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Krisenpolitik untergräbt Europas Fundament

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Das Kanzlerduell vor gut einer Woche lief wie erwartet: seichte Parolen, nichts Polarisierendes, nur ein weiterer Polit-Talk ohne Aussagekraft. Überhaupt mehr Duett als Duell. Wahrscheinlich unterhielten sich die Zuschauer danach deshalb lieber über Merkels Halsschmuck, eine Kette in Schwarz-Rot-Gold, als über die Äußerungen der Kandidaten. Schließlich wissen selbst die Wohlmeinenden unter den Wählerinnen und Wählern, dass vor der Wahl nicht nach der Wahl ist und dass aus Wahlversprechen schnell Wahlversprecher werden – so war es halt nicht gemeint.

Eine Aussage von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat Gregor Gysi dann aber doch die Zornesröte ins Gesicht getrieben. Es war der Moment, als Steinbrück die Kanzlerin für ihre Politik in der Euro-Krise attackierte. Es war der Moment, als Steinbrück die Zustimmung der SPD zu allen Bankenrettungspaketen, zu Spardiktaten, zu ESM und Fiskalpakt mit der Verantwortung für Europa rechtfertigte. Das war dann doch zu viel.

»Sie haben es ganz genau gewusst und trotzdem mit Ja gestimmt«

"Ich finde, das ist eine Frechheit; das muss ich Ihnen sagen", sagte Gregor Gysi zwei Tage nach dem TV-Duell während der Bundestagsdebatte. "Was ist denn daran europaverantwortlich, wenn man den Süden Europas ruiniert? Was ist denn daran europaverantwortlich, wenn man dafür sorgt, dass der Süden die Darlehen nie zurückzahlen kann, und zustimmt, dass die Deutschen für 27 Prozent all dieser Darlehen haften?“

Am Beispiel von Griechenland zeigte Gregor Gysi die dramatischen Folgen der deutschen Kürzungsdiktate: steigende Schulden im Jahr 2013 von 120 Prozent auf 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, eine Jugendarbeitslosigkeit von 64 Prozent, steigende Arbeitslosigkeit um insgesamt 193 Prozent, ein Wirtschaftseinbruch um 24 Prozent. "Wovon", fragte Gysi dann, "sollen die denn etwas zurückbezahlen?" Dennoch haben die SPD wie auch die Grünen den sogenannten Rettungsschirmen immer wieder zugestimmt: "Weder die Grünen noch die SPD können sagen: Wir haben ja nicht gewusst, dass das dabei herauskommt. Sie haben es ganz genau gewusst und trotzdem mit Ja gestimmt."

Das zeigt die ganze Misere der SPD. Sie stimmt mit zu, wo sie entschieden Nein sagen müsste, wenn es ihr ernst wäre. Aber das ist offensichtlich zu viel verlangt von einer SPD, die in ihrer Regierungszeit mit einem neoliberalen Ruck die derzeitige Krise mitverschuldet hat. Mit der Agenda 2010 hat Rot-Grün nicht nur zur "Entsicherung der Lebensverhältnisse", wie der Soziologe Wilhelm Heitmeyer die letzte Dekade bezeichnete, in Deutschland beigetragen, sondern eben auch die derzeitige Krise befeuert.

Erfolg fußt auf Ausbeutung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Dazu gehört die Schaffung eines riesigen Niedriglohnsektors, der Lohndumping beförderte und dafür sorgte, dass in Deutschland die Reallöhne zwischen 2000 und 2009 um drei Prozent sanken. Damit wurden bestehende Handelsungleichgewichte noch verschärft, die deutsche Binnenkonjunktur heruntergefahren, die Nachfrage sank – auch nach Produkten aus dem Süden Europas.

Das soll nun das Modell für ganz Europa werden. "In der Tat", stellt der Chef-Volkswirt der Fraktion DIE LINKE, Michael Schlecht, fest. "Deutschland ist 'stark’ beim Lohndumping, es ist 'stark' bei den prekären Jobs. Diese 'Stärke' soll exportiert werden, und damit durch ein gesamteuropäisches Lohn- und Sozialdumping der Rest der Welt niederkonkurriert werden. So die Vorstellung, die Europa in die Katastrophe zu führen droht." Der vermeintliche Erfolg, mit dem Deutschland sich in Europa brüstet, fußt vor allem auf der Ausbeutung der unteren Lohnklassen, die in zunehmend prekäre Arbeits- und Lebensverhältnissen gedrängt werden.

