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Kampagnen-Journalismus übelster Art«

Im Wortlaut von Alexander Ulrich,

Schwere Vorwürfe gegen Spiegel-Online. Versuch, einen Keil in die Linkspartei zu treiben. Ein Gespräch mit Alexander Ulrich

Alexander Ulrich ist IG-Metall-Funktionär in Kaiserslautern und Landesvorsitzender der WASG Rheinland-Pfalz. Er schaffte als zweiter Listenkandidat des rheinland-pfälzischen Landesverbandes der Linkspartei den Sprung in den Bundestag.

Sie und weitere Angehörige der künftigen Bundestagsfraktion der Linkspartei können sich laut dem Internetportal Spiegel online vorstellen, eine von Gerhard Schröder (SPD) geführte Minderheitenregierung zu tolerieren. Was ist dran an der Geschichte?
Das ist Kampagnen-Journalismus der übelsten Art. Hier wurde ein Fetzen aus einem langen Interview herausgerissen und mir als Aussage in den Mund gelegt, die jeder Wahrheit entbehrt. Ich habe immer wieder betont, daß Schröder mit meiner Stimme unter keinen Umständen rechnen kann. Eine Fortsetzung der »Agenda 2010« wird es mit uns nicht geben. Dabei bleibt es.

Wie ist das Gespräch mit Spiegel online abgelaufen?
Die Frage, ob ich mir vorstellen könnte, Schröder zu wählen, habe ich unmißverständlich verneint und meine Gründe angeführt. Die WASG ist bekanntlich aus einer Bewegung gegen die langjährige soziale Kürzungspolitik und gegen Bundeskanzler Schröder entstanden, der für diese Politik steht. Daraufhin wurde ich gefragt, unter welchen Umständen mir die Wahl Schröders möglich würde, woraufhin ich aufzählte: Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Ausbildungsabgabe, Abschaffung von »Hartz IV«, Abzug deutscher Soldaten aus Afghanistan. Dabei habe ich aber bekräftigt, daß diese Umstände definitiv nicht eintreten werden, weil sich die SPD für diesen Fall völlig neu erfinden müßte. Diese Passage hat der Interviewer unterdrückt und die ihm genehme Story gestrickt.

Ist Ihre Haltung tatsächlich die der gesamten Fraktion? Ihr WASG-Mitstreiter Hüseyin-Kenan Aydin wird in besagtem Artikel mit den Worten zitiert, er könne sich die Tolerierung einer Minderheitenregierung »sehr gut vorstellen, wenn sich die SPD darauf einläßt«.
Ich gehe davon aus, daß dies auch Thema unserer ersten Fraktionssitzung am heutigen Freitag sein wird. Nach meiner Überzeugung werden wir mit überwältigender Mehrheit beschließen, Schröder keine Stimme zu geben. Wir sind angetreten für einen Politikwechsel und nicht dazu, irgendeinem Lager zum Kanzler zu verhelfen.

Die Spiegel-online-Story wurde von mehreren Zeitungen aufgegriffen und droht sich zu einer Kampagne über vermeintliche linke Wackelkandidaten auszuwachsen. Was könnte die Redaktion dazu bewogen haben?
Das hat in meinen Augen zwei Gründe: Mit dem ins Spiel gebrachten Tolerierungsmodell erweitert sich die Palette möglicher Farbkombinationen einer künftigen Regierung, was die Diskussion um Schwampeln und Jamaika-Koalitionen weiter anheizt - das steigert die Quote. Klar ist aber auch, daß ein Keil in die Linkspartei getrieben werden soll, wie dies ja bereits vor der Wahl versucht wurde. Das wird allerdings nicht gelingen.

Spiegel online schreibt die vermeintlichen Abweichler dem Gewerkschaftsflügel, also den WASG-Kandidaten zu. Gibt es nicht eine größere Empfänglichkeit für solche Modelle bei der ehemaligen PDS, die sich um der Macht und Pöstchen willen gerne in Regierungsverantwortung begibt?
In meinen Augen erübrigt sich diese Überlegung, schließlich haben ja alle etablierten Parteien eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen. Es wird also keiner von uns der Versuchung der Macht ausgesetzt.

Nicht einmal Oskar Lafontaine, das Musterexemplar eines Machtmenschen?
Lafontaine hat mehrmals erklärt, daß er unter Umständen auch Verantwortung übernehmen würde. Aber eben nur im Falle eines grundlegenden Politikwechsels, der jedoch mit Schröder und der jetzigen SPD nicht zu haben sein wird.

Und was, wenn Peer Steinbrück als Kanzler in die Bresche springt?
Dann bleibt alles beim alten, Steinbrück ist bekanntlich einer der glühendsten Verfechter der »Agenda 2010«. Für faule Kompromisse sind wir nicht zu haben.

Wer müßte das Zepter in der SPD übernehmen, um eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei zu ermöglichen?
Scherzhaft: Ottmar Schreiner als Bundeskanzler wäre das richtige inhaltliche Signal.

Interview: Ralf Wurzbacher

junge Welt, 23. September 2005