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Kopflose Flüchtlingspolitik

Im Wortlaut von Gesine Lötzsch,

Die Bundesregierung muss einräumen, dass sie nicht weiß, was auf Länderebene passiert

 

Bund und Länder arbeiten bei der Betreuung von Flüchtlingen offenbar nur ungenügend zusammen. Die LINKE kritisiert das.


Von Fabian Lambeck

Mehr als 1,1 Millionen Menschen kamen im vergangenen Jahr nach Deutschland, um hier Asyl zu beantragen. Die Bewältigung dieses Andrangs ist eine Aufgabe, die eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern erfordert. Sollte man zumindest meinen. Doch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch (LINKE) lässt da erhebliche Zweifel aufkommen. So wollte Lötzsch wissen, mit welchen Ausgaben für Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen die Länder laut Haushaltsplänen für dieses Jahr rechnen. Im Antwortschreiben aus dem Bundesinnenministeriums heißt es, der Regierung "liegen keine Angaben dazu vor". Aus den "öffentlich zugänglichen Haushaltsplänen der Länder" könnten diese Informationen "nicht ermittelt werden". Entweder der Bund hat keine Ahnung, was die Länder so treiben, oder man will sich von der Opposition nicht in die Karten schauen lassen. Denn eigentlich müsste zumindest der Bundesfinanzminister ein Interesse an präzisen Daten haben.

Auch die Fragen nach Personal- und Sachausgaben, den Kosten für Kita-Betreuung oder Schulplätze für Flüchtlingskinder kann die Bundesregierung, zumindest offiziell, nicht beantworten. Berlin weiß demnach auch nicht, welche beruflichen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen die Länder planen. Das überrascht: Schließlich müsste die Bundesagentur für Arbeit in derartige Planungen mit einbezogen sein. In der Antwort gibt man aber nur einige Zahlen preis: So habe man die Eingliederungsleistungen für das laufenden Jahr gegenüber dem ursprünglichen Entwurf "um 250 Millionen höher veranschlagt". Für das Förderprogramm "Integration und Qualifizierung" des Bundes legte man 19 Millionen Euro ober drauf. Angesichts von Hunderttausenden jungen Menschen, die möglichst zeitnah entsprechende Maßnahmen durchlaufen müssten, nimmt sich diese Summe äußerst bescheiden aus.

Gänzlich im Dunkeln tappt die Regierung bei der Frage nach Landesprogrammen, die Flüchtlinge in Arbeit bringen sollen. Hier liegt ihr laut Antwortschreiben nicht einmal "eine entsprechende Übersicht" vor. Allerdings habe eine "Abfrage bei den Bundesländern" ergeben, dass bestehende Programme des Europäischen Sozialfonds (ESF) auch für Flüchtlinge genutzt werden könnten.

Zumindest eine konkrete Zahl kann die Regierung dann doch vorweisen: Zum Stichtag 4. Januar 2016 gab es in Deutschland insgesamt 59 673 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Doch über die Höhe der Betreuungskosten pro Fall und Monat für diese besondere Klientel liegen "keine gesicherten Erkenntnisse vor".

Gesine Lötzsch zeigte sich gegenüber neues deutschland überrascht: "Es ist schon erstaunlich, dass wir in bestimmten Politikbereichen sogar einen europäischen Datenaustausch haben, aber bei der Flüchtlingsfrage eine Koordinierung zwischen Bund und Ländern offensichtlich nicht gewollt ist. Oder, die Zahlen liegen vor und werden den Abgeordneten vorenthalten. Beides wäre nicht akzeptabel."

neues deutschland, 25. Januar 2016