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Kopflos ins Pauschalendesaster

Im Wortlaut,

Opposition, Sozialverbände und CSU lehnen Röslers »Gesundheitsprämie« von 30 Euro ab

Von Silvia Ottow

Geht es nach Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), werden 50 Millionen gesetzlich Krankenversicherte vom Studenten bis zum Rentner ab 2011 zusätzlich zu ihrem einheitlichen Beitrag von 14,9 Prozent noch 30 Euro in jedem Monat zahlen. Diese Kopfauschale erregt die Gemüter.

»Die ganze Maßnahme ist überflüssig«, diktiert der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach einer Zeitung von gestern. Sie sei ungerecht und bürokratischer als das jetzige System. Als Ausstieg aus der solidarischen Gesundheitsfinanzierung bezeichnet LINKEN-Chef Klaus Ernst Röslers Konzept. Der DGB nennt die Pauschale ein »vergiftetes Angebot«, der bisherigen Struktur werde ein Tod auf Raten verordnet. Sozialverbände, demokratischer Ärzte-Verein und weitere Kritiker warnen davor, auf Biegen und Brechen eine Kopfpauschale einzuführen, weil sie fürchten, dass künftige Ausgabensteigerungen dann immer bequem auf die Versicherten abgewälzt werden können. Von größerem Gewicht für das Schicksal der Kopfpauschale dürfte allerdings deren konsequente Ablehnung durch die CSU sein. Man habe das Konzept intensiv geprüft und könne es nicht mittragen, ließ Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder am Mittwoch wissen. Die Mittelschicht werde belastet, die Umsetzung sei zu schwierig und zu kostenintensiv, es seien Schicksalstage für die Koalition.

Noch ist nichts beschlossen und nicht alle Details sind bekannt. Röslers Eckpunkte sollen bei der am Sonntag beginnenden Klausurtagung des Bundeskabinetts auf die Tagesordnung kommen. Erst da wird sich herausstellen, ob die CSU ernsthaft am Erhalt der solidarischen Krankenversicherung interessiert ist, wie es ihr Vorsitzender Horst Seehofer immer gern vermittelt, oder ob ihre Kritik eher ein taktisches Manöver ist, um eigene Interessen durchzusetzen. Mit der geplanten Entlastung unterer Einkommensgruppen durch gestaffelte Beitragssätze und Steuermittel sind jedenfalls die Chancen gewachsen, dass der Bundesgesundheitsminister die Unterstützung der Union erhält. Auf die Zustimmung des Bundesrates, in dem Schwarz-Gelb seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen ohnehin keine Mehrheit mehr hat, ist sein Konzept nach der Einschätzung von Experten nicht angewiesen. Das war sicherlich in weiser Voraussicht so erarbeitet worden.

Eines scheint jedenfalls festzustehen: Der Systemwechsel in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist nach wie vor das Ziel des Liberalen Rösler, der mit seinem Rücktritt für den Fall gedroht hatte, dass sich die Regierung von diesem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel verabschieden könnte. Mit dem großen Plan seiner Partei, die Bürger zu entlasten und Gesetze überschaubarer zu machen, haben seine Ideen für die Krankenversicherung allerdings wenig gemein. Auch heute muss schon über großes Interesse und detaillierte Kenntnisse verfügen, wer den Mechanismus der Krankenkassenfinanzierung mit ihrer verwirrenden Begrifflichkeit (Sonderbeitrag, Zusatzbeitrag, Beitragsbemessungsgrenze, Versicherungspflichtgrenze, Zuzahlungen, Praxisgebühr, individuelle Gesundheitsleistungen) verstehen will. Werden die Pläne für nächstes Jahr Wirklichkeit, steigen die Ansprüche weiter und parallel dazu vermutlich auch der Beratungsbedarf.

Weit gravierender aber ist die Befürchtung aller Kopfpauschalengegner, dass diese Pauschale - von den Befürwortern liebevoll Gesundheitsprämie genannt - wegen der steigenden Kosten in dieser Branche die 30 Euro im Monat sehr bald überschreiten wird. Die LINKE und der DGB haben Proteste gegen die Einführung der Kopfpauschale angekündigt.

Neues Deutschland, 3. Juni 2010