort, denn lächelnd aber bestimmt stellte Kipping erst einmal klar: Man könne vieles über sie sagen, aber den Ausdruck "nett“ weise sie zurück. "Nett“ ist für Kipping beinahe ein Schimpfwort. Da gefallen ihr schon besser die Attribute jung, frech und aufmüpfig.

Die Dresdnerin bringt jede Menge Selbstbewusstsein und Chuzpe mit. Genau das Richtige, um in der rauen Welt der Politik zu bestehen und sogar nach oben zu kommen. Katja Kipping weiß, was sie will. In sehr jungen Jahren hat sie schon viel erreicht.

In die PDS trat sie 1998 ein, schon im folgenden Jahr wurde sie Stadträtin, wenig später jüngste Abgeordente im Sächsischen Landtag. Da war sie gerade mal 21 Jahre alt. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl im September 2005 wurde sie als Spitzenkandidatin ihrer Partei in den Bundestag gewählt. Dort zählt sie zu den sechs jüngsten Abgeordeten.

Nach der Fusion ihrer Linkspartei.PDS mit der WASG im Juni 2007 wurde Kipping wieder zur stellvertretenden Vorsitzenden der neuen Partei Die Linke gewählt. Dort ist sie sozialpolitische Sprecherin. Eine Karriere, die alle Achtung verdient - und das auch noch als junge Frau in einer Altmänner-Partei.

Sex-Appeal in der Alt-Herren-Riege

Überhaupt die alten Herren. Die Linke ist überaltert, der Altersdurchschnitt liegt weit über 60 Jahren. Jährlich sterben Hunderte Mitglieder weg. Auch die beiden Chefs der Linken sind Männer im fortgeschrittenen Alter: Lothar Bisky ist 66, Oskar Lafontaine 64 Jahre alt. Da kommt eine wie Kipping gerade recht. Mit ihrer frischen, unverkrampften Art soll sie das Image der Partei aufpolieren, ihr einen jugendlichen Touch verleihen.

Sie soll das verkörpern, was der Linken in der öffentlichen Wahrnehmung fehlt: Jugend, Weiblichkeit und ein Quäntchen Sex-Appeal. Wer die Dresdnerin deshalb für einen naiven Politikneuling hält, täuscht sich. Sie ist ein Profi, brilliert selbst bei Polit-Talks im Fernsehen wie ein alter Hase.

Mit den richtigen alten Hasen ihrer Partei arrangiert sich Kipping, muss sie sich arrangieren. Dabei unterscheidet sie aber nach Inhalt und Auftreten. Zum Beispiel bei Oskar Lafontaine, den sie als "Super-Zugpferd" lobt, das das Profil der Linken schärft. Mit seinem Politikstil kann sie aber nur wenig anfangen: Ein gewisses dominantes Auftreten sei bei Lafontaine schon zu beobachten. Für Kipping zählt der West-Import zur partriarchalen Sorte Politiker.

Den Männerüberschuss in der Führungsriege ihrer Partei findet Kipping falsch. Es sei nicht richtig, dass unter den Vorsitzenden keine Frau sei. Sie spricht von einer "Neigung zum Paternalismus“. Intern seien Frauen gleichberechtigt, aber nach außen hin geben Männer den Ton an.

Lange will sie sich diesen Zustand nicht anschauen und rammt schon mal Pflöcke ein: Während Lafontaine die Spitze der Linken für eine Übergangszeit von drei Jahren unverändert sehen möchte, drängt Kipping auf den Wechsel in spätestens einem Jahr. Schon jetzt fragt sie sich, "ob die Herren die Größe dazu haben“.

"Dresden ist viel schöner als Berlin"

Dennoch kommt eine Kandidatur für den Parteivorsitz für sie nach eigenem Bekunden noch zu früh. Schließlich müsse man jede Menge Erfahrung mitbringen, um eine Partei führen zu können. "Ich will auch noch andere Sachen machen außer Politik - und um einen Chefposten kann ich mich auch mit 40 oder 50 noch bewerben“, sagt sie.

Trotz ihrer politischen Karriere ist Katja Kipping auf dem Boden geblieben. Neben der Abgeordnetenarbeit hat sie Slawistik, Amerikanistik und Jura studiert. Als sie wegen ihres Bundestagsmandats 2005 nach Berlin ziehen musste, behielt sie ihr Zimmer in einer Vierer-WG in Dresden. "Dresden ist viel schöner", sagt sie.

In Berlin wohnt sie seit kurzem in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung, zuvor ebenfalls in einer WG in Berlin-Kreuzberg. Dieser Lebensstil garantiere Bodenhaftung, versichert Kipping. In ihrer Freizeit tanzt sie leidenschaftlich gerne Jazz-Dance. Sie achtet darauf, mindestens einmal die Woche zu trainieren - auch wenn der Terminkalender noch so voll ist. "Politik wird frustrierend, wenn man nichts anderes kennt."

Von Beate Wild

sueddeutsche.de, 18. September 2007