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Jetzt Endspurt für Krippenausbau starten

Interview der Woche von Diana Golze,

Start ins neue Kita-Jahr: Über 100.000 Krippenplätze fehlen. Die klammen Kommunen stehen beim Krippenausbau vor unlösbaren Aufgaben. Stattdessen will die Regierung das Betreuungsgeld einführen. Das Ziel, frühkindliche Bildung zu verbessern, führt Familienministerin Schröder (CDU) ad absurdum. Diana Golze, Sprecherin für Kinder- und Jugendpolitik der Fraktion DIE LINKE, erklärt das "technische K.o." der Ministerin im Interview der Woche. 

 

Am 1. August beginnt das neue Kita-Jahr – allerdings nicht für alle, denn viele Eltern haben für ihren Nachwuchs keinen Betreuungsplatz bekommen. Ab dem nächsten Jahr sollen alle Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr haben. Ist das realistisch?

Das Thema brennt den Eltern unter den Nägeln. Klar ist aber, dass die Ziele der Bundesregierung von Anfang an viel zu niedrig gesteckt waren. Um den Rechtsanspruch umzusetzen, wäre nun ein Endspurt nötig. Meine Fraktion hat die Bundesregierung mehrfach aufgefordert, das Ausbauprogramm deutlich aufzustocken. Doch die Bundesregierung hat aufgegeben. Stattdessen führt sie das Betreuungsgeld ein. Die Bundesregierung belohnt Eltern also dafür, dass diese den Anspruch auf Bildung und Betreuung für ihre Kinder nicht wahrnehmen. Damit will sie über ihre eigene Pflichtverletzung hinweg täuschen.

Das Betreuungsgeld hat ja auch noch eine andere Dimension, die ein klassisches Betreuungsmodell finanziell honoriert: Betreuung zu Hause, durch Eltern oder Familienangehörige. Was ist das für ein Bild von Kinderbetreuung und frühkindlicher Bildung, das dem zugrunde liegt?

Diese Absurdität wird durchgezogen, weil in Bayern Wahlen sind und sonst die Koalition platzt. Der materielle Anreiz des Betreuungsgeldes hat seine größte Wirkung bei Familien mit geringem Einkommen. Wer mit seinen Kindern knapp oberhalb des Existenzminimums lebt, braucht jeden Cent. Und genau hier liegen die Gemeinheit des Vorhabens und die grenzenlose Verantwortungslosigkeit der Bundesregierung. Anstatt den öffentlichen Erziehungsauftrag des Staates insbesondere gegenüber den Kindern von Eltern mit geringen Einkommen zu realisieren, wird hier mit Geld gelockt, damit eine frühzeitige öffentliche Betreuung und Bildung unterbleibt. Für die klassische Wählerklientel der CSU in Bayern hingegen ist das Betreuungsgeld ein reines Zuckerstückchen obendrauf.

Wie viele Plätze fehlen real?

Das hängt davon ab, wie hoch Sie den Wunsch der Eltern und Kinder einschätzen, eine Tagesbetreuung in Anspruch zu nehmen. Allein für das sehr niedrige Ziel der Bundesregierung von einer Betreuungsquote für 35 Prozent aller zwei- und dreijährigen Kinder fehlen aktuell mindestens 130.000 Plätze. Schon bei einer Quote von 39 Prozent würden rund 190.000 Plätze fehlen. Manche gehen davon aus, dass bis zu 60 Prozent der Kinder in eine Kita gehen würden. Wie viele Plätze real fehlen, ist schwer zu sagen. Klar aber ist: Es fehlen sehr viele Betreuungsplätze. Und in einem Jahr gilt der Rechtsanspruch. Debatten helfen jetzt nicht. Die Bundesregierung muss jetzt handeln und vor allem die Kommunen endlich finanziell entsprechend ausstatten.

Liegt die Schuld an den fehlenden Krippenplätzen bei den Kommunen? Immerhin haben doch die Länder vom Bund Finanzmittel zum Krippenausbau erhalten. Wohin ist dieses Geld verschwunden?

Das Geld ist nicht verschwunden. Es reicht nur vorne und hinten nicht. Um Geld zu sparen, hat die Bundesregierung die Zahl der notwendigen Kita-Plätze von Anfang an klein gerechnet. Auch ist es allein mit der Einrichtung von Kitas nicht getan. Der Betrieb von Kitas kostet viel Geld. Und die Kommunen wurden über Jahre systematisch kaputtgespart. Für uns war daher immer klar, dass es neben dem Ausbau vor allem auch um die dauerhafte Finanzierung der Kitas gehen muss. Und ganz wichtig: das Personal! Leider hat gerade hier die Bundesregierung versagt.

Die Kommunen sind also letztlich die Gelackmeierten. Bei ihnen klagen die Eltern dann doch nächstes Jahr den Platz für ihr Kind ein – oder eben den Schadensersatz, weil sie nicht in den Beruf zurückkehren können...