Dass jetzt das deutsche Programm der Lohnsenkungen auf ganz Europa übertragen werden soll, hält der Ökonom Heiner Flassbeck für falsch. "Die Lohnentwicklung insgesamt muss in der Tat korrigiert werden, aber von unten nach oben und nicht von oben nach unten",  betont er in einem Interview. "Lohnsenkung zerstört die Binnenkonjunktur. In den südeuropäischen Ländern hat die Binnennachfrage einen Anteil von 75 Prozent. Wenn man die Löhne senkt, senkt man die Binnennachfrage. Wenn man die Löhne um 20 Prozent senkt, dann senken die betroffenen Menschen sofort ihre Nachfrage um 20 Prozent. Die Wirtschaft bricht ein. Das kann niemals funktionieren." So seine Warnung, die bislang in Deutschland niemand zu hören scheint, und schon gar niemand in der SPD. Wie sonst hätte die SPD allen "Rettungsschirmen" zustimmen können, die immer mit Auflagen zum Sparen und Kürzen einhergingen.

Dass das aber auch schwerwiegende Folgen für Deutschland hat, darauf wies Gregor Gysi in seiner Rede im Bundestag in der vergangenen Woche hin. Es sei nicht nur "sozial grob ungerecht, sondern wir schneiden uns auch noch ins eigene Fleisch, weil die Kaufkraft sinkt und unsere Exporte zurückgehen."

Peer Steinbrück ist beleidigt

Und dann ist da noch eine Pointe, die wie die Faust aufs Auge zur Misere der SPD passt. Peer Steinbrück empörte sich in diesen Tagen über den Vorwurf der Kanzlerin, die SPD sei europapolitisch unzuverlässig. Das wollte Steinbrück nicht auf sich sitzen lassen. Damit seien Brücken zerstört, sagte er, und tat so, als hätten die Kanzlerin und er in Sachen Euro-Krise jemals an einem anderen Ufer gestanden. Sahra Wagenknecht hielt die Erregung für seifenoperntauglich: "Von der Kanzlerin mit ihrem Euro-Crash-Kurs als unzuverlässig bezeichnet zu werden, empfände ich als Auszeichnung. Peer Steinbrück hingegen ist beleidigt."

Zu dieser Seifenoper gehört, dass die Bundesregierung auf ihrem neoliberalen Weg zu einem Wettbewerbseuropa inklusive autoritärer EU-Wirtschaftsregierung immer auf die SPD zählen konnte – auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zum Schaden der europäischen Idee. Die nächste Krise steht angesichts der Fortsetzung der gegenwärtigen Politik schon vor der Tür.

"DIE LINKE wird auch nach der Wahl zuverlässig an der Seite von Arbeitnehmern, Erwerbslosen und Rentnern stehen und die vermeintliche Euro-Rettung ablehnen", sagt Sahra Wagenknecht. "Statt maroder Banken wickelt die Troika Wirtschaft, Demokratie und Sozialstaat ab. Bei nüchterner Betrachtung kann diese Politik nur fortgesetzt werden, wenn der Kanzlerin eine EU mit Notstandsgesetzen vorschwebt." Wie sehr die derzeitige Krisenpolitik das Fundament der Europäischen Union untergräbt, zeigt das letzte "Europabaromenter", mit dem die Europäische Kommission die öffentliche Meinung in den EU-Staaten ermittelt. Das Vertrauen in die EU sinkt dramatisch – von 57 Prozent im Jahr 2007 auf aktuell nur noch 31 Prozent. Gerade einmal 30 Prozent haben noch ein "positives Bild" von der EU, 2007 waren es immerhin noch 52 Prozent. Merkels Euro-Politik ist eine Gefahr für Europa. Und die SPD kann und muss mit in Haftung genommen werden.

linksfraktion.de, 10. September 2013