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Jeder Achte braucht Hartz IV

Im Wortlaut,

DGB-Studie enthüllt wahres Ausmaß der Lohndrückerei in der Leiharbeitsbranche

Von Fabian Lambeck

Eine aktuelle Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zeigt, welches Ausmaß die Lohndrückerei in der Leiharbeitsbranche angenommen hat. Demnach verdient jeder achte Zeitarbeiter so wenig, dass er auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen ist. Besonders prekär ist die Lage in Ostdeutschland.

Während das Spitzentreffen zur Hartz-IV-Reform am Sonntag auch wegen des Streits um einen Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche scheiterte, bekommen die Befürworter von Lohnuntergrenzen nun neue Argumente geliefert. Am Montag veröffentlichte der Deutsche Gewerkschaftsbund eine Studie, die eindrucksvoll belegt, wie sehr Leiharbeiter benachteiligt werden. Studienautor Wilhelm Adamy bezieht sich dabei auf Daten aus der Entgeltstatistik der Bundesagentur für Arbeit.

Nach Auswertung des Materials ist nun klar: Zeitarbeiter verdienten durchschnittlich nur halb so viel wie ihre fest angestellten Kollegen. Nicht einmal 20 Prozent aller Leiharbeiter erhielten mehr als 2000 Euro im Monat – brutto wohlgemerkt. Unter den Vollzeitbeschäftigten betrug der Prozentsatz hingegen mehr als 70 Prozent.  Die Zwei-Klassen-Entlohnung entsprach dem damaligen Kalkül von Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Unter seiner Ägide wurde die Leiharbeit massiv ausgebaut. In einem Interview gab der »Genosse der Bosse« im Jahre 2002 die Linie vor: Tarifabschlüsse für Leiharbeiter müssten niedriger sein als in den normalen branchenüblichen Tarifverträgen, so Schröder gegenüber der »Zeit«.

Kein Wunder, dass sich die Leiharbeit für viele Betroffene als Armutsfalle entpuppt. Laut DGB-Studie musste Mitte 2010 beinahe jeder achte Zeitarbeiter zusätzlich Hartz-IV-Leistungen beantragen, weil der Lohn nicht zum Leben reichte. Von den über 900 000 Leiharbeitern waren also etwa 92 000 auf »ergänzende staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen« – das sind mehr als 13 Prozent aller sozialversicherten Leiharbeiter. Damit ist das Verarmungsrisiko in der Branche vier bis fünf Mal höher als in der Gesamtwirtschaft, wo nicht einmal drei Prozent der sozialversicherten Arbeitnehmer aufstocken müssen.

Dabei ist das Risiko in den neuen Ländern noch höher: Östlich der Elbe mussten mehr als 15 Prozent der sozialversicherten Leiharbeiter ihren Lohn mit Hartz IV »aufstocken«. Generell gilt: Im Osten sind die Verhältnisse prekärer als im Westen. Rund 20 Prozent der ostdeutschen Leiharbeiter verdienten brutto weniger als 1000 Euro im Monat. Auch bei den Durchschnittslöhnen gibt es ein deutliches Ost-West-Gefälle. Während ein Zeitarbeiter in den alten Ländern rund 1456 Euro verdiente, brachte es sein ostdeutscher Kollege auf gerade einmal 1225 Euro.

Studienautor Adamy zieht ein düsteres Fazit: »Leiharbeit wird längst nicht nur dafür eingesetzt, um betriebliche Auftragsspitzen abzufangen, sondern mehr und mehr auch, um die Lohnkosten massiv zu drücken und tarifliche Regelungen in den Einsatzbetrieben zu umgehen«.
Kritik an der zunehmenden Ausbeutung von Leiharbeitern kam am Montag vor allem von der LINKEN. »Leiharbeit darf keine Einbahnstraße in die Armut bleiben«, betonte Jutta Krellmann, Sprecherin für Arbeit und Mitbestimmung der Linksfraktion im Bundestag. »Wenn die Bundesregierung sich weiterhin weigert, Leiharbeiter effektiv vor Lohndumping zu schützen, macht sie sich an dieser Verarmung durch Arbeit mitschuldig.« Übrigens: Die LINKE durfte am Spitzentreffen zur Hartz-IV-Reform nicht teilnehmen.

Neues Deutschland, 8. Februar 2011