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Lafontaine fordert Ende der Lohn-Zurückhaltung

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Der Chef der Linksfraktion im Bundestag, Oskar Lafontaine, fordert zum Tag der Arbeit im FOCUS-Online-Interview höhere Löhne und verteidigt den Beschluss des bayerischen DGB, SPD-Politiker mit Regierungsverantwortung von Mai-Kundgebungen auszuladen.

FOCUS Online: In Bayern hat der DGB Sozialdemokraten, die die Regierungspolitik mittragen, von den 1.-Mai-Demonstrationen ausgeladen. Dennoch scheinen die Gewerkschaften Ihnen bislang noch kritisch gegenüber zu stehen. Glauben Sie, dass sie sich in Zukunft zwischen SPD und DGB werden drängen können?

Lafontaine: Es war richtig, dass der DGB in Bayern Politiker ausgeladen hat, die im Bundestag für Renten- und Sozialkürzungen eintreten. Der DGB kann seinen Mitgliedern schlecht Gäste präsentieren, die als Politiker das Gegenteil von dem machen, was der DGB will. Das Programm der Linken dagegen deckt sich in vielen Fragen mit dem des DGB. Dass es noch Schwierigkeiten gibt für den einen oder anderen, mit der neuen Situation fertig zu werden, versteht sich von selbst. Aber immer mehr Funktionäre im Mittelbau erkennen, dass die Linke die politische Kraft im Bundestag ist, die die Interessen der Arbeitnehmer vertritt.

FOCUS Online: Also bleiben Sie lieber auf Schmusekurs mit der SPD?

Lafontaine: Wir haben eine größere Nähe zu den Gewerkschaften als zur SPD, und wir wollen diese Nähe verstärken. Wir vertreten das gleiche Programm wie die deutschen Gewerkschaften, und ein Fünftel unserer Fraktion sind oder waren gewählte Funktionäre der Gewerkschaften. Das prägt unsere Politik im Deutschen Bundestag. Deshalb beantragen wir immer wieder, ein Gesetz zum Mindestlohn von acht Euro pro Stunde zu beschließen, und machen Druck, damit diese Forderung eine Mehrheit findet.

FOCUS Online: Wie wichtig sind denn für Sie die Gewerkschaftskundgebungen?

Lafontaine: Die Gewerkschaftsmitglieder sind aufgrund unserer Programmatik unsere ersten Ansprechpartner. Wir sind eine Kraft, die dem gegenwärtigen Zeitgeist Widerstand leistet. Der fördert Lohnkürzungen und den Abbau von Arbeitnehmerrechten und sozialen Leistungen und steht damit im Widerspruch zur großen Mehrheit der Bevölkerung. Daher hoffen wir, dass unsere Politik mehr Zustimmung findet, und sicherlich wird diese Zustimmung auch am 1. Mai sehr groß sein.

FOCUS Online: Hat dieses Jahr der 1. Mai für Sie einen größeren Stellenwert als in den Jahren zuvor?

Lafontaine: Das Besondere ist diesmal, dass der 1. Mai mit dem Beginn der Warnstreiks der Metaller und bei der Telekom zusammenfällt. Die Kampfbereitschaft gegen Lohnkürzungen wächst, und vor diesem Hintergrund erkennen immer mehr Gewerkschaftsmitglieder, dass die Linke die einzige politische Kraft im Bundestag ist, die ihre Ziele vertritt. Denn alle anderen Parteien treten für Renten-, Lohn-, und Sozialkürzungen ein.

FOCUS Online: Die SPD beobachtet mit Sorge, dass die Gewerkschaftsmitglieder das Geschäft der Linkspartei betreiben. Hat die Linke die Gewerkschaften etwa schon längst unterwandert?

Lafontaine: Das ist ein Begriff, der den wirklichen Sachverhalt nicht wiedergibt. Es ist so: Die politischen Forderungen der Gewerkschaften decken sich mit denen der Linkspartei, stehen aber im krassen Gegensatz zur SPD.

FOCUS Online: Das Motto der Maikundgebungen lautet diesmal: „Du hast mehr verdient“. Sollten sich die Arbeitnehmer nicht lieber in Lohnzurückhaltung üben, um den Aufschwung nicht zu gefährden?

Lafontaine: Nein, denn wir gehen in Deutschland einen Sonderweg. Über zehn Jahre gerechnet sind die Realeinkommen der Arbeitnehmer hier um fünf Prozent gesunken. Im europäischen Durchschnitt sind sie aber um zwölf Prozent gestiegen, in Ländern wie Großbritannien oder Schweden sogar um bis zu 28 Prozent. Wer in dieser Situation sagt, die deutschen Arbeitnehmer sollten sich zurückhalten, versteht die ökonomischen Zusammenhänge nicht oder ist nicht fähig, über die Grenze zu blicken.

FOCUS Online: Ist der 1. Mai für die Linken auch eine Vorbereitung auf den G-8-Gipfel?

Lafontaine: Es gibt teilweise inhaltliche Übereinstimmungen. In Deutschland leben immer mehr Menschen in ungesicherten sozialen Verhältnissen. Das erleben wir auch weltweit und ist eine Folge der neoliberalen Globalisierung, die das Ergebnis hat, dass die Reichen immer reicher werden, während die ärmeren Schichten immer ärmer werden.

Von FOCUS-Online-Redakteur Fabian Löhe

Focus, 30. April 2007