Genau. Die Bundesregierung brüstet sich mit dem Rechtsanspruch. Das rechtliche Risiko und die finanzielle Verantwortung dafür drückt sie aber den Kommunen auf. Das schlimmste ist jedoch, dass im Streit um Zuständigkeiten der Ausbau stecken bleibt. Eltern und Kinder, die nächstes Jahr leer ausgehen, können zwar klagen, aber was bringt ihnen das? Bis die Verfahren gewonnen sind, sind die Kinder wahrscheinlich schon in der Schule. Dann brauchen sie keinen Kitaplatz mehr. Und die fehlenden Bildungsmöglichkeiten der Kinder können auch nicht rückwirkend mit Geld ausgeglichen werden. Hier spielt die Regierung fahrlässig mit der Zukunft der Kinder.

Als Hinderungsgründe für den Krippenausbau bringen die Kommunen eine Vielzahl unterschiedlicher Dinge vor: fehlende Grundstücke, zu strenge Bauvorschriften – immer neue Hürden. Ist es eine Lösung, einfach Bauvorschriften zu lockern oder Kita-Gruppen zu vergrößern, wie Familienministerin Schröder vorschlägt?

Nein. Die Ministerin greift nach den letzten Strohhalmen. Es ist doch ein Wahnwitz, einen Rechtsanspruch dadurch einlösen zu wollen, dass man auf bisherige Qualitätsstandards verzichtet. Geplant war eigentlich, die frühkindliche Bildung zu verbessern. Frau Schröder bestätigt damit nur ihr „technisches K.o.“ als Familienministerin. Der Grundfehler des Bundes liegt darin, dass er es unterlassen hat, beizeiten zu überprüfen, ob der von ihm eingeführte Rechtsanspruch auch auf dem Wege der Realisierung ist. Stattdessen hat er immer nur auf die Zuständigkeit der Länder und Kommunen verwiesen.

Ein weiterer kreativer Vorschlag von Arbeitsministerin von der Leyen: die Umschulung von Langzeiterwerbslosen zu Erziehern. Von den einen haben wir ganz viele, von den anderen viel zu wenige. Hört sich das gut an, um den geschätzten Mangel von mindestens 30.000 ErzieherInnen zu beheben?

Das ist bemerkenswert, wenn die Ministerin, die seit Jahren die Mittel für Umschulungen drastisch eindampft, diese nun zum Allheilmittel für die Kitakrise erklärt. Der drastische Mangel an Erzieherinnen ist jedoch nicht allein über Umschulungen von Erwerbslosen zu beheben. Es passiert dazu auch gar nichts. Außerdem bedeutet Umschulung, dass die Ausbildung zur ErzieherIn auf 2 Jahre verkürzt würde. Das ist aber gar nicht sinnvoll. Es bedarf einer Generaloffensive in der Ausbildung von Erziehungspersonal, soll der Rechtsanspruch auf eine öffentliche Betreuung auch real eingelöst werden und die Qualität gesichert sein.

Was muss geschehen, um pädagogische Berufe attraktiver zu machen?

Man muss den Beruf qualitativ aufwerten und besser bezahlen sowie die Arbeitsbedingungen erheblich verbessern. Viele denken: "Ach, mit den Kindern spielen, das kann doch jeder". Die frühkindliche Bildung und Betreuung ist jedoch ein sehr anspruchsvolles und verantwortungsvolles Arbeitsfeld. Die Ausbildung dazu sollte erweitert werden, damit die Potenziale der Kinder auch möglichst frühzeitig umfassend gefördert werden. Was Erzieherinnen derzeit verdienen, ist ein schlechter Witz. Materiell ist diese anspruchsvolle Tätigkeit völlig unterbewertet. Hier liegt auch ein Grund dafür, dass leider immer noch so wenig Männer diesen Beruf ergreifen.

Wagen Sie mal einen Ausblick: Wo könnten wir 2020 mit der frühkindlichen Bildung stehen?

Es wäre selbstverständlich, dass Kindertagesbetreuung ein Angebot an Eltern und Kinder ist, das nichts mit „Fremdbetreuung“ oder Bevormundung zu tun hat. 2020 ist es hoffentlich selbstverständlich, dass Kinder tagsüber in Kitas sind und außerhalb der Familie mit Gleichaltrigen spielen und lernen. Auch sollte es dann selbstverständlich sein, dass allen nach ihren Wünschen sowie unabhängig von einer Erwerbstätigkeit ganztägige gebührenfreie Betreuungsplätze zur Verfügung stehen. So bieten wir den Kindern optimale Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten und den Eltern eine wichtige Unterstützung, um die finanzielle Unabhängigkeit der Familie zu erarbeiten.

 

linksfraktion.de, 30.7.2012