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Kulturgüter sind mehr als eine Ware

Im Wortlaut von Sigrid Hupach,

 

Von Sigrid Hupach, kulturpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

In den vergangenen Wochen schlugen die Wellen in den deutschen Feuilletons besonders hoch: vom Eingriff in die Freiheitsrechte war die Rede; von kalter Enteignung; von der Vertreibung namhafter Künstler, Sammler und Mäzene aus Deutschland; von Kontrollwahn und Reglungswut, der den Kunsthandel zu ruinieren droht; von einem kulturpolitischen Skandal allerersten Ranges. Einige verstiegen sich sogar zu unsäglichen Vergleichen mit der Kulturpolitik des Nationalsozialismus oder der DDR – in einem Atemzug. Was ist da los?

Grund für den hohen Wellenschlag ist das Strömungshindernis namens Kulturgutschutzgesetz (KGSG). Die Novellierung des Kulturgüterrückführungsgesetzes von 2007 ist unbedingt notwendig und überfällig. Dieses Gesetz hatte die LINKE schon damals kritisiert, auch die Bundesregierung musste in ihrem Evaluierungsbericht 2013 eingestehen, dass es im Grunde wirkungslos geblieben ist und kein einziger Antrag auf Rückführung von unberechtigt nach Deutschland verbrachtem Kulturgut in sein Herkunftsland seit 2008 Erfolg hatte.

Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien will nun zugleich das Kulturgutschutzgesetz von 1955 und das Ausführungsgesetz zur Haager Konvention über den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 in einem neuen Gesetz zusammenführen und das Paket an europarechtliche und völkerrechtliche Vorgaben sowie datenschutzrechtliche Erfordernisse anpassen. Zudem soll die Zusammenarbeit zwischen den Kulturbehörden der Länder und den Zoll- und Ermittlungsbehörden verbessert werden. Nicht zuletzt dadurch soll die UNESCO-Konvention von 1970 über „Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut“ viel weitgehender als bisher umgesetzt werden.

Im Juli wurde nun ein Referentenentwurf vorgestellt, der leider noch immer nicht öffentlich ist. Zuvor kursierte bereits eine andere, mittlerweile zurückgenommene Fassung. Auch daher kann die Debatte nicht frei sein von Mutmaßungen und gegebenenfalls falschen Annahmen. Dennoch: Die Schelte an der BKM und die Panikmache von Seiten des Kunsthandels halten wir für übertrieben.

Vor allem unterstützen wir ein Ziel des Gesetzes, das in der Öffentlichkeit kaum behandelt wird: der illegale Kunsthandel soll unterbunden, wenigstens erschwert werden. Wir sind daher ausdrücklich dafür, die Ein- und Ausfuhr von für das kulturelle Erbe der Menschheit relevantem Kulturgut streng zu reglementieren und für den Handel mit Kulturgut bestimmter Alters- und Wertgrenzen die Notwendigkeit einer Ausfuhrgenehmigung bzw. eines Herkunftsnachweises bei der Einfuhr nach Deutschland im Gesetz festzuschreiben. Es geht hier keineswegs um eine pauschale Verunglimpfung des gesamten Kunsthandels, Hintergrund ist vielmehr die nicht von der Hand zu weisende Tatsache, dass es einen internationalen illegalen Handel mit aus Museen oder Grabungsstätten geraubtem Kulturgut gibt – und Deutschland sich aufgrund der bisher eher laxen Gesetzgebung zu einem Umschlagplatz dafür entwickeln konnte. 

Bei der Einfuhr von Kulturgut muss in Zukunft eine Ausfuhrgenehmigung des Herkunftslandes vorliegen und somit der Nachweis erbracht werden, dass es vom Herkunftsstaat nicht als nationales Kulturgut eingestuft wird. Außerdem muss aus den Unterlagen deutlich werden, in wessen Besitz das Kulturgut in den vergangenen zwanzig Jahren war und wie es erworben wurde.

Für die Ausfuhr sollen mit dem geplanten Gesetz nun die bereits seit 1992 für den Kunsthandel mit dem nicht-europäischen Ausland geltenden Regelungen auch auf den EU-Binnenmarkt ausgedehnt werden – das heißt, auch die Ausfuhr von Kulturgut über bestimmten Wert- und Altersgrenzen innerhalb der EU muss in Zukunft von der entsprechenden Landesbehörde genehmigt werden. Es geht ausdrücklich um Ausfuhrgenehmigungen, nicht um generelle Ausfuhrverbote.

In die Entscheidungsfindung soll ein Sachverständigenausschuss einbezogen werden – insbesondere auch bei der Definition von „national wertvollem Kulturgut“ und die Aufnahme in entsprechende Länderverzeichnisse, die nun auch bundeseinheitlich zusammengeführt werden sollen.

Leider muss man nicht lange nach aktuellen Beispielen suchen, die die Dringlichkeit einer wirkmächtigen gesetzlichen Regelung zur Definition von „national wertvollem Kulturgut“ untermalen: der Verkauf der beiden Warhol-Siebdrucke 2014 zur Sanierung der landeseigenen Spielbank in NRW; der umstrittene Umgang mit der Kunstsammlung der WestLB bzw. der ihr nachgefolgten Portigon AG oder der angekündigte Verkauf von Kunst aus der Sammlung des Westdeutschen Rundfunks. Kunst und Kultur als Verhandlungsmasse zur Haushaltssanierung – ein Tabubruch, eigentlich.

