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»Lammert hat uns einen Gefallen getan«

Im Wortlaut von Heike Hänsel,

Der Bundestag erinnerte mich am Freitag an meine Schulzeit - wer den Unterricht störte oder unartig war, mußte vor die Tür. Das ist der Linksfraktion jetzt passiert, und Sie waren dabei. Wie lief das ab?

Wir wollten bei der Debatte, in der es um Afghanistan ging, klar machen: Wer der Truppenaufstockung zustimmt, entscheidet auch über Leben und Tod. Die Kollegin Christine Buchholz hatte das in ihrer Plenarrede zuvor sehr gut zum Ausdruck gebracht. Wir haben das dann optisch dadurch untermauert, daß wir Plakate mit den Namen von Opfern des Kundus-Massakers hochgehalten haben. Immerhin fordern wir seit Wochen, daß dieser Opfer gedacht wird, daß die für dieses Gemetzel verantwortlichen Parteien sowie die Bundesregierung sich dafür zumindest entschuldigen.

Wer hatte die Idee zu der Aktion gegen diesen Kollateralschaden der deutschen Afghanistan-Politik?

Daran waren viele beteiligt - wir hatten im Arbeitskreis Internationales schon länger darüber diskutiert, daß man den Opfern ein Gesicht geben müsse, daß wir eine Gedenkveranstaltung brauchen.

Waren alle Fraktionsmitglieder eingeweiht?

Eigentlich schon, vielleicht war der eine oder andere krank oder aus anderen Gründen abwesend. Allerdings wurde nur intern über diese Aktion gesprochen, wir haben das nicht über E-Mails kommuniziert.

Es wurde also geheimgehalten?

Geheimhaltung nicht direkt, aber wir wollten nicht, daß das nach außen dringt. Wir haben diese Aktion in der Fraktionssitzung auch nur kurz erwähnt, die konkreten Absprachen liefen mehr am Rande der offiziellen Strukturen.

Spektakuläre Aktionen der Linksfraktion im Bundestag haben Tradition. Sind die als Gegengewicht zur Medienberichterstattung gedacht? Als Guerilla-PR?

Natürlich wollten wir Aufmerksamkeit erregen - sonst hätten wir das ja auch nicht gemacht. Ziel war, wie gesagt, die Aufmerksamkeit auf die Opfer zu lenken. Und da hat uns Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) einen Gefallen getan, indem er uns von der Sitzung ausschloß - unsere Aktion wurde damit erst richtig bekannt, alle Medien sind sofort darauf eingestiegen. Danke für den Rausschmiß!

Den ersten großen Skandal hatten schon vor einigen Jahren die PDS-Abgeordneten Winfried Wolf, Ulla Jelpke und Heidi Lippert ausgelöst, als sie mit einem Plakat gegen US-Präsident Georg Bush demonstrierten. In der vergangenen Legislaturperiode gab es u.a. eine Solidaritätsdemo mit ver.di. Bei den NATO-Jubiläumsfeiern haben wir die Pace-Fahne hochgehalten.

Nicht alle aus Ihrer Fraktion können sich offenbar mit solchen Aktivitäten anfreunden. Eine eher dem rechten Parteiflügel nahestehende Abgeordnete blieb laut TV-Übertragung mit gelangweiltem Blick demonstrativ sitzen. Andere, die ebenfalls dieser Richtung zugerechnet werden, sind gar nicht erst zur Sitzung erschienen ...

Es gab in der Tat ein, zwei Sitzenbleiber. Aber immerhin haben die sich mit unserem Protest solidarisch verhalten und gemeinsam mit der Fraktion den Saal verlassen.

Als die Fraktion weg war, tauchte im Plenarsaal plötzlich ihr rechtspolitischer Sprecher, Wolfgang Neskovic auf. Hatte der nicht geschnallt, was ablief?

Ich weiß nicht genau, warum er das gemacht hat. Er hat wohl auf seinem Recht bestanden, weiter an der Plenarsitzung teilzunehmen, weil er bei der Plakataktion nicht dabei war.

Union, SPD und FDP fanden den Rausschmiß der Linken gut, es gab aber auch verhaltenen Protest ...

Hans-Christian Ströbele von den Grünen hat interveniert. Es gab auch den einen oder anderen ermunternden Zuruf aus seiner Fraktion, auch bei der SPD werden wohl nicht alle mit unserem Rausschmiß einverstanden sein.

Wollen Sie denn jetzt wieder artig sein, nachdem Lammert onkelhaft mit dem Finger gedroht hat?

Bei den Fragen Krieg oder Frieden, Leben oder Tod darf es nicht um formale Regelverstöße gehen. Die finden nämlich ganz woanders statt - nämlich in Afghanistan, wo die BRD völkerrechtswidrig Krieg führt.

Interview: Peter Wolter

junge Welt, 27. Februar 2010