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»Kein großer Anreiz für feindliche Übernahmen«

Im Wortlaut von Halina Wawzyniak,

Halina Wawzyniak, für DIE LINKE Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestages, ist seit kurzem Vorstandsmitglied der TreuhandliegenschaftsGenossenschaft FAIRWOHNEN i.G. Mit dieser Genossenschaft wollen LINKE-Abgeordnete den Verkauf von 11 500 TLG-Wohnungen an Hedgefonds verhindern. Die Juristin erklärt das Modell einer Genossenschaft, zeigt die Vorteile für Mieter auf und erläutert, woher die Kompetenz kommt, Wohnungen zu bewirtschaften.

Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE haben innerhalb weniger Tage die TreuhandliegenschaftsGenossenschaft FAIRWOHNEN i.G. ins Leben gerufen. Eine Genossenschaft zu gründen, scheint gar nicht so schwierig zu sein.

Halina Wawzyniak: Genossenschaften sind ein Rechtsform-Klassiker. Es gibt sie seit mehr als hundert Jahren. Aber der Genossenschaftsgedanke ist eigentlich noch viel älter. Er stammt aus dem Mittelalter und wurde in Gilden und Einigungen praktiziert.
Und ja, eine Genossenschaft ist vergleichsweise einfach zu gründen. Nur drei Personen braucht es mindestens für diese sehr demokratische Form der Kooperation. Man benötigt eine Satzung, Vorstand und Aufsichtsrat müssen gewählt werden - ein Aufsichtsrat allerdings erst ab 20 Mitglieder. Die Mitglieder der Genossenschaft müssen Genossenschaftsanteile zeichnen und die Genossenschaft muss durch das zuständige Amtsgericht eingetragen werden. Obligatorisch ist die Einschaltung eines Genossenschafts-Prüfverbandes.

Was unterscheidet eine Genossenschaft beispielsweise von einer GmbH?

Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung sind Grundprinzipien einer Genossenschaft. Es ist also – im Gegensatz beispielsweise einer GmbH oderAktiengesellschaft - eine sehr demokratische Unternehmensform. Nicht einem gehört alles, sondern allen gehört eines – so könnte man es beschreiben. Vorstand und Aufsichtsrat werden von den Genossenschaftsmitgliedern gewählt und müssen ihnen gegenüber Rechenschaft ablegen. Die Mitgliederversammlung – früher hieß die etwas martialisch Generalversammlung – entscheidet über wesentlichen Angelegenheiten des wirtschaftlichen Handelns. Bei einer Wohnungsgenossenschaft beispielsweise über die Verwendung des Bilanzgewinns, die Grundsätze der Bewirtschaftung der Wohnungen und ebenso die Grundsätze für die Vergabe von Wohnungen. Die Rechte der Mitgliederversammlung – in größeren Genossenschaften wählen die Mitglieder eine VertreterInnenversammlung – sind in der Satzung festgeschrieben und können erweitert werden. Mitglieder einer Genossenschaft haben gegenüber dem Aufsichtsrat Auskunftsrecht. Das sind nur einige Beispiele, um den Unterschied zwischen einem privatwirtschaftlichen und einem genossenschaftlichen Unternehmen deutlich zu machen.

Wer kann Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft werden?

Mitglied werden können natürliche Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts, juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts. Über die Aufnahme eines Mitglieds entscheidet der Vorstand und Mitglied ist man erst, wenn das Eintrittsgeld bezahlt und ein Genossenschaftsanteil gezeichnet ist. Wie hoch der zu zeichnende Genossenschaftsanteil ist, ob einer oder mehrere Anteile gezeichnet werden müssen, wird in der Satzung festgelegt. Um Mitglied der TreuhandliegenschaftsGenossenschaft FAIRWOHNEN zu werden, müssen zehn Anteile zu je 51,13 Euro erworben werden. Natürlich ist es möglich, mehr Anteile zu erwerben.

Kann durch den Erwerb von Anteilen jemand eine Genossenschaft sozusagen feindlich übernehmen?

Auch hier regelt die Satzung, dass eine solche Möglichkeit ausgeschlossen wird. Dazu kommt: Wohnungsgenossenschaften sind nicht auf der Jagd nach Rendite, was an Nutzungsentgelten - ein Genossenschaftsmitglied zahlt keine Miete, sondern Nutzungsentgelt - eingenommen wird, dient der Bewirtschaftung der Wohnungen, der Tilgung der Kredite und der Instandhaltung. Das ist kein großer Anreiz für feindliche Übernahmen.

Welchen Vorteil hat es, jenseits der Mitbestimmungsmöglichkeiten, Mitglied einer Genossenschaft zu sein?

Wer Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft ist, hat lebenslanges Wohnrecht, deshalb heißt der Mietvertrag auch Dauernutzungsvertrag. Die Identität von Eigentümer und Kunde unterscheidet eine Genossenschaft von allen anderen Kooperationsformen und ermöglicht ein anderes – solidarisches Miteinander. Genossenschaften werden von Personen geführt, die selbst Mitglied sind. Jede und jeder hat also die Möglichkeit, sich zur Wahl für die Gremien Aufsichtsrat und Vorstand zu stellen. Die eingezahlten Anteile gehen – im Gegensatz zu einer Provision – nicht verloren. Wer seine Mitgliedschaft kündigt, bekommt das sogenannte Auseinandersetzungsguthaben ausgezahlt. Wirtschaftet die Genossenschaft gut, entspricht dessen Höhe der Höhe der eingezahlten Anteile. Genossenschaften gehören zu jenem Bereich, der mit "Solidarökonomie" beschrieben werden kann. Das ermöglicht ein solidarisches Miteinander. Alle können sich einbringen und alle können mitbestimmen.  

Als Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft versteht man nicht unbedingt etwas von der Bewirtschaftung, von Bilanzen, Gewinn-Verlustrechnungen oder Instandhaltungsplänen – wie soll Kontrolle da möglich sein?

Es gilt auch hier die Regel, dass in einer ausreichend großen Gruppe von Menschen auch ausreichend Kompetenz in allen Wissensbereichen vorhanden ist. Mit der Wahl des Aufsichtsrates wählen die Mitglieder zudem ein wichtiges Kontrollgremium. Der Aufsichtsrat überwacht und kontrolliert die Tätigkeit des Vorstandes. Hier macht es also Sinn, genau zu prüfen und schauen, wem man seine Stimme gibt. Ein zweites, wichtiges Kontrollgremium ist der gesetzliche Prüfungsverband, dem eine Genossenschaft obligatorisch angehören muss. Mindestens alle zwei Jahre, meist jährlich, prüft dieser die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung. Die Ergebnisse dieser Prüfung wiederum können von jedem Mitglied eingesehen werden.     

Welches Gesetz regelt all diese Fragen?

Das Genossenschaftsgesetz, es entstand bereits im Jahr 1889. Man kann die aktuelle Version übrigens im Internet unter www.gesetze-im-internet.de herunterladen. Das Gesetz wurde 2006 zum letzten Mal novelliert. Dabei wurde beispielsweise die Mindestmitgliederzahl von sieben auf drei gesenkt, die Prüfungsauflagen für Genossenschaften mit Umsätzen unter zwei Millionen Euro jährlich wurden vereinfacht und die Übertragung von Geschäftsanteilen wurde erleichtert. Heute können Genossenschaften auch für soziale und kulturelle Zwecke gegründet werden.

linksfraktion.de, 19. April 2012