Auch vor diesem Hintergrund will das neue Gesetz die Sammlungen und Bestände öffentlicher bzw. überwiegend öffentlich geförderter Einrichtungen generell als „national wertvolles Kulturgut“ definieren und unter Schutz stellen. Wir als LINKE unterstützen dies ausdrücklich, wie überhaupt alle Maßnahmen, die die öffentlichen Einrichtungen als Orte frei zugänglichen Wissens stärken – insbesondere gegenüber der zunehmend mächtiger werdenden Rolle von Privatsammlern und (vermeintlichen) Mäzenen und ihrem privatem Geschmack. Nur die öffentlichen Einrichtungen können Garant sein für einen freien Zugang und die Erfüllung des Bildungsauftrags.

Die generelle Unterschutzstellung bezieht sich auch auf Leihgaben – jedoch können ihr die Leihgeber unkompliziert und formlos widersprechen. In der inszenierten Empörung um die Rücknahme der Leihgaben von Georg Baselitz oder Gerhard Richter oder der Androhung durch Hasso Plattner, seine Kunstsammlung wegen des KGSG doch nicht in Potsdam ausstellen zu wollen, ging unter, dass Leihgaben nicht nur uneigennützig und aus Gemeinwohlinteressen an Museen gegeben werden – sie sind dort ohne eigene Unterhaltskosten und wertsteigernd gut und klimatisiert verwahrt, gesichert und versichert.

Statt der Hysterie brauchen wir eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, was für uns, für unsere Gesellschaft diese „national wertvollen Kulturgüter“ sein könnten – und darüber, welche Folgerungen aus dieser Kategorisierung zu ziehen sind. Es geht ja nicht nur um ein Etikett oder die Aufnahme in ein Verzeichnis, sondern um die damit verbundene Verpflichtung, das Kulturgut zu pflegen und zu erhalten und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und das gilt natürlich und vornehmlich für die Sammlungen und Bestände in öffentlicher Hand. Hierfür ist es einmal mehr nötig, auch über Geld zu reden. Der vorliegende Gesetzentwurf schweigt sich dazu leider aus.

Nicht zuletzt wäre mehr Sprachkritik angebracht und der inhaltliche Zusammenhang zu beachten von „national wertvollem Kulturgut“, „Raubkunst“ und „shared heritage“. Bei der Zerstörung oder den Raub und Verkauf von antiken Kulturgütern in Syrien, Irak oder Ägypten geht es in den Debatten nahezu unstrittig um „nationales, identitätsstiftendes Kulturgut“; in den Diskussionen um mögliche Rückgaben von in Kolonialzeiten nach Europa gebrachten Kulturgütern aus Afrika, Asien oder Lateinamerika wird dann häufig lieber von „shared heritage“ gesprochen, also Kulturgut, das der Weltbevölkerung insgesamt zusteht – praktisch für den aktuellen Besitzer.

Wie dem auch sei, die bisherigen Erfahrungen der Länder sollten in die Gesetzesgestaltung und die Gestaltung der Sachverständigenausschüsse einfließen. Diese sollten so breit aufgestellt werden, dass die berechtigten Interessen der Kulturgut bewahrenden Einrichtungen, der Wissenschaft und der Gesellschaft sich dort ebenso widerspiegeln wie die der Sammler/innen und des Kunsthandels.

Übrigens existieren im überwiegenden Teil der EU bereits ähnliche Gesetze, zum Beispiel in Italien, Großbritannien oder Spanien. Die Aufregung im Kunsthandel scheint doch übertrieben zu sein – oder sie basiert auf gänzlich anderen Überlegungen. Wir sollten die Novelle des KGSG als Anlass nehmen, öffentlich über die Akkumulation von Vermögenswerten, über Erbschafts- und Vermögenssteuern, die Regulierung der Finanzmärkte, u.a. mit einer Finanztransaktionssteuer, und letztlich über den kapitalistischen Eigentumsbegriff nachzudenken.

Für uns als LINKE sind regulierende Eingriffe in den Markt, auch in den Kunstmarkt, nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Kulturgüter sind mehr als eine Ware, mehr als reines Anlagekapital oder bloße Spekulationsobjekte; sie sind geprägt von ihrem Doppelcharakter, der über den materiellen Wert hinausweist und nicht zuletzt Werte transportiert und Identität stiftet. Vermeintliche „Handelshemmnisse“ wie die Künstlersozialkasse oder auch das Folgerecht, das den Künstlern beim Weiterverkauf ihrer Werke eine Beteiligung zusichert, sind soziale Errungenschaften, die wir zu verteidigen und zu stärken haben.

Jedoch: Die Kritik an der Art und Weise, wie die Debatte zurzeit geführt wird, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Tat noch viele Fragen offen sind, die es im parlamentarischen Verfahren zu klären gilt. Grundsätzlich gehört hierzu auch die Kritik daran, nicht alles Konkrete über sogenannte Verordnungsermächtigungen zu regeln, auf deren Gestaltung wir Abgeordneten kaum oder gar keinen Einfluss haben.

linksfraktion.de, 24. August 2015