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Kein »blitzsauberes« Diyarbakir zulassen

Im Wortlaut von Jan van Aken,

Linkspartei-Politiker Jan van Aken über die Lage im kurdischen Bürgerkriegsgebiet und das Wegsehen der Bundesregierung

Jan van Aken im Januar 2016 in der Kurdenmetropole Diyarbakir  
  Jan van Aken (54) ist Außenpolitikexperte der Bundestagslinksfraktion und informierte sich
  bereits mehrfach über die Menschenrechtssituation in der Türkei und in Nordirak. Derzeit ist er
  in der südosttürkischen Kurdenmetropole Diyarbakir. Mit ihm sprach René Heilig.
 

 

René Heilig: In Berlin finden deutsch-türkische Regierungskonsultationen statt. Sie sind mit Abgeordnetenkollegen der oppositionellen HDP in Diyarbakir. Zur Vorort-Recherche?

Jan van Aken: Ja, ich bin gerade direkt am Rand der Altstadt.

Die ist, so hört man, eine Art Kriegsgebiet.

Richtig, der Begriff Kriegsgebiet trifft es. Heute nacht habe ich zweimal senkrecht im Bett gesessen, so heftig waren die Feuergefechte. Man kann das Gebiet nicht betreten. Hier ist alles voller Polizei, Absperrgitter, Wasserwerfer. Es herrscht reger Verkehr mit dick gepanzerten Militärfahrzeugen. Jede Menge Truppentransporte.

Aber in der Altstadt gibt es doch nicht nur PKK-Aktivisten, da leben doch auch Menschen.

In der halben Altstadt kann man sich tagsüber bewegen. Nachts traut sich auch da niemand rein, wegen der Scharfschützen. Die andere Hälfte ist komplett zu. Es wird sofort geschossen, von beiden Seiten. Über die Opferzahlen ist nichts Genaues bekannt. Unabhängige Beobachter gehen von Dutzenden Toten aus. Auf beiden Seiten wird gestorben. Zivilisten werden getroffen, auch von getöteten Kindern ist die Rede.

Gibt es keine Verbindung nach innen?

Es gibt wohl ein kleines Tor, wo ab und an mal einzelne Bewohner mit Nahrungsmitteln hinein können, aber ansonsten ist es komplett abgesperrt. Die meisten Einwohner mussten schon fliehen, denn es gibt keinen Strom, kein Wasser, einfach nichts, was Leben ermöglicht.

Und wie lange geht das schon?

Seit über einem Monat. Man kann sich die Gefahr und die Not, in der die Menschen leben, kaum vorstellen.

Welche Lösung zur Linderung der schlimmsten Not wäre denn denkbar?

Im Moment gibt es überhaupt keine Verhandlungen. Die kurdische Seite bietet nach wie vor Friedensverhandlungen an. Die türkische Seite ist im Moment ausschließlich auf »totale Säuberung« aus. Ich verwende da nur die Begriffe, die auch Ministerpräsident Davutoglu benutzt, der ja nun in Berlin empfangen wird. Wenn der sagt, er will hier alles »blitzsauber haben« und dafür sorgen, dass kein Mensch mehr Widerstand leistet, ahnt man, wohin das geht. Auch der Machthaber in der Türkei, Präsident Erdoğan, setzt im Moment voll auf Fortführung des Bürgerkrieges gegen große Teil des Volkes. Doch im Kern wissen beide Seiten, dass dieser Konflikt militärisch nicht zu gewinnen ist.

Auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Meinung eines Linkspolitikers, der sich vor Ort befindet, wenig Gehör findet bei der deutschen Verhandlungsdelegation – was würden Sie Merkel, von der Leyen, de Maizière und Gabriel raten?

Es kann nicht sein, dass die Türkei und die türkische Regierung im Moment ausschließlich durch die Brille der Flüchtlingsfrage gesehen wird. Deutschland muss sich zu den Menschenrechten bekennen, die auch in der Türkei zu gelten haben. Man muss den Bürgerkrieg thematisieren. Mehr noch: Auf dem Gebiet der Pressefreiheit bewegt sich die Türkei beispielsweise auf dem Niveau von China. Hier werden Akademiker festgenommen, nur weil sie Friedensgespräche fordern. Die Unterstützung der türkischen Herrscher für die Islamisten in Syrien muss angesprochen werden. Es kann doch auch nicht sein, dass die Wiener Gespräche über eine Lösung für Syrien jetzt verschoben werden, weil die Türkei die Kurden nicht am Verhandlungstisch haben will. All diese Probleme werden von der Bundesregierung ignoriert, weil es ihr nur um Flüchtlingsabwehr geht. Es darf aber kein Problem sein, ein paar Schritte Abstand zu wahren zu Ankara. Alles andere ist ein ganz großer Fehler.

Ankara und Berlin sind NATO-Verbündete. In der Türkei sind die Tornados der Luftwaffe stationiert, die über Syrien fliegen. Die deutsche Regierung genehmigt auch regelmäßig Waffenexporte.

Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass ich mich hier umschaue. Deutschland hat massiv Waffen an die Türkei geliefert. Ich habe gleich einen Termin beim zuständigen Gouverneur, auch um nachzufragen, welche Waffen hier von der Türkei im Bürgerkrieg eingesetzt werden. Zudem hoffen wir, dass er uns Zutritt zur Altstadt gewährt.

neues deutschland, 22. Januar 2016