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Kälteeinbruch in Europa

Im Wortlaut von Stefan Liebich,

 

Von Stefan Liebich, Obmann im Auswärtigen Ausschuss für die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Der Pfeil zeigt schnurstracks nach unten. Über 40 Prozent ist der Ölpreis seit dem Juli dieses Jahres gefallen, und so verdient Norwegen mit seiner Ölförderung derzeit kein Geld. Das ist zwar irgendwie schlecht, scheint aber auch nicht wirklich schlimm. Das Land, es gilt als größter Förderer des schwarzen Goldes in Europa, hat vorgesorgt. Über 650 Milliarden Euro umfassen die Rücklagen im staatlichen Ölfonds. Die norwegische Zentralbank hat nun ihren Leitzins auf 1,25 Prozent gesenkt, um Geld für Investitionen billiger zu machen und so das stockende Wirtschaftswachstum zu befördern. Business as usual.

Ganz anders dagegen sind Situation und Reaktion beim ölreichen Nachbarn Russland. Dort hat der dramatische Preisverfall nicht nur einen enormen Kurssturz des Rubels nach sich gezogen, sondern die Zentralbank reagierte mit einer Erhöhung des Leitzinses auf nunmehr 17 Prozent. Ziel sei es, das bereits erwirtschaftete Geld auch weiterhin im Lande zu halten. Es spricht jedoch wenig dafür, dass es gelingt. Schon wird über einen Kapitalabfluss von 120 Milliarden US-Dollar allein in diesem Jahr spekuliert. Vor großen Märkten bilden sich lange Schlangen, viele Menschen in Russland wollen ihr Geld in hochwertige Waren umrubeln. Das Wort vom Staatsbankrott macht trotz Rücklagen von 419 Milliarden Dollar zumindest im Westen bereits die Runde. "Die Lage dort sei tatsächlich ernst", verlautete jetzt aus dem Auswärtigen Amt in Deutschland. Und Regierungssprecher Steffen Seibert konstatierte umgehend, dass die Krise nicht vorrangig auf die von EU und USA im Zuge des Ukraine-Konflikts gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen zurückgehe. Sie habe verschiedene Ursachen, von denen die meisten schon vor dem Ukraine-Konflikt angelegt gewesen seien. Die Botschaft ist klar: Der Russe hat Schuld an seinem Elend, und zwar ganz allein.

»Sanktionskrieg mit dem Westen«

Als Hauptursache für den enormen Preissturz wird die Ölförderung der US-Amerikaner durch Fracking beschrieben, die auf diesem Wege derzeit für nur 40 bis 50 US-Dollar je Barrel fördern. Halten die Amerikaner diesen Level, wird es für Länder wie Russland, Norwegen oder auch Saudi-Arabien, deren Wirtschaftsbilanz weit überwiegend die Erlöse von Öl- und Gasexporten prägen, problematisch. Es lohnt sich dann für sie irgendwann einfach nicht mehr. Die USA haben bereits angekündigt, bis 2020 die größte Ölfördernation der Welt werden zu wollen. Das wird die Spannungen zwischen Russland und den USA eher noch wachsen lassen.

Den eigentlichen Brandbeschleuniger für den Preisverfall lieferte jedoch ausgerechnet die Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec), als sie Ende November überraschend auf Drängen Saudi-Arabiens erstmals nicht gegen die fallenden Preise intervenierte. Stattdessen bestätigte die Opec ihr Produktionsziel von 30 Millionen Barrel, das ist deutlich höher als der von ihr selbst prognostizierte Bedarf. Angesichts der Auswirkungen, die besonders Russland in den Abgrund zu reißen drohen, lässt sich trefflich über die Motivation spekulieren.

Russlands Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew jedenfalls sieht im "Sanktionskrieg mit dem Westen" eine der Hauptursachen für die russische Krise, verweist aber auch auf die ungelöste Strukturkrise der Wirtschaft im eigenen Land. Die alles überlagernde Abhängigkeit des russischen Haushalts vom Öl- und Gasverkauf ist nunmehr auch ins Blickfeld von Präsident Wladimir Putin geraten. "Wir müssen diese Abhängigkeit reduzieren, anders wird es nicht funktionieren", sagte er heute.

Unterdessen drehen die EU und Amerika immer weiter an der Sanktionsspirale. Der US-Kongress hat vergangene Woche ein Gesetz mit neuen Sanktionen unter anderen gegen die Öl-Industrie in Russland beschlossen. Ein neuer Kälteeinbruch in Europa steht bevor.

linksfraktion.de, 18. Dezember 2014